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Fynn Kliemann - Tod

Fynn Kliemann- Tod

twoFinger / Oderso
VÖ: 10.01.2025

Unsere Bewertung: 3/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Mit allen Mitteln

Um vorherzusehen, dass die Kritiken zu Fynn Kliemanns drittem Album unabhängig von dessen Qualität kritischer ausfallen werden als jene zu den beiden Vorgängern, muss man kein Prophet sein. Auch die These, dass kein Song auf "Tod" seinen Weg in die Heavy Rotation der Kliemann zuvor wohlgesonnenen öffentlich-rechtlichen Jugendradiosender finden wird, dürfte von niemandem als steil bewertet werden. Schließlich brach im Mai 2022 Deutschlands selbstgerechtester, im ZDF urteilender Scharfrichter mittels unschöner Enthüllungen seinen Stab über den geschäftstüchtigen Niedersachsen. Doch auch wenn man als Rezipient Kunst und Künstler konsequent trennt, macht es der ehemalige YouTuber einem leicht, "Tod" zu verreißen.

Das "Intro" und die erste Hälfte von "Funkloch" lassen einen noch glauben, es habe sich auf Kliemanns dritter LP nichts verändert. Hier funktioniert die altbekannte Übereinanderschichtung von seiner rauen Stimme, Beats, Klaviertönen und Samples noch. Der Satz "Gewissen liegt bei Schöller in der Truhe" im "Intro" lässt einen gar hoffen, das im Pressetext verkündete Versprechen, hier habe jemand künstlerisch "die eigene Vergangenheit aufgearbeitet", werde auf Albumlänge eingelöst. Aber das wird es nicht. Nach einem unpeinlichen kliemannschen Stream of Consciousness mündet "Funkloch" in einen mit "Hey!"-Rufen unterlegten Refrain, der verdeutlicht: Hier will jemand mit allen Mitteln zurück an die Spitze der deutschen Albumcharts.

Der Promotext verlautet, "die Person, die Fynn Kliemann über viele Jahre ganz DIY-Style aufgebaut" habe, sei "im Angesicht des Trubels der letzten Jahre auch irgendwie gestorben". Aus der Not macht Produzent Philipp Schwär eine Tugend. Nun, da Kliemann ohnehin nicht mehr zur Audienz in den royalen Teil des ZDF gebeten wird und gelangweilte Erstsemester zwecks guten Gewissens nicht mehr zur Hauptzielgruppe gehören, umwirbt man eine noch jüngere und anspruchslosere Zielgruppe. Was das im Detail heißt? Weniger Artikel vor Substantiven, noch weniger analoge Musikinstrumente, mehr Uptempo, mehr aufdringliche Beats, mehr Sprechgesang, omnipräsentes Autotune und, besonders auffällig, mehr Lautmalerei. Ist der Ruf erst einmal ruiniert, uoooh-uoooht ("Leder in Asphalt"), ba-da-da-dapt ("Klebeband") und da-da-da-da-dat ("Die Hoffnung") es sich ganz ungeniert. In Tracks wie "Leder in Asphalt" bleibt jeder traurige Blick in die Zukunft ("Aber diese [Wunde] bleibt / Vielleicht 'ne Ewigkeit") und jede Kampfansage ("Hab nur noch Feinde oder Erben") mitsingkompatibel.

Besonders nervig und sich bei Teenies anbiedernd: "JPG", in dem Kliemann mit Weisheiten wie "Jean Paul Gaultier, der ganze Nacken klebt / Zucker, Sehnsucht und Pommes frites" in die von Lea und Co. verteidigten Niederungen der deutschsprachigen Popmusik abgleitet. Voll deepe Plattenbauphilosophie betreibt der 36-Jährige auch in der Autotune-Hölle "FIN": "Mein Kopf kippt, wo sind all die Sehnen hin? Was weiß ich, wo ich bin, wo ich bin?" Das Grundschulhumor-Sample am Ende des Interludes "Die schönsten Tage", in dem eine aufgebrachte Person hörbar schwäbischer Herkunft einer anderen mit Schlägen droht, passt ins Bild.

Die durchkalkulierte Stromlinienförmigkeit beschließt der Titeltrack, in dem kein Reim zu unrein und dämlich ist, um nicht verwendet zu werden. Es handelt sich um die formatradiotaugliche Vertonung eines Gesprächs zwischen dem lyrischen Ich und Gevatter Tod: "Alter Freund, lass jetzt los! / Du kriegst mich schon noch tot!" Bei Ingmar Bergman und anderen Künstlern verliefen Gespräche dieser Art weitaus stilvoller. Was die kindischen Lyrics außen vor lassen: Für die vage Hoffnung auf eine Rückkehr an den Sonnenplatz der Charts verkauft Fynn Kliemann dem Sensenmann das letzte Quäntchen Authentizität.

