FKA Twigs - Eusexua

Parlophone / Warner
VÖ: 24.01.2025
Unsere Bewertung: 9/10
Eure Ø-Bewertung: 4/10

In Ekstase
Selbst die furchtbarsten Erzeugnisse der Kulturindustrie können ihre guten Seiten haben. Das wirklich unsäglich schlechte "The Crow"-Remake aus dem Jahr 2024 lässt einerseits am Verstand all seiner Verantwortlichen zweifeln, andererseits hätte die dort mitspielende FKA Twigs ohne dessen Existenz nicht die Prager Underground-Clubs in den Drehpausen aufsuchen können. Im gemeinsamen Rausch anonymer tanzender Körper erlebte Tahliah Barnett einen solchen Moment der Transzendenz, dass sie sich ein ausgedachtes Wort auf die Hand schreiben musste, das zu Titel, Inspiration und Leitidee ihres dritten Albums werden sollte: "Eusexua". Dessen genaue Bedeutung umkreiste sie erschöpfend im Vorfeld der Veröffentlichung, ist aber eigentlich gar nicht so wichtig. "Words cannot describe, baby / This feeling deep inside", heißt es im eröffnenden Titeltrack, dessen minimalistischer Beat so zwingend pulsiert, dass es einem in Kombination mit Twigs' außerweltlichem Falsett wahrlich die Organe umstülpt. FKA Twigs hat ein Club-Album gemacht. Und das ist so überragend gut, dass man sich nach nicht einmal einem Monat schon die Frage stellen muss, was 2025 noch Besseres kommen soll.
Besonders beeindruckt, wie sich die Britin unterschiedliche Ästhetiken zueigen macht, alles homogen verwebt und Banger am laufenden Band produziert. Mit seinem Spätneunziger-TripHop und warmen Gitarren hätte "Girl feels good" nicht nur stilistisch auf Madonnas "Ray of light" gepasst, es wäre dort auch ein Highlight gewesen. Das in den letzten 30 Sekunden explodierende "Perfect stranger" nutzt einfachen, an Disclosure erinnernden Two-Step, um die Sensation des Fremden zu feiern: "I don't know your friends or your ex's name / Who left who or who took the blame / I don't know and I don't care." Es ist FKA Twigs' womöglich simpelster Popsong bisher, weswegen das direkt danach platzierte "Drums of death" wie ein Statement wirkt. Kaputte Industrial-Beats und zerglitchte Vocals schleifen sich hier gegenseitig ab, bis nur noch ein roboterhafter Befehl übrigbleibt: "Crash the system, diva doll / Serve cunt / Serve violence."
Trotz der neugewonnenen Unmittelbarkeit ist und bleibt FKA Twigs eine Dekonstrukteurin. Die mit R'n'B-Lasermessern durchgeführten Selbstsektionen einer "LP1" sind auf "Eusexua" vor allem in Hälfte zwei präsent. Die sanft einengende Synth-Hypnose "24hr dog" beleuchtet lustvolle Unterwürfigkeit, "Sticky" wird sogar noch intimer und verletzlicher: "I tried to fuck you with the lights on / In the hope you'd think I'm open / And have a conversation." Am Ende bricht ein höllisch verzerrter Noise-Trap-Anfall in den Track hinein, als würden sich die leisen Sehnsüchte und Selbstzweifel zu einem emotionalen schwarzen Loch verdichten. Kein Song von "Eusexua" bleibt auf der Stelle stehen. "Keep it, hold it" verwickelt Chöre und Gesangsspuren zu einem fein ornamentierten Geflecht, das ein weiterer massiver Club-Beat in der zweiten Hälfte einfach durchschneidet. "Striptease", nach dem Opener der zweite Song-des-Jahres-Kandidat der Platte, toppt seinen Mega-Refrain nur mit einer wahnsinnig intensiven Klimax, welche die zuvor textlich abgetragenen Schichten nochmal durcheinanderwirbelt: "I'm stripping my heart 'til my pain disappears / Opening me feels like a striptease."
