Rainhard Fendrich - Wimpernschlag

RJF
VÖ: 31.01.2025
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

Mach's so, mach's so
Die vorgeblichen Experten sind sich uneins, ob Johann Baptist Holzer oder doch Paul Wranitzky die Melodie zur Österreichischen Bundeshymne komponiert hat. Als Textdichterin wird die Lyrikerin und Widerstandskämpferin Paula Preradovic genannt. Tief drin im Herzen ist es aber den meisten Österreicher*innen eh kloa, dass die heimliche Hymne nur "I am from Austria" von Rainhard Fendrich sein kann. Der vielschichtig jeden Hurra-Patriotismus vermeidende auch bis dato schon Evergreen wurde im letzten Sommer, ganze 35 Jahre nach seiner Veröffentlichung, bei jedem Auftritt des rot-weiß-roten Teams bei der Fußball-EM vieltausendkehlig angestimmt. Mah, wie schean. In den langen Jahren seiner Karriere irgendwo zwischen (Austro-)Pop-Hallodri und Liedermacher hat Fendrich mindestens eine Handvoll Klassiker dieser oder zumindest fast dieser Kategorie geliefert: "Macho Macho" und "Strada del sole" waren augenzwinkernde Sommerhits, und "Weus'd a Herz hast wia a Bergwerk" ist womöglich das schönste Liebeslied in (so etwas ähnliches wie) deutscher Sprache überhaupt.
So viel Retrospektive muss anlässlich Fendrichs neuem Studioalbum "Wimpernschlag" erlaubt sein, gerade weil auch der Wiener selbst mit Albumtitel und -cover den Blick zurück auf seine 45 Jahre währende Studiokarriere wagt. Dankenswerterweise gibt es dazu nicht nur ein Live-Album oder eine neue Greatest Hits, sondern ganze sechzehn brandneue Songs. Und auch wenn Fendrich sich durchaus mit Stationen seiner Biografie beschäftigt, handelt es sich nicht ausschließlich um eine autobiografische Nabelschau. Vielmehr liefert der 69-Jährige routiniert ab und beackert wie quasi immer mal ernst und mal humoristisch die kleine Welt des Zwischenmenschlichen ebenso wie mit klarer Kante die große Politik. Vor lauter Überraschung über den mit etwas arg stumpfem Beat deutlich in Richtung zeitgenössischen Elektropop getrimmten Sound, geht der trotzige Appell zum politischen Aktivismus des Openers "Wir sind am Leben" fast etwas unter. Im apokalyptischen Abgesang "Wake up call" sinniert Fendrich ironiefrei und trotzdem niemals peinlich über die Klimakatastophe, und mit der feinen Liebesballade "Hoit mi" über die Grenzen des Alleinseinwollens beweist Fendrich wieder einmal seine Liedermachermeisterschaft.
Eine klimaneutrale Alternative zur "Strada del sole" bildet der "Nachtzug nach Jesolo", und der gleichnamige Song überzeugt lyrisch durch eine Konfrontation mit der nostalgischen Verklärung der eigenen Jugendzeit und auch mit einem schicken Groove, der sich beim Achtziger-Klassiker "Down under" bedient. Der abgeklärte Alphaville-Kontrapunkt "Nie wieder jung sein" erteilt jeglicher Nostalgie dann endgültig eine Absage.
Die rhythmische Rumba "Warteschleife" erheitert als humoristisch-harmlose Alltagsbeobachtung aus der beliebten Kategorie "lustig, weil es stimmt". Bei der beißenden Satire "Wladimir" hingegen, einem Spott-Kasatschok über den russischen Despoten, bleibt das Lachen jedoch bei Zeilen wie "Auf einmal kam der Tag, an dem kein Krieg begann" auch einmal im Halse stecken. Überhaupt ist Fendrich, sicherlich auch angesichts der in Österreich wieder mal erstarkten politischen Rechtsausleger, politisch und pazifistisch explizit wie selten. Leider im Gewand eines plätschernden Schlagers thematisiert "Über's Meer" (sic!) Boote voller Geflüchteter, und "Die Kinder des Krieges" und ihre Traumatisierungen erhalten ebenfalls eine Stimme. Das abschließende "Nie mehr Krieg" ist dann eine Art Zweitliga-"Imagine". Immer gut gemeint und aller Ehren wert, aber letztlich nicht komplett überzeugend. Hier hätte Fendrich im Interesse der Hitdichte etwas mehr Mut zur Kürzung der mit 16 Songs doch recht langen Tracklist gutgetan. Vielleicht dann ja beim nächsten Mal, denn wie heißt es in "Nie wieder jung sein" so überaus hoffnungsvoll: "Ist der Morgen auch noch so schön, es kommt immer noch ein schönerer."
Highlights
- Hoit mi
- Nachtzug nach Jesolo
- Nie wieder jung sein
Tracklist
- Wir sind am Leben
- Wake up call
- Hoit mi
- Warteschleife
- Nachtzug nach Jesolo
- Glaub net alles
- Das kleine Glück
- Nie wieder jung sein
- Und das Herz schlägt weiter
- Über's Meer
- Die Kinder des Krieges
- Nur ein Wimpernschlag
- Nebenan
- Schöne Aug'n
- Wladimir
- Nie mehr Krieg
Gesamtspielzeit: 51:57 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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MickHead Postings: 3580 Registriert seit 21.01.2024 |
2025-02-02 12:04:44 Uhr
Laut.de gibt 4/5https://laut.de/Rainhard-Fendrich/Alben/Wimpernschlag-124706 |
Sloppy-Ray Hasselhoff Postings: 2423 Registriert seit 02.12.2019 |
2025-01-28 16:31:18 Uhr
>Die Metapher ist zwar schon schief<boah, tut mir das gut, dass ich einen beitrag von dir mal abmnicken kann. |
Orph Postings: 573 Registriert seit 13.06.2013 |
2025-01-28 16:07:00 Uhr
Der Schöpfer der heimlichen Plattentests-Forums-Hymne: I kenn die Leit', I kenn di Ratten Die Dummheit die zum Himmel schreit |
andygoestohollywood Postings: 247 Registriert seit 27.11.2023 |
2025-01-24 17:33:14 Uhr
"Wien bei Nacht" zähl ich jetzt auch nicht zu den Highlights, aber eine Musiklegende und talentierter Moderator..hach ja, die 90er mit Herzblatt. Oli P. nennt sich ja auch Musiker und Schauspieler, aber das ist halt ein Unterschied. |
Christopher Plattentests.de-Mitarbeiter Postings: 3778 Registriert seit 12.12.2013 |
2025-01-24 15:33:13 Uhr
Ich gestehe, dass ich das Bergwerk-Lied irgendwie mag. Die Metapher ist zwar schon schief, aber gerade in den Strophen sind da ein paar wirklich schöne Verse dabei. |
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Referenzen
Georg Danzer; Wolfgang Ambros; Austria 3; Reinhard Mey; Seiler und Speer; STS; Peter Cornelius; Ludwig Hirsch; Konstantin Wecker; Hannes Wader; Pizzera & Jaus; Josh; Gert Steinbäcker; Hans Hartz; Udo Jürgens; Werner Schmidbauer; Der Nino Aus Wien; Ernst Molden; folkshilfe; Juliane Werding; Element Of Crime; Herbert Grönemeyer; Tim Bendzko; Bosse; Mark Forster
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- Rainhard Fendrich - Wimpernschlag (13 Beiträge / Letzter am 02.02.2025 - 12:04 Uhr)