Iggy Pop - Live at Montreux Jazz Festival 2023

earMUSIC / Kontor New Media / Edel
VÖ: 24.01.2025
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10

Oben ohne, sonst mit allem
Zunächst mag es wie eine eher ungewöhnliche Kombination anmuten: Iggy Pop, der lederhäutige Proto-Punk-Berserker auf einem Jazz-Festival? Das legendäre Montreux Jazz ist freilich seit jeher mehr als nur eine Heimat für Swing, Bebop und Co. Bereits 1970 war mit Led Zeppelin veritables Abrocken dort möglich, später erweiterte sich der Fokus der Veranstaltung immer weiter auch in Richtung Pop oder elektronischer Musik. Für Iggy Pop, dessen Vortragskunst David Bowie einst als "Verbal Jazz" bezeichnet hatte, war es 2023 bereits der dritte Auftritt in Montreux. Der zu dem Zeitpunkt 76-jährige US-Amerikaner legte einen ungeheuer elektrisierenden Auftritt hin, den es jetzt sowohl auf Blu-Ray zu bestaunen als auch rein akustisch als Livealbum zu genießen gibt.
Iggys spätes Karriere-Ausrufezeichen "Post pop depression" von anno 2016 lieferte im selben Jahr Futter für eine ebenso großartige Live-Platte. Es zeugt von einem doch sehr eindrucksvollen musikalischen Lebenswerk, dass sich kaum eine Handvoll der seinerzeit dargebotenen Songs auch auf "Live at Montreux Jazz Festival 2023" wiederfindet und doch beiden Konzertaufnahmen das klassische "All killer, no filler"-Label durchaus gebührt. Zu den Klängen des treibenden Intros von "Five foot one" begrüßt Iggy das Auditorium gewohnt charmant mit einem "Hey motherfuckers, kiss my ass", bevor er gemeinsam mit seiner siebenköpfigen Band die Bude rockt, als ob es kein Morgen gäbe. Mit einem völlig entfesselten "TV eye" wird der Konzertsaal zum "Fun house" und vom gleichnamigen Meilenstein von The Stooges gibt es mit dem verspielten "Down on the street" und dem Punk-Inferno von "Loose" später gleich noch zwei weitere Klassiker zu hören. Der "Modern day ripoff" von der noch immer aktuellen Platte "Every loser" wirkt zwar wie ein ebensolcher des Sounds von The Stooges, in diesem Fall geht Arschtritt aber definitiv vor Originalität und das zurecht. Wobei dies nicht bedeuten soll, dass die Arrangements der Songs einfallslos ausfallen. Vor allem der Bläsersatz setzt immer wieder besondere Akzente und sorgt im Zusammenspiel mit der klassischen Rockbandbesetzung für Dringlichkeit und Schwung, aber auch eine gewisse Leichtigkeit.
Letzteres gilt für den eleganten Jazz-Groove von "The passenger", dessen lustvoller "Lala lala lalalala"-Singalong schon fast an ein Coldplay-Konzert erinnert und von Iggy mit einem begeisterten Ächzen quittiert wird. Das klassische Drum-Pattern im Intro von "Lust for life" sorgt wie der gesamte Song selbst im heimischen Wohnzimmer noch für einen Adrenalin-Kick und wenn dann plötzlich auch noch ein kleiner Junge auf die Bühne geholt wird und den Songtitel mitgrölen darf, macht das einfach Spaß. Zum endgültig generationenverbindenden Abend wird das Konzert übrigens etwas später, wenn der anscheinend auf ewig unkaputtbare Iggy während des fetzenden "Death trip" den Moshpit in den vorderen Reihen bittet, doch etwas mehr auf einen "old guy" Rücksicht zu nehmen, der bei Betrachtung des Bildmaterials freilich mindestens zehn Jahre jünger aussieht als der wettergegerbte Rock-Monolith selbst.
Zuvor bieten der intensive, basslastige Düster-Dub von "Endless sea" mit Pops vitriolgegurgeltem Crooning ebenso wie später das konsumkritische "Mass production" willkommene Kontrapunkte zum Dauerbeschuss mit mitreißenden Riffs. "Sick of you" tarnt sich zunächst als Jazz-Schunkler, mit diabolischem Vergnügen lassen Pop und die Band den Song etwa zur Hälfte der Spielzeit hart und herzlich rocken und samt sägendem Gitarrensolo explodieren. Nur um nach einer etwas zurückhaltenden Version von "I wanna be your dog" zum Abschluss des regulären Sets noch einen draufzulegen: Mit dem legendären The-Stooges-Track "Search and destroy" reißt Pop sowas von die Bude ein, dass einem fast der Atem stehen bleibt. Im Zugabenteil weiß vor allem "Nightclubbing" zu gefallen, das die Band wie von Iggy instruiert, so "nice and creepy" darbietet, dass es auch auf der Bühne des Roadhouse in David Lynchs "Twin Peaks" gute Figur machen würde. Iggy Pop und Band liefern hier auf erstaunlichem Niveau ab und kommen außerdem im Sommer auch für einige Konzerte nach Deutschland. Daher Vorsicht: Der Genuss dieser Platte führt nahezu unweigerlich zum sofortigen Ticketkauf. Iggy, wir sehen uns.
Highlights
- The passenger
- Sick of you
- Search and destroy
- Nightclubbing
Tracklist
- Five foot one
- TV eye
- Modern day ripoff
- Raw power
- Gimme danger
- The passenger
- Lust for life
- Endless sea
- Death trip
- Sick of you
- I wanna be your dog
- Search and destroy
- Mass production
- Nightclubbing
- Down on the street
- Loose
- Frenzy
Gesamtspielzeit: 84:38 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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fuzzmyass Postings: 18092 Registriert seit 21.08.2019 |
2025-01-25 03:56:20 Uhr
Sehr geiler Auftritt und auch super Rezension. |
Deaf Postings: 3135 Registriert seit 14.06.2013 |
2025-01-24 18:50:57 Uhr
Ja, habe ich damals in der TV-Übertragung gesehen, wäre ich gerne dabei gewesen. Toll, dass es das jetzt auf Blu-ray gibt. Sowas sollte es eh öfter geben, verstehe bis heute nicht, warum bspw. "Distant Sky" von Nick Cave nur als Stream veröffentlicht wurde. |
fuzzmyass Postings: 18092 Registriert seit 21.08.2019 |
2025-01-24 18:41:44 Uhr
Vorhin die Bluray gekauft - wird heute geschaut, die Konzerte 2023 waren killer |
Koller Postings: 4 Registriert seit 20.11.2020 |
2025-01-24 18:30:34 Uhr
Geil! Fetzt ohne Ende. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28017 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-01-23 21:16:24 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
The Stooges; David Bowie; Lou Reed; New York Dolls; The Damned; Buzzcocks; Dead Boys; Misfits; Ramones; The Clash; The Modern Lovers; The Saints; Television; Wipers; Wire; Idles; Amyl And The Sniffers; The Sonics; MC5; Smoke Blow; The Strokes; The Libertines; Queens Of The Stone Age; The Stranglers; Them Crooked Vultures
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