(Dennis Rieger)

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Highlights

  • Intro

Tracklist

  1. Intro
  2. Funkloch
  3. Woanders
  4. Nachtschicht
  5. JPG
  6. Du wirst mir fehlen
  7. Leder in Asphalt
  8. Klebeband
  9. Die schönsten Tage
  10. FIN
  11. Terpentin
  12. Paris reprise
  13. Die Hoffnung
  14. Tod

Gesamtspielzeit: 32:36 min.

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User Beitrag

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 27844

Registriert seit 08.01.2012

2025-01-06 22:37:03 Uhr
Bitte geht auf die Einzelfälle nicht noch tiefer ein. Das ist oft auf rechtlich heiklem Metier, und anders als bei uns hat man bei Jan Böhmermann sicherlich Leute, die sich um so was kümmern. Danke.

Rhyton

Postings: 922

Registriert seit 26.09.2024

2025-01-06 20:36:50 Uhr
Das "zu Recht" hätte den Satz völlig unproblematisch gemacht, da das dann beide Ansichten abgedeckt hätte. Wärs mal besser drin geblieben.

Arne Schönbohm war einfach himmelschreiend inkompetent, und dazu in einer sehr wichtigen Position. Und imo reicht allein der Verdacht, dass jemand mit russischen Geheimdiensten zu tun hat, um diese Person als IT-Sicherheitschef Deutschlands zu feuern, aber das ist nur meine Meinung. Das ZDF Magazin hat lediglich darauf hingewiesen, und damit genau das gemacht wozu sie da sind.

Im Übrigen ist auch Arne Schönbohm nicht gecancelt, er hat direkt im Anschluss zweit sehr gute Stellen bekommen. Ähnlich wie Fynn Kliemann im Prinzip weiter macht wie zuvor, große Teile seiner Fanbase sind ihm treu und er ist weiter reich wie son Goldesel. Aber Glückwunsch zur rhetorischen Figur, das "Canceln" umzudrehen und zu behaupten, jede Seite würde ihre Leute sofort immer in Schutz nehmen, und man dürfe niemanden mehr kritisieren, netter Versuch. Auf der "linken" Seite fällt mir niemand ein, der da geschützt würde, im Gegenteil, die werden immer am schlimmsten von den eigenen Leuten zerfleischt, wie El Hotzo oder Thilo Mischke aktuell. Beschützt werden immer nur die rechten Spinner.

Huhnmeister

Postings: 2761

Registriert seit 22.08.2022

2025-01-06 20:09:44 Uhr
Ich beobachte derzeit auf beiden Seiten des politischen Spektrums die imho gefährliche Tendenz, dass man diejenigen, denen man sich politisch zugehörig fühlt, stets in Schutz nimmt.

So wahr! Unglaublich, wie viele Menschen sich in der behaglichen Gewissheit suhlen, auf der guten und richtigen Seite zu stehen und dabei ausblenden, dass die Welt ein wenig differenzierter ist.

Dennis R.

Plattentests.de-Mitarbeiter

Postings: 1

Registriert seit 06.01.2025

2025-01-06 20:01:35 Uhr
Hallo allerseits,

ich habe ein bisschen mit mir gerungen, habe mich jetzt aber ob des Feedbacks zu meiner Stichelei gegen Jan Böhmermann dafür entschieden, mich zu äußern.

@ lucarelli

„Alles gut bei Dir, Dennis Rieger?“

Nein, ich leide unter einem Urteilsvermögen, das mich unverschämterweise dazu verleitet, auch polarisierende Prominente notorisch ambivalent zu beurteilen. Aber danke für die Nachfrage!

@ nörtz

„Schreibt Dennis Rieger sonst für Welt und Cicero?“

Für die „Welt“ schreibe ich unter dem Pseudonym „Ulf Poschardt“. ;-)(der Zwinkersmiley ist nur da, um zu verhindern, dass Herr Poschardt mich wegen Verbreitung von Fake News verklagt)

Und jetzt ganz im Ernst: Fynn Kliemann nannte sein neues Album „Tod“ und spielt auch im Artwork mit diesem Thema. Da versteht es sich von selbst, dass man in einer Rezension versucht, dieses Thema aufzugreifen – andernfalls hätte ich das bewusst überspitzte Sprachbild auch nicht genutzt. Mir erschien es beim Schreiben der Rezension als passend und mir erscheint es auch weiterhin als passend.

