Ditz - Never exhale

Republic Of Music
VÖ: 24.01.2025
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10

Adventure of a Schleiftime
Eine Schlagzeile, die man nie lesen wird: "Seth Manchester: Grammy Award und Drölffach-Platin für Arbeit an neuem Coldplay-Album!" Schließlich gibt es rein gar nichts, was den Produzenten, dank dem es auf Platten von The Body, Full Of Hell oder Big | Brave so schön brutzelt, mit den reichweitenstärksten Werbeträgern des Formatradio-Pop verbindet. Mit Ditz aus Brighton schon eher: Eine Studio-Session in Manchesters Räumlichkeiten war praktisch unter Dach und Fach, als dem Quintett plötzlich eine Support-Tour mit Idles in den Schoß fiel und Longplayer Nummer zwei nach "The great regression" anderswo eingeschreddert werden musste. Immerhin übernahm der Mann aus Rhode Island die Abmischung der fertig aufgenommenen Songs – und am Ende waren alle zufrieden. Was das nun um alles in der Welt mit Coldplay zu tun hat? Natürlich nicht das Geringste.
Abgesehen davon, dass der Opener der ersten Ditz-EP von 2016 ausgerechnet "I am Chris Martin" hieß. Wozu man im Grunde nur sagen kann: Nö, isser nich. Stattdessen handelt es sich um Callum Francis, der sich circa im Stile des unvergessenen Mark E. Smith mürrisch blökend den Kehlkopf wundraspelt. Knapp neun Jahre später hat sich genauso wenig daran geändert wie an Ditz' möglichst roher, wildgewachsener Variante von Post-Punk. Oder vielmehr Post-Post-Punk, wie die Band selbst dazu sagt. Und schon im ersten richtiggehenden Song gehen rollende Rhythmusgruppe und grelle Licks so stoisch und zwingend nach vorne, dass Dara Kiely von Gilla Band jederzeit "I spent all my money on shit clothes" dazwischenkeifen könnte. Und auch der Fünfer trägt auf Pressebildern teils gewöhnungsbedürftige Regenklamotten zur Schau. Nicht schön, aber selten.
Gilt ebenso für "Never exhale" – eine Platte, zu der man besser nicht allzu leicht durch die Öljacke ausatmet. Zu beunruhigende Bilder entwerfen Francis und Kolleg*innen: Ist der "Taxi man" nur der Typ, der einen nach einer durchsumpften Nacht nach Hause kutschiert, oder doch der finstere Fährmann, mit dem man wider Willen an einen Ort schippert, wo keine Uber-App der Welt mehr helfen kann? Auch "Senor Siniestro" kreischt ganz verzweifelt "Let me out", bevor sich das gleichnamige Stück nach skelettiertem Beginn über brachiale Noise-Rock-Handkantenschläge zum aus allen Nähten platzenden, schleifenden Monster-Groover verpuppt. Und was hat der Allmächtige in "God on a speed dial" auf der Kurzwahltaste verloren? Womöglich das Intro-Riff aus "Sweet child o' mine"? Dann viel Spaß beim Suchen in zweieinhalb Minuten begeisterndem, abenteuerlichem Chaos.
Doch abseits solcher herrlich aufgewühlten Momente machen Ditz auch das eine oder andere Friedensangebot, wenn man es denn erkennt. "Space / smile" benötigt keine zwei Minuten für blechernen Bierdeckel-Punk, "Four" kommt relativ fix zur ruppigen Indie-Dance-Sache. Bald ist jedoch Schluss mit lustig – spätestens in "Smells like something died in here", das nicht etwa komisch riecht, sondern zu Prengel-Bass, Elektronik und blickdichten Gitarren ein eskalierendes Drama über Verfall und Altern inszeniert. Und stellt man sich Radiohead während einer außerkörperlichen Erfahrung vor, bei der alle viel rennen müssen, findet auch "The body as a structure" ein stacheliges Plätzchen im Gemüt. Dass im Closer "Britney" nicht die eine Blonde aus dem Formatradio wartet, dürfte ohnehin klar sein. Denn "Never exhale" bleibt bis zum Schluss nicht schön, sondern großartig.
Highlights
- Taxi man
- Senor Siniestro
- God on a speed dial
- Smells like something died in here
Tracklist
- V70
- Taxi man
- Space / smile
- Senor Siniestro
- Four
- God on a speed dial
- Smells like something died in here
- 18 wheeler
- The body as a structure
- Britney
Gesamtspielzeit: 38:15 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Francois Postings: 1224 Registriert seit 26.11.2019 |
2025-02-07 09:54:37 Uhr
Ich hab die als Support Act von Idles in Wien gesehen und fand die umwerfend! |
Glufke Postings: 944 Registriert seit 15.08.2017 |
2025-01-31 21:33:23 Uhr
Gute Rezi, angemessene Bewertung! Gehe auch voll mit dem letzten Satz mit. Definitiv keine schöne Musik, aber großartig in der Tat. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28017 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-01-31 20:25:22 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
MasterOfDisaster69 Postings: 1004 Registriert seit 19.05.2014 |
2025-01-27 12:12:02 Uhr
auch Schoenheit in der Visions.Gefaellt! https://www.youtube.com/watch?v=dGnfCttzcxU |
zeckezichter Postings: 494 Registriert seit 07.11.2021 |
2025-01-26 18:50:36 Uhr
Wir brauchen endlich die Edit-Funktion!Ich meinte natürlich "Space/Smile" und nicht "Taxi Man". "Four" finde ich auch gut. |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Gilla Band; Heavy Lungs; Yard Act; Chalk; Lice; Crows; High Vis; Life; John; Idles; Shame; The Fall; House Of All; TV Priest; Italia 90; Treeboy & Arc; Naked Lungs; Deadletter; Courting; Feet; Model/Actriz; Squid; Skinner; Bambara; Dry Cleaning; Meatraffle; Flat Worms; Wax Chattels; Metz; Pissed Jeans; McLusky; Future Of The Left; USA Nails; Protomartyr; The Murder Capital; Fontaines D.C.; Gang Of Four; Joy Division; Wire; Art Brut; Sleaford Mods; Big Special; Folly Group; Fat Dog; Foals; Gurriers; Enola Gay; Sprints; Big Black; Shellac; The Jesus Lizard; Naked Raygun; Big'n; The Membranes; Inca Babies; Bogshed; Half Man Half Biscuit; Yeah Yeah Noh; A Witness