Sharon Van Etten & The Attachment Theory - Sharon Van Etten & The Attachment Theory

Jagjaguwar / Cargo
VÖ: 07.02.2025
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

Nichts zerfällt
Sharon Van Etten ist jetzt eine Band. Im Zuge von Tour-Proben habe sie ihre Mitstreiter*innen zum ersten Mal gefragt, ob sie nicht ein bisschen jammen wollten – und das erwies sich als so fruchtbar, dass in kürzester Zeit die ersten Songs und später ein ganzes gemeinsames Album entstanden. So schafft es nach dem ausdrucksstarken Front-Gemälde von "We've been going about this all wrong" erneut ein Sharon-Van-Etten-Cover, den Spirit der dahinterstehenden Musik perfekt einzufangen. Da posieren die vier – neben Van Etten sind das Bassistin Devra Hoff, Keyboarderin Teeny Lieberson und Drummer Jorge Balbi – auf einem grobkörnigen Foto, das auch das Debüt einer vergessenen, aber einflussreichen Underground-Band aus den Achtzigern oder frühen Neunzigern schmücken könnte. Und tatsächlich entwickeln The Attachment Theory zwischen wavigem Synth-Rock, Dream-Pop und ein paar Springsteen-/Petty-Gesten eine Spielfreude, die Van Ettens weiterhin grandiose, emotional vielschichtige Kompositionskunst mit einer ungestümen Leichtigkeit um spannende Facetten erweitert.
Im Gegensatz zum Vorgänger konnte man sich von dieser Qualität bereits vor Release überzeugen, da Van Etten ihre Singles dieses Mal auch wirklich auf die Platte packt. "Afterlife", ein Konzentrat vertonter Sehnsucht, beginnt bedächtig mit Drumcomputer und Falsett, bevor die Synths mit viel Drive an Nachdruck gewinnen und die Frau aus New Jersey ihre Zweifel in die Zwischenwelt schreit: "Will you feel like coming home? Does it feel like coming home?" Da fällt es nicht ins Gewicht, dass das stampfende "Southern life (What it must be like)" als zweite Single dieses Niveau nicht halten kann – selbst zu diesem späten Albumzeitpunkt ist man ohnehin noch vom Eröffnungsfeuerwerk in drei Akten berauscht. "How much do you take to start / Regeneration?", fragt Van Etten über den flackernden Tasten und Bass-Seufzern des Openers "Live forever", der die Selbstheilung mit sich überlappenden Klangschichten greifbar macht. Bis zu einem famosen Space-Rock-Finale türmt sich der Song auf, was diese ohnehin außerweltliche Stimme komplett ins All schießt. Eine wahnsinnig intensive Klimax krönt auch "Idiot box", das aber im Grunde schon vom ersten Riff an wie ein verschollener Klassiker US-amerikanischer Songwriting-Kunst klingt.
Das psychedelische "Trouble" lockert den Griff im Anschluss auf musikalischer Ebene, behält aber die emotionale Vehemenz bei. "I don't wanna lose you / Not If I choose to you", fleht Van Etten. Ihre Lyrics sind dem Geist der Platte entsprechend einfacher und direkter als sonst, wirken aber keinen Deut weniger nach. Zugegeben, bei einem Track wie "Indio" ist es allerdings auch ziemlich egal, was genau gesungen wird, so mitreißend, wie die Band hier einfach drauflos rockt und sich die Gitarren in bester Jangle-Pop-Manier umschlingen. Bassistin Hoff hat indes ihren größten Auftritt im exaltierten Post-Punker "I can't imagine (why you feel this way)", der ohne klar identifizierbaren Bezugspunkt gesellschaftliche Wut kanalisiert. "We're nothing but a world away / You're nothing but a murderer" – wer auch immer gemeint ist, das sitzt.
Kurz vor Schluss entscheiden sich The Attachment Theory dazu, es sich selbst und dem Publikum mal weniger einfach zu machen, und formen aus diesem Ethos ein Stück namens "Fading beauty". Ein fernes Synth-Echo bildet das Fundament, um das Van Etten ihre Stimme spannt, während sich die anderen Instrumente in jazziger Freiförmigkeit abtasten. Anstatt der Titelsuggestion folgend diese Dekonstruktion komplett zerfallen zu lassen, stimmt Balbi in der Schlussminute plötzlich einen klaren Rhythmus an, und die besungene Schönheit erstrahlt in voller Pracht. Die perfekte Startbahn für den mächtigen Rausschmeißer "I want you here", der die widersprüchliche Natur des Menschseins in erneut simplen Worten zusammenfasst: "And I want you here / Even if it hurts." Schmerz ist bei Sharon Van Etten dazu da, ihn sich mit kathartischer Musik von der Seele zu schaben. Und das funktioniert mit Band mindestens genauso gut wie ohne.
Highlights
- Live forever
- Afterlife
- Idiot box
- Indio
Tracklist
- Live forever
- Afterlife
- Idiot box
- Trouble
- Indio
- I can't imagine (why you feel this way)
- Somethin' ain't right
- Southern life (What it must be like)
- Fading beauty
- I want you here
Gesamtspielzeit: 45:55 min.
Referenzen
Sharon Van Etten; Siouxsie And The Banshees; Cocteau Twins; Desperate Journalist; Dum Dum Girls; Angel Olsen; Jessica Lea Mayfield; Soccer Mommy; King Hannah; Torres; Marika Hackman; The Big Moon; Mitski; Eleanor Friedberger; Julien Baker; Poliça; Yeah Yeah Yeahs; Arcade Fire; Father John Misty; Maggie Rogers; Bruce Springsteen; Tom Petty; The War On Drugs; Wolf Parade; Beach House; Broadcast; Joan As Police Woman; Nadine Shah; Cate Le Bon; St. Vincent; Talking Heads; Pink Floyd; TV On The Radio; Editors; Spoon
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- Sharon Van Etten & The Attachment Theory - Sharon Van Etten & The Attchment Theory (28 Beiträge / Letzter am 17.02.2025 - 11:56 Uhr)