Fortuna Ehrenfeld - Universum
Tonproduktion / Edel
VÖ: 11.10.2024
Unsere Bewertung: 4/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
Und keine Eier
31 Songs. Drunter macht es Martin Bechler nicht. Wer das neue Fortuna-Ehrenfeld-Album "Universum" hören möchte, sollte also viel Zeit mitbringen. Musikalisch bleibt vieles beim Alten. Noch immer oszillieren Bechlers Texte zwischen Germanistik-Seminar und Eckkneipe, während sein Gesang mal an Tom Waits und mal an Herbert Grönemeyer erinnert. Das Klavier dominiert das Klangbild, wobei viele der Songs angenehm unaufgeregt arrangiert wurden. Man könnte auch sagen, dass nach einer Weile alles gleich klingt. Da helfen auch eingestreute Chöre und elektronische Spielereien wenig. Die Orientierung fällt ob der schieren Masse an Songs zudem schwer, eine Dramaturgie fehlt dem Album. Stattdessen geht es gemütlich auf und ab, der große Sturm bleibt aus. Ausbrüche werden angedeutet, aber selten Realität.
Thematisch geht es um die Liebe, den Alltag und den Wahnsinn dazwischen, was teils zu wirklich hübschen Kuriositäten wie "Laser gun vom Aldi" und "Fuzzi Fuzzi Cowboy" führt, meist aber ziellos vor sich hin mäandert. Bechler entscheidet sich immer wieder bewusst für den ironischen Bruch, was als gezielt eingesetztes Stilmittel durchaus funktionieren kann, auf Dauer jedoch unfassbar ermüdend ist. Die jungen Leute würden zu den immer wieder eingestreuten Spoken-Word-Passagen wahrscheinlich "cringe" sagen, der gealterte Kritiker belässt es bei einem Achselzucken. Fortuna Ehrenfeld gelingt das Kunststück, gleichzeitig erstaunlich überambitioniert und erschütternd beliebig zu agieren. Bechler gibt sich mitteilungsbedürftig bis zur Schmerzgrenze, sagt dabei aber nur selten Dinge, die wirklich etwas bedeuten.
Ok, langsam. Fans der Band dürften spätestens jetzt die Fackeln und Mistgabeln aus dem Schuppen geholt haben. Versuchen wir es noch einmal wohlwollender: Die Musik auf "Universum" ist durchgehend schön, manchmal sogar hinreißend. Aber sie bleibt nicht hängen, sie eiert vorbei, während Bechler sich hörbar abmüht, seinen bedeutungsgeschwängerten Texten Leben einzuröcheln. Es klappt nicht. Die emotionale Reaktion, die "Universum" hervorruft, ist Ablehnung. Da können Epen wie "Tulpen aus Amsterdam" noch so vortrefflich komponiert sein. Alles zerfließt zu einem Brei bildungsbürgerlicher Melancholie. Beige ist die Farbe dieser Musik, kalt ist der Winter. Nein, auch ein Saufliedchen wie "Schatzilein" kann nichts daran ändern.
Apropos Saufen: "Wir sitzen hier und schlabbern Aperol" widmet sich auf zynische Weise dem Lieblingsgetränk des postmodernen Biedermeier. Nach ein paar lässigen Strophen mündet der Song in einen elegischen Refrain. "Monotonie / Unter ausgedachten Palmen", singt Bechler beseelt, ehe der Song im letzten Drittel in eine Art Sirtaki abdriftet. Songs dieser Qualität machen nicht nur Spaß, sondern auch ein bisschen wütend. Denn Bechler könnte es ja, aber er will nicht. Und so bleiben derartige Highlights die Ausnahme, stattdessen muss man sich durch Unfug wie "The creature from the sea" oder "Moonoom" quälen. Einzig das wirklich tolle "Atari Besenstiel" ragt noch heraus, da hier die Synthesizer mehr als nur Beiwerk sein dürfen.
Der Rest besteht aus wehmütigen Pianoballaden und orientierungslosem Gedudel, das zwar bisweilen mit interessanten Soundideen aufwartet, aber nicht über Strohfeuer-Status hinauskommt. So beginnt "Der Tourist" beispielsweise mit einer feinen New-Wave-Hook, findet aber nie den Weg zu einer echten Klimax. Vielleicht ist der Rezensent aber auch einfach zu dumm, um Tracks wie "Down down down" zu verstehen. Klar, die Trio-Anspielung ist witzig. Das Sting-Zitat, die Falsett-Chöre, der Discofunk-Groove, der Jahrmarkt-Synthie? Ja, das wird schon alles irgendwie etwas bedeuten, ganz bestimmt. Vielleicht ist es aber auch nur Mist. "Viva la vida", jauchzt der Höllenchor und das Gehirn verabschiedet sich in den Jahresurlaub. Die Ambition reckt die dürren Finger gen Himmel, während der Amboss herniederfährt. "Sie holen uns jetzt ab / Die Bois mit der Let's-Go-Maschine". Der Wahnsinn hat System, das System hat keine Eier.
