Sam Fender - People watching

Polydor / Universal
VÖ: 21.02.2025
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Perspektiven, Passanten
Ein Mann auf dem Weg nach Hause. Fremde eilen vorbei, Reklameschilder am Straßenrand. Drückende Hitze, die Gedanken schweifen ab. Zurück zu dem Pflegeheim, wo der Putz von den Wänden bröckelt und der geliebte Mensch bei dürftiger Versorgung seine letzten Tage fristet. Und vielleicht fällt Blick des Mannes dann in ein Schaufenster und im Spiegel der Glasscheibe erkennt er sich selbst. Bemerkt die Müdigkeit in den Augen, die eigene Rastlosigkeit. Man muss den Titel von Sam Fenders drittem Album "People watching" in diesem doppelten Sinne verstehen: Die Leute, das bin auch ich. Der Außenblick, der Innenblick, vielfach ineinander verschränkt. Der Senkrechtstarter aus dem Nordosten Englands ist ein genauer Beobachter. War er schon immer. Und ein talentierter Songwriter obendrein. Der Titelsong, der wie schon bei den beiden Vorgängern ganz am Beginn steht, ist eine klassische Fender-Hymne. Der treibende Rhythmus, ein Refrain, der sich höher und höher schraubt. Das Saxofon, natürlich. Und doch ist der Auftakt nicht nur more of the same, sondern deutet auch eine bescheidene Weiterentwicklung an. "People watching" ist ein Album, das zwar nicht zum ganz großen Sprung ansetzt und alles bisher Bewährte über den Haufen wirft. Das aber doch hörbar an den Stellschrauben dreht und vor allem im Feintuning seine Erfüllung findet.
Dass Adam Granduciel dabei seine Frickelfinger im Spiel hatte, glaubt man sofort. Mit breiterem und wärmerem Sound, der sorgsam geschliffen Spur auf Spur auf Spur türmt, kommt "People watching" merklich ausgereifter, man möchte beinahe sagen: erwachsener, daher. Was den neuen Songs dabei jedoch mitunter abgeht, ist diese gewisse Dringlichkeit, das ganz unmittelbar Mitreißende, das noch bis in die Haarspitzen euphorisiert durch Fenders Debütalbum und auch den Nachfolger "Seventeen going under" getragen hat. Besonders deutlich wird die Schlurfigkeit bei "Arm's length", einem Song, der mit seiner gedämpften Rhythmus-Gitarre an Tom Petty denken lässt und ansonsten durch abgeklärte Selbstgenügsamkeit punktet. "I'm selfish and I'm lonely / Arm's length / Small talk / And then some company". "It sounds like a Kurt Vile thing", hört man auf der Aufnahme eine Stimme sagen, noch bevor die Musik einsetzt, und ja, das stimmt schon. Überhaupt versteckt Fender seine Einflüsse auch dieses Mal nicht, sondern stellt sie durchaus selbstbewusst aus. In Springsteen'scher Manier malt etwa "Crumbling empire" das schroffe Panaroma eines verwüsteten Landes, die Bevölkerung im Stich gelassen von der Politik und geopfert den Profitinteressen großer Konzerne. Drogen, Obdachlosigkeit. No Future in Post-Brexit-England.
Es geht ums Durchkommen. Immer wieder. Für Dich und für mich. Für uns alle. "Everybody here's got something heavy." Einerseits. Denn aufgehoben wird diese Last in ausgeklügelten Songs, gespickt mit eingängigen Melodien. Bemerkenswert, wie der 30-Jährige die mal eben so schreibt, als wäre nichts dabei. Beispiel besagtes "Something heavy", feinster Heartland Rock made in UK. Weiteres Beispiel ist "Chin up", das zu Anfang noch die "Wonderwall"-Gitarre auspackt und dann zu radiotauglichem Pracht-Pop mutiert. Eine Kategorie, in die ebenfalls "Little bit closer" einsortiert werden darf. Und vor großen Gesten scheut auch "TV dinner" nicht zurück. Im Unterschied zum reduzierten "White privilege" von "Hypersonic missiles" baut sich Fenders Sprechgesang dabei über einem dramatisch anschwellenden Meer aus Instrumenten auf. Doch der Song behauptet nicht nur großspurig, sondern löst auch ein, indem er nämlich eine zerrissene und dunkle Tirade über den allgegenwärtigen Voyeurismus und die Lust am Elend der anderen vom Stapel lässt. "The market before anything / The darkest days are yet to sing / Like Winehouse she was just a bairn / They love her now but bled her then", heißt es darin etwa.
