Horsegirl - Phonetics on and on

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 14.02.2025
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Wieher Chicago
Bei der Phonetik, der wissenschaftlichen Klassifizierung von Sprachlauten, kommt es nicht zuletzt auf eine Sache an: genaues Hinhören. Nicht die größte Stärke von Horsegirl, haben sie doch bereits auf dem Debüt "Versions of modern performance" Songs nach falsch verstandenen Lyrics-Zeilen benannt. Doch wer sich bei den frühesten Shows mit einem unbarmherzig lauten Live-Sound profilierte, ist für kleines Ohrenversagen natürlich entschuldigt – zumal Platte Nummer zwei "Phonetics on and on" bewusst feinfühliger mit den Hörorganen der, äh, Hörenden umgeht. Inzwischen haben die weiterhin blutjungen Bandmitglieder zumindest alle die 20 überschritten und sind von Chicago nach New York gezogen, wo zwei von ihnen englische Literatur studieren. Dort fanden Horsegirl auch mit Gitarrenverknoterin Cate Le Bon als Produzentin zusammen, die sie dazu ermutigte, die Soundwände zugunsten von luftigeren Freiräumen und neuen Akzenten durch Synths oder Geige zurückzufahren. Der Kern des wieder im Chicagoer Winter, genauer in Wilcos Loft-Studio aufgenommenen Langspielers bleibt natürlich leicht angenoister, klassischer Indie-Rock im Geiste von Pavement und Co., der erneut die Geschmackssicherheit aller Beteiligten beweist. Die erste selbstgekaufte Platte von Bassistin und Co-Sängerin Nora Cheng ist übrigens das zweifelsfrei beste Album aller Zeiten, Sonic Youths "Daydream nation". Kann man mal machen!
Ausrufezeichen braucht es bei Horsegirl allerdings gar nicht, da das Trio genug davon selbst setzt. Zum Beispiel gleich zu Beginn in "Rock city", dessen Gitarren Moore und Ranaldo gleichzeitig stolz machen und das für einen infektiösen Refrain nicht mehr als ein paar schüchterne "Woo-hoo"s braucht – wenn Gigi Reece' Drums in den letzten 30 Sekunden zum Schlussspurt anziehen, hat man sowieso keinen Atem für viele Worte mehr übrig. Auch die erste Single "2468" zuckelt im Uptempo vorwärts, nachdem Cheng im Intro ein paar schiefe Töne aus ihrer Violine knarzen durfte. Doch Horsegirl lassen sich öfter auch mal mehr Zeit, was gleich zwei Songs nahe der ungewohnten Fünf-Minuten-Marke belegen. Mit seinen sehnsüchtigen Saiten ist "In twos" Bands wie Death Cab For Cutie nicht unähnlich und überrascht mit einem in der Mitte einsetzenden Streicher-Stakkato, das stoisch bis zum Ende durchhält. "Julie" versteht sich als Keyboard-unterstütztes emotionales Herzstück, das sich auch vom Gitarrenquietschen im rechten Kanal nicht aus der Ruhe bringen lässt – was genauso für Penelopes Lowensteins Stimme gilt, die sich einem solch zärtlicheren Kontext besonders als ausdrucksstarke Sängerin hervorhebt.
Nicht nur in derartigen Momenten beschreibt "Phonetics on and on" eine Weiterentwicklung vom Debüt zu weniger Skizzenhaftigkeit, weswegen es zwar ein nur 100-sekündiges Intro namens "Where'd you go", aber keine Interludes mehr gibt. Wobei die Sache mit der Formvollendung relativ zu verstehen ist, wenn "Switch over" etwa drei Minuten lang kaum mehr als vier Wörter jongliert – doch macht genau dieser Minimalismus nicht den Charme aus? Zumal Horsegirl innerhalb ihrer Koordinaten genug Raum für Abwechslung finden. Da steht ein windzerzauster Jangle-Pop-Hit wie "Well I know you're shy" neben dem herrlich ausfransenden "Information content" oder "Frontrunner", das mit Akustikgitarre und Western-Licks ausnahmsweise nicht-urbane Bildwelten erzeugt. Nicht das einzige Mal, dass Horsegirl andeuten, was für sie noch möglich wäre, wenn sie sich die letzte zum Meisterwerk-Niveau fehlende Portion Fokus erarbeiten. Vielleicht hilft es ja, wenn sie bald keine Essays über Shakespeare mehr nebenbei schreiben müssen.
