Bdrmm - Microtonic

Rock Action / PIAS / Rough Trade
VÖ: 28.02.2025
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Licht und Schattentänze
Als eines der besten Rock-Alben 2023 bezeichnete Kollege Sennfelder Bdrmms "I don't know". Beim Nachfolger "Microtonic" steht zunächst die Frage im Raum, ob man es überhaupt ein Rock-Album nennen kann. Zwar überführte die Band aus Hull bereits auf besagtem "I don't know" ein paar elektronische Einflüsse in ihren Shoegaze, nun entladen sie die Dance-, Techno- und Ambient-Aspekte aber völlig, die sie unter anderem als Support von Daniel Avery aufnahmen. Der neue Sound von Bdrmm klingt aufs erste Ohr gewöhnungsbedürftig, schreibt jedoch bloß eine logische Entwicklung konsequent fort und behält die Seele ihrer Musik bei. Noch immer schafft es der Vierer, klar erkennbare Referenzen in ein zeitloses, eigenes Rauschen zu formen und im Wechsel von zärtlichem Schönklang und wuchtigeren Momenten eine ganze Klaviatur diffuser Emotionen auszulösen. Man muss schlicht damit klarkommen, dass die Gitarren weitgehend im Hintergrund brutzeln.
Leicht machen es Bdrmm ihrem Publikum allerdings nicht. So gehört die erste vernehmbare Stimme auf der Platte nicht Sänger Ryan Smith, sondern Syd Minsky-Seargeant von Working Men's Club, der im Opener "Goit" einen bedrohlichen Spoken-Word-Vortrag über Tod und Terror vor Strobo-Synths und stolpernden Drums hält. "John on the ceiling" beginnt mit kaum weniger irritierenden Vocal-Samples, bevor Smiths helles Organ doch eine seiner fragilen Melodien singt und der Song als wolkenlösender Elektro-Pop die Weltuntergangsstimmung auflockert. Wie sich der eingangs unzugängliche Track immer mehr öffnet, steht sinnbildlich für das ganze Album, auf dem die Briten inmitten dystopischer Gesten ihre klarsten Hooks verstecken. Hinter "Infinity peaking" mag man erst einen epischen Sechsminüter vermuten, doch tatsächlich kommt der Song straight auf den Punkt und verliert sich in der Halbzeit nur deshalb im psychedelischen Flirren, damit der Refrain noch ein letztes Mal reinknallen darf.
Deutlich weitflächiger breitet sich das Herzstück "In the electric field" aus. Mit gesanglichem Support durch die Musikerin Olivesque präsentiert es sich in den Strophen als TripHop-naher Schleicher, um im Chorus sonnigem Brit-Pop zu frönen. Wieder gibt es einen Kipppunkt im Schlussdrittel in Form eines idyllischen Geräuschteppichs, diesmal kehrt der Track allerdings nicht zu seiner Grundstruktur zurück, sondern lässt die Gitarren wirbeln – ein Moment dammbrechender Katharsis, der auch ohne Aufbau ins Schwarze trifft. Ihr Händchen für gelungene Spannungsbögen beweisen Bdrmm stattdessen in "Clarkycat": Dieser von einer ominösen Synth-Melodie getragene Club-Pumper baut sich nach seinem Zusammenbruch in der Mitte komplett neu auf und spielt in der Progression seiner instrumentalen Schichten alle Post-Rock-Karten aus. So verschiedene Inspirationsquellen wie Lynch, Kafka und das warme Málaga, wo Smiths Freundin lebt, verdichten sich auf "Microtonic", indem es seine surrealen Schattentänze immer nur im Beisein ihrer leuchtenden Gegenstücke aufführt.
Zumindest fast immer: "Lake Disappointment" schneidet zugegebenermaßen kaum Luftlöcher, wenn es sich mit verzerrtem Bass-Puls und nervösem Beat immer tiefer in den Seegrund bohrt. "Snares" vertont wiederum das kollektive Trauma nach der Corona-Pandemie, findet aber auf musikalischer wie textlicher Ebene genug Grund für Optimismus. Bdrmm singen vom Ende der Welt auf einem Album, das weniger aufgeschlossene Ohren wieder dazu veranlassen könnte, vom Ende der Gitarrenmusik zu fabulieren. Doch in einem genau solchen Maße, wie sie stets die Hoffnung im Fokus haben, füllen sie ihren neuen Sound mit so viel Leben, dass alle Unkenrufe eigentlich von selbst verstummen sollten. Auch wenn es bei aller Klasse diesmal wahrscheinlich nicht für die Jahresbestenlisten reichen wird, ob mit Rock oder ohne.
Highlights
- In the electric field (feat. Olivesque)
- Clarkycat
- Lake Disappointment
Tracklist
- Goit (feat. Working Men's Club)
- John on the ceiling
- Infinity peaking
- Snares
- In the electric field (feat. Olivesque)
- Microtonic
- Clarkycat
- Sat in the heat
- Lake Disappointment
- The noose
Gesamtspielzeit: 44:45 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Gomes21 Postings: 5482 Registriert seit 20.06.2013 |
2025-03-26 09:52:24 Uhr
Mogwai höre ich da persönlich auch überhaupt nicht raus, weder vorher noch jetzt. Mich hat das neue Album aber abgesehen davon auch noch nicht wirklich. |
cargo Postings: 750 Registriert seit 07.06.2016 |
2025-03-26 07:58:49 Uhr
Ne, da geh ich nicht mit. Gerade das erste Album ist doch noch komplett Shoegaze. Da höre ich überhaupt keine Parallelen zu Mogwai raus. |
musie Postings: 4057 Registriert seit 14.06.2013 |
2025-03-26 07:40:37 Uhr
Hat eindeutige Mogwai-Phasen, gerade live und bei den alten Songs. Langsam anschwellend, von leise bis zum Ausbruch.. Zudem sind sie auch im Label von Mogwai. |
cargo Postings: 750 Registriert seit 07.06.2016 |
2025-03-26 07:21:45 Uhr
Wann klangen bdrmm denn jemals nach Mogwai? Die würden mir als Referenz jetzt gar nicht einfallen. Ich hatte mit dem neuen Album zuerst ein wenig Anlaufschwierigkeiten, weil mir die Synths doch etwas zu dominant sind. Inzwischen hab ich mich aber dran gewöhnt. Finde die Platte trotzdem insgesamt schwächer als die beiden Vorgänger. |
musie Postings: 4057 Registriert seit 14.06.2013 |
2025-03-26 02:18:16 Uhr
…und auch das Konzert hatte gepasst heute. spannende Band! |
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Referenzen
M83; Pinkshinyultrablast; Seefeel; Sweet Trip; Nabihah Iqbal; Art School Girlfriend; The Japanese House; Mogwai; Boards Of Canada; School Of Seven Bells; Psychic Markers; Wild Nothing; Lust For Youth; Constant Smiles; Slowdive; DIIV; Ride; Parannoul; Massive Attack; Curve; Stereolab; Peel Dream Magazine; Nation Of Language; Blonde Redhead; Cloth; Tamaryn; Deerhunter; Lotus Plaza; Atlas Sound; The Soft Moon; The KVB; Daniel Avery; The Field; Thom Yorke; Radiohead
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