Black Sea Dahu - Live in Zürich and Bern
Mouthwatering / Broken Silence
VÖ: 16.08.2024
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
Bis neulich
Konstanz, Trier und Hamburg an drei aufeinanderfolgenden Tagen im August. Ausflüge nach Genua, Barcelona oder Lissabon. Irgendwann noch Rouen und Antwerpen. Königs Wusterhausen und Oldenburg. Wer nicht im allerletzten Winkel Europas lebt und Black Sea Dahu noch nie live gesehen hat, sollte dafür eine gute Ausrede parat haben. An Gelegenheiten dürfte es jedenfalls kaum gemangelt haben. 2023 haben die umtriebigen Schweizer*innen um Sängerin und Songwriterin Janine Cathrein stattliche 92 Gigs gespielt. "Live in Zürich and Bern" versucht nun gar nicht erst vergeblich, die heimelige Atmosphäre einer Black-Sea-Dahu-Show von A bis Z einzufangen, verzichtet auf die mit breitem Schweizer Akzent charmant vorgetragen Ansagen und Geschichten. Das Album, dem ingesamt vier Konzerte im Dezember 2023 zu Grunde liegen, funktioniert eher wie eine Compilation. Konzentriert aufs Wesentliche, die Musik. Und es erzählt im Kern eine Entwicklungsgeschichte. Wenn auch keine, die besonders geradlinig verläuft oder gar auf einen bestimmten Endpunkt zu. Sondern eine, die auch mal eine Schleife dreht oder ein paar Meter zurück macht und dann wieder an Stellen landet, die doch merkwürdig vertraut erscheinen.
Das Luxusproblem für jede Setlist und jede Best Of: Anders als viele andere schreiben Black Sea Dahu einfach keine schlechten Songs. Oder solche, die irgendwie egal sind. Wo also Abstriche machen? Von insgesamt vier Stücken des Debütalbums "White creatures" stehen zwei gleich am Anfang, der Opener ausgedehnt auf fast neun epische Minuten. Und schon nach der Hälfte davon wird einem klar, wie viel hier bereits angelegt ist. Musikalisch. Motivisch. "Oh, I lost faith in the human I wanted to be / Oh, open black sea, let me in / Giant trees, give me shelter in that haunted place." Das kleine Ich und die große Welt drumherum. Die Tücken im Zwischenmenschlichen. Mensch und Natur. Das sind wiederkehrende Topoi, die man so ähnlich auch von anderswo kennt. Doch wie Cathrein davon singt, das ist besonders. Mit einer Stimme, kraftvoll und zerbrechlich zugleich, mitunter androgyn anmutend. Mit "Not a man, not a woman" winkt der jüngste Song zum Abschied, ein leicht dahinschwebender Chanson. "I'm not a man / I'm not a woman / So many years I had no love for me." Gezupfte Gitarre. Verpasste Chancen. Bedauern und am Ende auch Hoffnung. "Slow down / Slow heal, heal, heal, heal."
In der guten Stunde vor dieser Schlussvolte ereignet sich allerhand. Indie-Folk und Kammerpop. Krautiges und eine Spur von Jazz mischen sich dazwischen. Erweitert wird das klangliche Spektrum noch durch das Streichquartett Amour Sur Mars, das Black Sea Dahu für die vier Auftritte in der Heimat dazugeholt haben. Eine unaufdringliche Verstärkung, die Akzente an den richtigen Stellen setzt. Die Schublade ist also nicht nur erfreulich unsortiert, sie quillt auch über. Das opulente, Grenzen und Genres sprengende zweite Album "I am my mother" ist sogar fast komplett vertreten, lediglich "Make the seasons change" bleibt unauffindbar. Von diversen EPs haben zudem "Orbit", "Mind Power" und das wunderschöne "How you swallowed your anger" Aufnahme gefunden. Eine Vermisstenanzeige geht raus für "My guitar is too loud" und "Le temps se fuit". Nun gut. Entscheidender für die Gesamtbetrachtung ist ohnehin weniger die schlichte Auswahl, als was Black Sea Dahu aus dem bekannten Material machen. Mit welcher Spielfreude und Unbekümmertheit etwa "Take stock of what I have", "I am my mother" oder "In case I fall for you" hier auf die Bühne gebracht werden. Die berührende Intimität von "My dear". Der tiefe Trost, der in den wenigen Zeilen steckt, die Cathrein ins Mikro haucht.