Ich schätze den Moderationsstil Jan Böhmermanns, der das Herz am richtigen Fleck hat, und bin der Meinung, dass das ZDF-Magazin-Royal-Team zumeist hervorragende Recherchearbeit leistet. Um zu verdeutlichen, dass es sich bei meiner Stichelei eben nicht um eine „Generalabrechnung“, sondern eher um ein vergiftetes Lob handelte, und um darüber hinaus klarzustellen, dass das Team auch im Fall Fynn Kliemann tolle Arbeit leistete und kein kausaler Zusammenhang zwischen meinem Selbstherrlichkeitsvorwurf an Böhmermann und dem Fall Kliemann besteht, stand in meiner ursprünglichen Version der Rezension hinter meinem vielkritisierten Satz noch der Zusatz „– zu Recht!“. Armin und ich hatten uns anschließend darauf geeinigt, den Zusatz zu streichen. Im Fall Kliemann hat das ZDF-Magazin-Royal-Team nach blitzsauberer Recherche das Saubermann-Image, das dieser pflegte, mit heftigen Enthüllungen dekonstruiert – was ich super finde.

User Saschek hat das Problem, das ich mit Böhmermann habe, bereits perfekt formuliert angedeutet: nämlich, dass das „programmbedingte wöchentliche Aufdecken von Skandalen mitunter übers Ziel hinausschießt“. Als Musterbeispiel ließe sich der Fall Arne Schönbohm anführen. Hier wurde mittels nicht verifizierbarer Unterstellungen versucht, eine Karriere zu zerstören. Ist es angesichts dieses Falls und ähnlicher Fälle zu hoch gegriffen, Böhmermann satirisch-überspitzt als „Scharfrichter“ zu bezeichnen? Ich finde nicht.
Folgte nach der verdienten Kritik zum Fall Schönbohm eine Entschuldigung Böhmermanns? Oder nach der Niederlage des Satirikers vor Gericht? Nein. Daher rührt mein Vorwurf der Selbstgerechtigkeit.

Wie mutig wäre es gewesen, VOR dem offen geführten russischen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine BEWEISBARE Skandale über die notorischen Kreml-Kuschler unter deutschen Politikerinnen und Politikern aufzudecken – über all die Schwesigs und Wagenknechte! Mir sind aber keine damaligen entsprechenden Aufdeckungen des ZDF-Magazin-Royal-Teams dazu bekannt. Angesichts meiner damaligen studentischen Erfahrungen mit Kreml-Verstehern unter den älteren Professoren weiß ich, dass so etwas damals Mut benötigt hätte. Im November 2022, als sich der öffentliche Wind gegenüber den zuvor so oft verharmlosten expansionswütigen Herren des Kremls zu Recht gedreht hatte, wirkte das Aufbauschen des vergleichsweise harmlosen Falls Schönbohm im ZDF Magazin Royal (und das mindestens unseriöse Hinzudichten vermeintlicher Absichten Schönbohms) auf mich wie parteipolitisch motivierter Opportunismus.

Der einzige Grund, warum ich diesen langen Beitrag verfasst habe: Einige User verorteten meine apolitische Stichelei gegenüber Jan Böhmermann im Links-rechts-Spektrum. So wenig, wie mich mein Anti-Trump-Statement in einer auf einer anderen Musikwebsite veröffentlichten Rezension zu Father John Mistys „Mahashmashana“ zu einem Linken macht, macht mich meine Kritik an Jan Böhmermann zu einem Rechten. Ich beobachte derzeit auf beiden Seiten des politischen Spektrums die imho gefährliche Tendenz, dass man diejenigen, denen man sich politisch zugehörig fühlt, stets in Schutz nimmt. Mir hingegen ist es wichtig, ALLE zu kritisieren, die in meinen Augen falsch gehandelt oder wirres Zeug geredet haben, mögen sie – und nein, das ist weder in moralischer noch in sonstiger Hinsicht eine Gleichsetzung der genannten Personen – Hengameh Yaghoobifarah, Jan Böhmermann oder Elon Musk heißen.

Mich persönlich würde es freuen, wenn sich Diskussionen in einem Musikforum in erster Linie um Musik drehen - insbesondere Diskussionen zu unpolitischer Musik wie der Fynn Kliemanns. Insofern: Wenn jemand, sobald „Tod“ am Freitag erscheint, die generische Grütze weitaus besser findet als ich, lese ich konstruktive Kritik zu der Tatsache, dass ich das Album verrissen habe, sehr gerne.

So long, and thanks for all the soy fish!

Dennis R.

Obrac

Postings: 2522

Registriert seit 13.06.2013

2025-01-06 11:44:10 Uhr
Man kann natürlich zu Recht argumentieren, dass es erlaubt sein muss, Böhmermann zu kritisieren, aber ein bitterer Beigeschmack bleibt bei der Rezi dann doch, da solche Kommentare fast immer aus einer bestimmten Ecke kommen.

Zu Kliemann: Der kann auch hundertmal beteuern, ganz viel aus der Sache gelernt zu haben. Wenn er nicht ertappt worden wäre, hätte er höchstwahrscheinlich trotzdem genauso weitergemacht.
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