Highlights
- Rock city
- Well I know you're shy
- Julie
Tracklist
- Where'd you go
- Rock city
- In twos
- 2468
- Well I know you're shy
- Julie
- Switch over
- Information content
- Frontrunner
- Sport meets sound
- I can't stand to see you
Gesamtspielzeit: 37:46 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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saihttam Postings: 2593 Registriert seit 15.06.2013 |
2025-02-23 11:01:10 Uhr
Ich kann dem nur zustimmen. Mir macht das Album auch sehr viel Spaß. Gerade diese angesprochene Kombination aus Schlurfigkeit, Verspieltheit und trotzdem irgendwie Zielstrebigkeit ist das große Plus des Albums. Meisterwerk ist für mich dann zwar doch ein bisschen hoch gegriffen, aber sehr gut ist es allemal. |
myx Postings: 5431 Registriert seit 16.10.2016 |
2025-02-18 21:26:21 Uhr
Gerne möchte ich meine ersten Eindrücke von diesem tollen Album anhand zweier Zitate noch kurz etwas ausführen.In der Rezension des Paste-Magazins findet sich der schöne Satz: "On Phonetics, Lowenstein, Cheng, and Reece don't just sound like they're playing their instruments – they sound like they are playing." Genau diese Verspieltheit ist für mich auch ein Hauptcharakter dieses Albums, und ich finde es ziemlich souverän, mit welcher Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit sie sich dieser Spielfreude hingeben. Andererseits steht im Guardian folgende interessante Einschätzung: "The album feels almost clockwork: every element machine-tooled, a place for everything, and everything in its place." Tatsächlich habe ich bei aller Verspieltheit gleichzeitig das Gefühl, dass Band und Produzentin genau wissen, was sie wollen und wie das Resultat am Ende klingen soll. Das ist es, was ich an dem Album als sehr gekonnt empfinde. Ob man, wie im Guardian, bei ihrer zweiten Veröffentlichung gleich von einem Meisterwerk sprechen will, "a masterpiece of intention and purposefulness", sei dahingestellt. Aber vielleicht macht genau diese Mischung aus freiem Spiel und klarem Ziel einen Grossteil seines Reizes aus. Und natürlich verstehe ich die Schlussworte von Marvin insofern, als sie die Begründung dafür liefern sollen, weshalb es seiner Meinung nach nicht ganz zu einer 8/10 gereicht hat, im PT-Sprech ja bereits gleichbedeutend mit besagtem "Meisterwerk" (der Guardian vergibt eine 5/5). Es ist auf jeden Fall ein Album, das richtig Spass macht, darauf kann man sich sicher einigen. ;-) |
fuzzmyass Postings: 18262 Registriert seit 21.08.2019 |
2025-02-16 20:14:10 Uhr
Muss unbedingt noch ins Album reinhören, sehr spannend und vielversprechend |
myx Postings: 5431 Registriert seit 16.10.2016 |
2025-02-16 20:10:09 Uhr
Auf mich macht das Album vor allem auch einen souveränen, sehr gekonnten Eindruck. Sie zeigen sich durchaus als Meisterinnen ihres Fachs, ohne sich zu sehr fokussieren zu wollen ... sagt mir mein Gefühl nach dem ersten Durchgang. Stand jetzt kann ich also dem Fazit von Marvin nicht ganz folgen. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28240 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-02-16 19:11:17 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Pavement; Sonic Youth; Yo La Tengo; Guided By Voices; The Breeders; Pixies; Girlpool; Friko; Feeble Little Horse; Car Seat Headrest; Cate Le Bon; Broadcast; Stereolab; The Feelies; Young Marble Giants; Goat Girl; Camp Cope; Soccer Mommy; Chastity Belt; Momma; Pom Poko; Veronica Falls; Rolling Blackouts Coastal Fever; Just Mustard; Spirit Of The Beehive; Dry Cleaning; Wet Leg; Porridge Radio; Snail Mail; Bully; Wednesday; Ratboys; Death Cab For Cutie; My Bloody Valentine; DIIV
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