Friko - Where we've been, where we go from here
ATO / PIAS / Rough Trade
VÖ: 16.02.2024
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Mit der Zeit gehen
"Das ist doch alles nichts Neues", grantelt es an der ein oder anderen Stelle. So viel 2000er-Indie steckt in "Where we've been, where we go from here", dass mancher sich an "die gute alte Zeit" erinnert fühlt, als Songs noch einfach Songs waren und nicht Beiwerk für Social-Media-Posts. Warum man das nun aber schlechtreden will, kann man kaum erklären. Die Chicagoer Band Friko versteckt ihre Einflüsse ja nicht mal, führt ganz locker The Microphones, Modest Mouse oder Yeah Yeah Yeahs an. Und macht auf ihrem Debütalbum, das auf die EP "Whenever forever" aus dem Jahr 2022 folgt, auch noch so lässig nahbare Indie-Musik, dass es völlig egal sein muss, ob man das so schon mal woanders gehört hat oder man als Erstkontakt über ihre aufgespannten Saiten stolpert.
Los geht's auch direkt mit einem Highlight: Gitarre und intimer Gesang bekommen Unterstützung von vorsichtig tastenden Drums und ganz viel Melancholie. Bis der Opener größer und größer wird, eine E-Gitarre krächzt und sich beim zweiten Chorus mehrstimmiger Gesang nach gemeinsamen Suhlen anfühlt. Das wiederum gibt den Drums so viel Selbstbewusstsein, dass sie gelöst durchziehen können, bis Sänger Niko Kapetan vor dem Hintergrundchor endgültig den Verstand zu verlieren scheint, sich aber gerade noch fängt und den Albumtitel aufgreift: "Where we've been, where we go from here / Take your weight and throw your arms around me." Wenn Friko jetzt einfach den Raum verlassen würden, man würde den Rest des Abends versuchen, mehr über diese Band herauszufinden.
Nicht ganz so groß, aber ähnlich gut ist "Crimson to chrome", ein niedlicher, aber alles andere als einfältiger Indie-Schrammler mit ganz viel Herz, der sich fast schon zynisch fragt, warum man eigentlich immer zu alt oder zu blöd ist, um sich freizustrampeln. Ein bisschen wütender, aber auch heißer und verschwitzter, geht es später "Chemical" an, das sich einer normativen Struktur versperrt und in der Songmitte Dutzende Male den Titel wiederholt, seine Post-Rock-Mähne zu distortionreicher Gitarre schüttelt und sich etwas vertracktere Drums zutraut. Und auch "Get numb to it!" will die Sau rauslassen, wippt schon nach den ersten Sekunden los und schämt sich auch nicht für ein Do-do-do. Der bestgelaunte Song der Platte verdrängt allerdings auch viel: "And it doesn't get better, it just get's twice as bad, because you let it / So you better get numb to it, get numb to it, get numb to it!"
Was "Where we've been, where we go from here" neben dem immer wieder auftauchenden mehrstimmigen Gesang durch Unterstützung von Freund*innen der Band besondere Dynamik verleiht, ist der elegante Wechsel zwischen laut und leise und zwischen nuancierter Melodie und einfacher, aber erfolgreicher Akkordfolge. "For Ella" ist ein Klavierstück, das auch Chris Garneaus Kopf entsprungen sein könnte, gerade weil Violine und Cello dazukommen. Man meint, die Liebe schweben und fliegen zu sehen: "Ella, Ella you're a shooting star / A floating ballerina through the yard." Bei Reddit hat Kapetan verraten, dass der Song von einer Vater-Tochter-Beziehung handelt. Und auch das leise "Until I'm with you again" setzt sich an die Tasten und bekommt sehr prominente Gesangsunterstützung von Drummerin Bailey Minzenberger. Friko müssen oft nicht mal besonders genau zielen, um in Herznähe zu landen. Ganz am Ende steht mit "Cardinal" ein doppeldeutiger Titel, weil zum einen der Rotkardinal das Albumcover ziert, im Text allerdings auch ein Kronkardinal seine Kopfverzierung zu verlieren scheint. Egal, was man reininterpretiert, die vorsichtigen Gitarren, der zerbrechliche Gesang, der höchste Höhen auslotet, und die Streicher mit letzter Kraft, bringen ein nur neun Songs kurzes Album zu einem verdienten Abschluss. Am Ende bleibt nur noch Kapetans Pfeifen. Was groß angefangen hat, endet ganz klein und verabschiedet sich höflich.
Highlights
- Where we've been
- Crimson to chrome
- Until I'm with you again
- Cardinal
Tracklist
- Where we've been
- Crimson to chrome
- Crashing through
- For Ella
- Chemical
- Statues
- Until I'm with you again
- Get numb to it!
- Cardinal
Gesamtspielzeit: 36:08 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27844 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-01-03 19:31:37 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. "Vergessene Perle 2024". Meinungen? |
saihttam Postings: 2570 Registriert seit 15.06.2013 |
2024-11-19 22:19:14 Uhr
Wow, sau gutes Line-Up! Hätte nicht gewusst, ob ich The Murder Capital, Friko oder doch wieder den gutne alten Kevin Morby hätte sehen wollen. Auch sonst viel Gutes.Und schade, dass Friko nicht gleich noch ne Deutschlandtour angehängt haben. |
Carl Sandburg Postings: 12 Registriert seit 24.08.2022 |
2024-11-19 13:53:36 Uhr
Hab die am WE am RS Beach gesehen, war in der Tat ein furioser Gig in kleinem Rahmen, auch vom Publikum zurecht frenetisch abgefeiert |
saihttam Postings: 2570 Registriert seit 15.06.2013 |
2024-11-19 10:27:56 Uhr
Wo und wann sind die live unterwegs? Würde ich mir auch gerne geben. Das Album hat die letzten Monate etwas gelitten, aber ich mags immer noch sehr. |
Immermusik Postings: 1046 Registriert seit 04.11.2021 |
2024-11-19 07:08:51 Uhr
Live auch total geil und schöne laut/leise Parts. In den krachigen Momenten durchaus Sonic Youth Anleihen live. Get numb to it der Überhit. |
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Referenzen
The Microphones; The Beach Boys; Mitski; Modest Mouse; Leonard Cohen; Philip Glass; Finom; Lomelda; Yeah Yeah Yeahs; mewithoutYou; Katy Kirby; Vampire Weekend; Office Dog; Cloud Nothings; Ratboy; Conor Oberst; This Is Lorelei; Merce Lemon; Babehoven; English Teacher; Honeyglaze; MJ Lenderman; Hovvdy; Allegra Krieger; Bright Eyes; Smith Westerns; Pulp; The Pains Of Being Pure At Heart; Elliott Smith; Frightened Rabbit; Fleet Foxes; Manchester Orchestra
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- Friko - Where we've been, where we go from here (19 Beiträge / Letzter am 03.01.2025 - 19:31 Uhr)