Arooj Aftab - Night reign
Verve / Universal
VÖ: 31.05.2024
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Belongs to lovers
"We'll fade into the night / On the weight of your perfume / I'm drunk and you're insane / Tell me how will we get home." In der wunderschönen Folk-Ballade "Whiskey" entscheidet sich Arooj Aftab dazu, eine geliebte Person zu akzeptieren, und taumelt in mehrerlei Hinsicht berauscht durch die Dunkelheit. "Vulture prince", das Album, das der pakistanischstämmigen New Yorkerin zum relativen Durchbruch verhalf, war noch von der Trauer über ihren verstorbenen Bruder geprägt. Auf dem Solo-Nachfolger "Night reign" – dazwischen gab es noch "Love in exile", ein Kollabo-Werk mit Vijay Iyer und Shahzad Ismaily – öffnet sie sich einer bunteren Gefühlspalette. Die Nacht ist schließlich nicht nur der Ort einsamer Kontemplation, sondern auch der der gemeinsamen Ekstase und wundersamen Geheimnisse. Musikalisch äußert sich diese Textur in einer ungehemmten Neugier, mit deren Hilfe Aftab und ihre Mitstreiter*innen Stilgrenzen noch freier ausloten als zuvor. Aftabs Hochklasse als Sängerin, Songwriterin und Arrangeurin versetzt in Staunen und fließt in Songs, die sich trotz Jazz-naher Strukturoffenheit eine eigentümliche Zugänglichkeit bewahren – auch wenn sie ihre volle Wirkung sicher wieder nur nach Sonnenuntergang entfalten.
Dass Aftab erneut größtenteils auf Urdu singt, tut dieser Zugänglichkeit keinen Abbruch – man muss kein Wort verstehen, um die gleich im famosen Opener "Aey nehin" artikulierte Sehnsucht greifen zu können. Kaki Kings und Gyan Rileys Akustikgitarren perlen im Einklang, Maeve Gilchrist setzt reizvolle Akzente an der Harfe, und die später einsetzende Percussion verleiht dem Track noch mehr Zug als ohnehin schon. "Na gul" fügt ein Piano zum Tanz der Instrumente hinzu, der in einem Flügelhorn-unterstützten, melodisch strahlenden Finale kulminiert. Es ist einer von zwei Songs, die ihre Lyrics aus Gedichten von Mah Laqa Bai Chanda entnehmen, einer Dichterin aus dem 18. Jahrhundert, die als erste Frau Werke auf Urdu veröffentlichte. Der andere, das von Iyer am Klavier begleitete "Saaqi", erstarrt vor atmosphärischer Schönheit. Dessen Stillstand ist keineswegs exemplarisch für eine Platte, die trotz reduzierter Mittel konstant nach vorne drängt. Im Reprise des "Vulture prince"-Stücks "Last night" drehen King und Gilchrist zusammen mit Cautious Clay an der Flöte und Elvis Costello (ja, der) am Wurlitzer komplett frei, bevor sich Aftab im Schlussdrittel durchs Dickicht schlägt, um erneut dem Four Letter Word zu huldigen: "Last night my beloved was like the moon / So beautiful like the moon."
"Raat ki rani", das sich als "Nachtjasmin" übersetzen lässt, fixiert dahingegen eine mysteriöse Frau, die mit ihrer wortlosen Anziehungskraft eine ganze Party in Trance versetzt. Mit diesem Kontext ergibt der beinah Dancefloor-taugliche Puls des Songs ebenso Sinn wie das dezente Autotune, das Aftabs Stimme von ihrem Körper trennt – das genaue Gegenteil des erdigen Closers "Zameen", der die Platte mit maximaler Intimität abschließt. Aftabs Abenteuerlust zeigt sich nicht zuletzt in ihrer Interpretation von "Autumn leaves". Diesem wohl standardmäßigsten aller Jazz-Standards haucht sie auf beeindruckende Weise neues Leben ein, indem sie ihn zu einem Sehnsuchtsskelett aus Steh-Bass und verhallter Percussion dekonstruiert. Dass James Francies' finales Rhodes-Solo so klingt, als würde es aus einer Zwischendimension empfangen werden, läuft dem geisterhaften Effekt sicher nicht entgegen. Die Nacht kann eben auch unheimlich sein – doch leuchten überall warme Fixsterne wie Moor Mothers Spoken-Word-Part im bedrohlich mit Bassgitarre und Vibrafon shufflenden "Bolo na": "I want to believe / In a love / In a future." Warum glauben, wenn man weiß, dass so vorwärtsgewandte und emotional komplexe Alben wie "Night reign" existieren?
Highlights
- Aey nehin
- Last night reprise (feat. Cautious Clay, Kaki King & Maeve Gilchrist)
- Whiskey
Tracklist
- Aey nehin
- Na gul
- Autumn leaves (feat. James Francies)
- Bolo na (feat. Moor Mother & Joel Ross)
- Saaqi (feat. Vijay Iyer)
- Last night reprise (feat. Cautious Clay, Kaki King & Maeve Gilchrist)
- Raat ki rani
- Whiskey
- Zameen (feat. Chocolate Genius Incorporated)
Gesamtspielzeit: 48:49 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Phasm Postings: 27 Registriert seit 21.08.2019 |
2025-01-04 11:10:30 Uhr
Sehr schöne Rezension!Freut mich, dass das Album nun doch noch die verdiente Aufmerksamkeit bekommen hat. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27844 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-01-03 19:30:25 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. "Vergessene Perle 2024". Meinungen? |
saihttam Postings: 2570 Registriert seit 15.06.2013 |
2024-10-21 14:21:18 Uhr
Problem gelöst! International Music haben ihr Konzert heute abgesagt. Also steht einem fantastischen Abend in Heidelberg nichts mehr im Wege. :D |
parnell17 Postings: 24 Registriert seit 11.05.2020 |
2024-10-05 13:13:07 Uhr
Konzert-Konflikt mit Arooj Aftab und International Music, love it, könnte mir passieren :)Sehe sie im November im Roundhouse in London, bin sehr gespannt. |
saihttam Postings: 2570 Registriert seit 15.06.2013 |
2024-10-02 00:46:37 Uhr
Argh, warum überschneidet sich der Konzerttermin in Heidelberg mit dem Konzert von International Music in Wiesbaden, das ich eigentlich fest eingeplant habe. Habe mir nach ihrem Auftritt auf dem Maifeld Derby vor zwei Jahren fest vorgenommen, sie noch mal in abendlicher Clubatmosphäre erleben zu wollen, sobald sich die Gelegenheit ergibt. Gleiches gilt allerdings für International Music, deren letztes Konzert in der Region ich schon verpasst habe. Verzwickt! |
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Referenzen
Vijay Iyer; Shahzad Ismaily; Lucrecia Dalt; Natalia Lafourcade; Kaki King; Julia Holter; Mary Lattimore; Jessica Pratt; Esperanza Spalding; Alabaster Deplume; Joan As Police Woman; Jane Weaver; Moor Mother; Sade; Billie Holiday; Chet Baker; Miles Davis; Alice Coltrane; Nala Sinephro; Nubya Garcia; Jaubi; Shabaka; Bedouine; Cassandra Jenkins; Julie Byrne; Vera Sola; Marissa Nadler; Joanna Newsom; Sufjan Stevens; Daniel Rossen; Joni Mitchell; Beth Gibbons; Isobel Campbell; Terry Riley; Steve Roach
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