Highlights
- Atari Besenstiel
- Laser Gun vom Aldi
- Wir sitzen hier und schlabbern Aperol
Tracklist
- CD 1
- Die Sonne ist rot
- Atari Besenstiel
- San Francisco Candy Boy
- Barfussmädchenseele
- Wie die ausgespuckten Funken im Kamin
- Viva la vida
- Hol die Polizei
- Tulpen aus Amsterdam
- Das Leben ist so heavy heavy tanzbar
- Turbulentes Indigo
- Wer bringt die Liebe zurück
- Laser Gun vom Aldi
- Bring back the noise
- Astronautentod
- Das 13. Lied aus dem Jupiterring
- Schatzilein
- CD 2
- Fuzzi Fuzzi Cowboy
- Wir sitzen hier und schlabbern Aperol
- The creature from the sea
- Ich hab bei den Wölfen geschlafen
- Der Tourist
- Down down down
- Die Bois mit der Let's-Go-Maschine
- Rotze auf Hawaii
- Ich seh dich überall
- Moonoom
- Nudeln mit Tomatensoße
- Zwischen Juni, Jul' und Mai
- The creature from the sea (Reprise)
- Universum (Prolog)
- Lullaby für Löwenherzen
Gesamtspielzeit: 111:21 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
C. Postings: 1 Registriert seit 28.12.2024 |
2024-12-28 00:30:11 Uhr
Keine Band habe ich in den letzten Monaten so oft gehört wie Fortuna Ehrenfeld. Auch die alten Sachen. Dieses Album finde ich sehr gelungen. Natürlich kann man darüber streiten, dass man einige Songs als Lückenfüller betiteln könnte, aber alles in Allem ist |
Quirm Postings: 481 Registriert seit 14.06.2013 |
2024-12-20 13:45:22 Uhr
Geh ich nicht mit. Schönes homogenes Werk geworden. Deckt eigentlich alles ab was Fortuna Ehrenfeld ausmacht. Ich mag es sehr gerne. |
revilo Postings: 139 Registriert seit 18.06.2013 |
2024-12-20 13:06:37 Uhr
Gehe ich mit. So gut die Alben davor waren, das ist komplett überflüssig. Im Konzert sagte er, dass das Album in einer Woche eingespielt wurde. So hört es sich auch an. Wird Zeit für eine Pause und das Besinnen auf die eigentlichen Stärken |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27819 Registriert seit 08.01.2012 |
2024-12-19 20:26:13 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Tristan Brusch; Faber; Gisbert zu Knyphausen; Bernd Begemann; Niels Frevert; ClickClickDecker; Wolfgang Müller; Locas In Love; Moritz Krämer; Die Höchste Eisenbahn; Vierkanttretlager; Fink; Nils Koppruch; Kid Kopphausen; Der Hund Marie; Olli Schulz; Olli Schulz & Der Hund Marie; Max Schröder & Das Love; Jochen Distelmeyer; Tom Liwa; PeterLicht; Isolation Berlin; Acht Eimer Hühnerherzen; Tim Neuhaus; Tommy Finke; Senore Matze Rossi; Thees Uhlmann; Element Of Crime; Helge Schneider; Reinhard Mey; Patrick Richardt; Gloria; Bosse; Pascal Finkenauer; Erdmöbel; Anajo; Flowerpornoes; Rio Reiser
Bestellen bei Amazon
Threads im Plattentests.de-Forum
- Fortuna Ehrenfeld - Universum (4 Beiträge / Letzter am 28.12.2024 - 00:30 Uhr)
- Fortuna Ehrenfeld - Glitzerschwein (3 Beiträge / Letzter am 11.09.2023 - 14:05 Uhr)
- Fortuna Ehrenfeld - Das letzte Kommando - Live in der Kölner Philharmonie (1 Beiträge / Letzter am 11.12.2022 - 18:17 Uhr)
- Fortuna Ehrenfeld - Solo I. (2 Beiträge / Letzter am 25.03.2022 - 11:10 Uhr)
- Fortuna Ehrenfeld - Hey sexy (25 Beiträge / Letzter am 27.05.2021 - 22:22 Uhr)
- Fortuna Ehrenfeld - Die Rückkehr zur Normalität (5 Beiträge / Letzter am 27.05.2021 - 18:57 Uhr)
- Fortuna Ehrenfeld - Helm ab zum Gebet (21 Beiträge / Letzter am 26.03.2020 - 23:22 Uhr)
- Fortuna Ehrenfeld - Debout pour ma prière (2 Beiträge / Letzter am 19.12.2019 - 21:44 Uhr)
- Fortuna Ehrenfeld - Die Lieder vom Regenradar und den Mandelviolinen (1 Beiträge / Letzter am 16.05.2019 - 18:38 Uhr)