"My dear, you have to see / That you can still become what you want be / And my dear, you have to go / When you don't feel like it's a place to grow / You can turn your back and go / You can turn your back and go right now." Wohin es mit Black Sea Dahu noch gehen wird? "Live in Zürich and Bern" ist jedenfalls die bis ins Detail stimmige und auf ganzer Linie überzeugende Bestandsaufnahme einer großartigen Band. Demnächst wieder in der Nähe.
Highlights
- White creatures
- My dear
- I am my mother
- How you swallowed your anger (feat. Amour Sur Mars)
- In case I fall for you (feat. Amour Sur Mars)
Tracklist
- White creatures
- Take stock of what I have
- Glue
- My dear
- One and one equals four (feat. Amour Sur Mars)
- Interlude
- Transience (feat. Amour Sur Mars)
- Orbit (feat. Amour Sur Mars)
- Overture mind power
- Mind power (feat. Amour Sur Mars)
- Affection (feat. Amour Sur Mars)
- I am my mother
- How you swallowed your anger (feat. Amour Sur Mars)
- In case I fall for you (feat. Amour Sur Mars)
- Human kind (feat. Amour Sur Mars)
- Not a man, not a woman
Gesamtspielzeit: 83:50 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Bello Postings: 1 Registriert seit 04.06.2021 |
2024-12-14 18:05:15 Uhr
Danke Markus für die tolle Rezension. Unterschreibe alles. Habe die Band erst 2023 entdeckt, da ich sie im Programm vom Kula in Konstanz gelesen habe.. und was soll ich sagen, es hatte sofort bei mir eingeschlagen. Für mich verkörpern sie Leidenschaft pur in ihrer Musik, ihrem Merch, ihrem Umgang untereinander und Fans betreffend. Man muss sie einfach lieben. 4x live, genial gut! Und wie du schreibst: kein einziger Song, der durchfällt. Chapeau! Freu mich sehr auf mehr, sie sind schon am neuen Album dran. |
Kai User und News-Scout Postings: 3034 Registriert seit 25.02.2014 |
2024-12-12 21:13:30 Uhr
Beste Liveband und bestes Live-Album der letzten Jahre. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27853 Registriert seit 08.01.2012 |
2024-12-12 20:57:25 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Amour Sur Mars; Big Thief; Dekker; Julien Baker; Sun Kil Moon; Phoebe Bridgers; Charlie Cunningham; L'aupaire; Dillon; Faye Webster; Eleanor Friedberger; Low; Fil Bo Riva; Big Red Machine; Waxahatchee; Cat Power; Angel Olsen; Sharon Van Etten; Lucy Dacus; Steiner & Madlaina; Father John Misty; Sufjan Stevens; Okkervil River; Antony & The Johnsons; William Fitzsimmons; Lily Kershaw; Radical Face; The Slow Show; Songs:Ohia; Cassandra Jenkins; Sophie Hunger; Jens Carelius; Karo Lynn; BOY; Joanna Newsom; Courtney Barnett; Bright Eyes; Mount Eerie; Cari Cari; Mark Kozelek; Rufus Wainwright; Blaudzun; Get Well Soon; Smog; Bill Callahan; Bonnie 'Prince' Billy; Dota; Torres; Deerhunter; Grouper; Mighty Oaks; Devendra Banhart; Beirut; Sparklehorse; Lana Del Rey; Charlotte Brandi; The Antlers; The Low Anthem; Lambchob; Giant Rooks; Bon Iver; Grizzly Bear; Iron & Wine; Mighty Oaks; Faber
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