Was hier gut geht, geht wenig später in die Hose. "Remember my name" klingt als wäre der Song dem Soundtrack eines Disney-Weihnachtsfilms entsprungen. Aufgeblasenes Pathos, bei dem Fender immerhin seine beeindruckenden stimmlichen Fähigkeiten unter Beweis stellen kann. Daneben wirken "Nostalgia's lie" und selbst "Wild long lie" mit seinem wild gewordenen Saxofon gegen Ende geradezu lässig. Zwei Songs, die die Unehrlichkeit und den Selbstbetrug schon im Titel tragen und eher den Blick ins Innen und auf die jeweils eigene Befindlichkeit richten. "What is this place? / Can you take me back to somewhere darlin' / Where I feel safe?" Dass die Enttäuschung da nicht ausbleibt, liegt auf der Hand. Sie schwingt immer schon mit. Zugleich wird sie aber so verpackt, dass es doch nicht ganz arg weh tut. Und so ließe sich dann auch "People watching" insgesamt auf einen Nenner bringen. Als ein Werk, das bemüht ist, seinen bitteren Geschichten ein wenig von ihrer Schwere zu nehmen. Was Arrangements und die Produktion betrifft, macht Fender alles richtig. Das ist state of the art and beyond. Und genügend Zeit für sein eigenes "Nebraska" bleibt ihm ohnehin noch.
Highlights
- People watching
- Crumbling empire
- TV dinner
- Something heavy
Tracklist
- People watching
- Nostalgia's lie
- Chin up
- Wild long lie
- Arm's length
- Crumbling empire
- Little bit closer
- Rein me in
- TV dinner
- Something heavy
- Remember my name
Gesamtspielzeit: 48:28 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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embele09 Postings: 54 Registriert seit 06.11.2024 |
2025-03-02 13:54:08 Uhr
Megacool, ich freu mich schon richtig auf das Konzert in Köln ! |
MickHead Postings: 4187 Registriert seit 21.01.2024 |
2025-03-02 00:56:48 Uhr
"People Watching" (Live from The BRITs 2025)https://youtu.be/Rm-yC_xsBlg?si=rwu-wsv22C1FZBFo |
kingsuede Postings: 4531 Registriert seit 15.05.2013 |
2025-03-01 11:25:16 Uhr
Das ist nicht sonderlich überraschend. Momentaner Eindruck: Fällt etwas hinter die Vorgänger zurück. |
MickHead Postings: 4187 Registriert seit 21.01.2024 |
2025-02-28 21:41:46 Uhr
Ganz aktuell:UK Albums Chart # 1 UK Physical Albums Chart # 1 UK Update Albums Chart # 1 UK Albums Sales Chart # 1 UK Vinyl Albums Chart # 1 UK Albums Downloads Chart # 1 Scottish Albums Chart # 1 Irish Albums Chart # 2 German Albums Chart # 4 |
embele09 Postings: 54 Registriert seit 06.11.2024 |
2025-02-28 16:35:20 Uhr
Mir geht es ganz anders als euch. Mir gefällt die Produktion, das Songwriting und mal wieder die wirklich außergewöhnlichen Texte. Tolle Platte mit einem richtig guten Klang. Dieses Album wird für ihn ein Sprung in die nächst höhere Liga. |
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Referenzen
The War On Drugs; Bruce Springsteen; The Waterboys ; Brandon Flowers ; The Killers; Kurt Vile; Tom Petty; Tom Petty & The Heartbreakers; The Gaslight Anthem; Brian Fallon; Tom Grennan; Blossoms; The Pale White; The Night Café; The Glorious Sons; Manic Street Preachers; Alex Cameron; R.E.M.; The Soundtrack Of Our Lives; John Mellencamp; Sea Girls; The Amazons; The Revelries; The Police; Neil Young; Ron Gallo; The Hold Steady; Craig Finn; Peter Gabriel; The Cure; Dire Straits; Mark Knopfler; Declan McKenna; The Strokes; Liam Gallagher; Oasis; Noel Gallagher & The High Flying Birds; Arcade Fire; Frank Turner; Jeff Buckley; Steve Earle; The Weakerthans; John K. Samson; Jamie T; Editors; Frightened Rabbit; The National; Van Morrison; Kings of Leon; Ezra Furman; The Boxer Rebellion; White Lies; Augustines; Spoon; Morrissey; The Smiths
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