Nach diversen privaten Leidensepisoden fühlt sich "Eusexua" vollumfänglich wie ein Befreiungsschlag an, in dem FKA Twigs macht, was sie will. Kanyes elfjährige Tochter North West zum cartoonhaften Piano-Bouncer "Childlike things" einladen, damit diese irgendwas auf Japanisch schreit? Im abschließenden Comedown "Wanderlust" Zeilen à la "You've one life to live, do it freely" wie die tiefsinnigsten Lebensweisheiten inszenieren? Funktioniert alles, weil Twigs es auf eigenständige Weise schafft, inhaltliche und musikalische Komplexität mit einer alle Blockaden auflösenden Ekstase zu verbinden. Im Herzstück "Room of fools" vermengen sich technoides Pumpen und große Pop-Akkorde mit Kate Bush und Björk huldigender Stimmakrobatik sowie östlicher Volksmusik – und doch ist die Essenz die einfachstmögliche: "It feels nice." Wenn Sinneserlebnisse die Grenzen der Sprache überschreiten, sagen die simpelsten Botschaften mehr, als es alle Bücher der Welt könnten.
Highlights
- Eusexua
- Girl feels good
- Perfect stranger
- Striptease
Tracklist
- Eusexua
- Girl feels good
- Perfect stranger
- Drums of death (feat. Koreless)
- Room of fools
- Sticky
- Keep it, hold it
- Childlike things (feat. North West)
- Striptease
- 24hr dog
- Wanderlust
Gesamtspielzeit: 42:58 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Cayit Postings: 271 Registriert seit 05.05.2014 |
2025-02-11 10:07:55 Uhr
...ach so das 'Childlike Things' musste aber nicht aufs Album ist ein Störfaktor. |
Cayit Postings: 271 Registriert seit 05.05.2014 |
2025-02-11 10:06:37 Uhr
So, hatte das Album in der Release Woche rauf und runter gehört und es hat nicht funktioniert!Aber jetzt noch mal reingehört und die auszeit hat gut getan, jetzt funtioniert alles;) Sticky ist so was von cool die ersten 4 Songs sind eh Top und rest kommt auch gut an! 9/10 geht schon in ordnung. |
AliBlaBla Postings: 7483 Registriert seit 28.06.2020 |
2025-02-07 13:39:53 Uhr
Haha, oversexed verstehe ich janz jut, peter73, auch verwirrt (selbst für FKA Twigs Standards), aber je häufiger ich es höre, desto klarer wird mir, das ich "MAGDALENE" (2019) so viel mehr schätze, es erreicht mich ganz anders als diese Dancefloor Grooves, ...ich äußere dies aber nicht als Kritik an dem neuen in erster Linie, sondern möchte alle ermutigen, "MAGDALENE" zu hören (Kate Bush Fans eh), es ist auch irre gut gealtert.Versprochen. |
Francois Postings: 1224 Registriert seit 26.11.2019 |
2025-02-06 15:44:37 Uhr
Ich finds richtig gut! positive Überraschung und wird in den Jahreslisten garantiert vorne landen |
peter73 Postings: 3472 Registriert seit 14.09.2020 |
2025-02-06 13:48:00 Uhr
nach zwei durchläufen bin ich noch immer ratlos, oversexed und gebe verwirrte wie nicht endgültige 6,66/10zweifellos wie immer interessant, aber so schockverliebt wie manch andere(r) hier bin ich ganz und gar nicht. Andererseits: Man muss nicht alles denken, was man sagt. |
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Referenzen
Grimes; Madonna; Kelela; Charli XCX; Sophie; Arca; Björk; Billie Eilish; Kylie Minogue; Annie; Empress Of; Caroline Polachek; Beyoncé; Halsey; SZA; Banks; Abra; Sevdaliza; Dua Saleh; Jessy Lanza; Imogen Heap; Okay Kaya; Dizzy Fae; Flume; Disclosure; AlunaGeorge; James Blake; Tirzah; Half Waif; Róisín Murphy; Eartheater; Holly Herndon; Let's Eat Grandma; Kate Bush; Underworld
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