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Mount Eerie - Night palace

Mount Eerie- Night palace

P. W. Elverum & Sun
VÖ: 01.11.2024

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Vater Natur

"So what, I saw another raven / I actually see them all the time / And I hear their voices talking about what the rest of us don't know." Deutete Phil Elverum Raben zuvor noch als Symbole für drohendes Unheil, ringt ihm ihr Anblick in "I saw another bird" kaum ein Schulterzucken ab. Nachdem der Tod seiner Frau das jüngere Werk des als Mount Eerie bekannten Musikers prägte und er 2020 mit dem früheren Projekt The Microphones abschloss, zeigt sich Elverum auf "Night palace" vornehmlich als Beobachter des Lebens in all seinen Facetten. Musikalisch zieht das rund 80-minütige Album alle Register und, betrachtet man die Themen, kehrt der auf Orcas Island lebende Mann immer wieder zur Natur zurück, mit der er in engem Kontakt steht. "I saw lightning last night / But heard nothing", lauten die ersten Worte des eröffnenden Titeltracks, der mit statischem Rauschen Elverums Tochter Agathe ins Bett bringt. Ein gleichsam unruhiger, sperriger und seltsam tröstender Opener, der in seiner Widersprüchlichkeit die Faszination der gesamten Platte pointiert.

"Nothing but me and all this shattered wood I've been pulling / Into a heap of flames and smoke, this is my life", heißt es im ersten großen Highlight "Huge fire", dessen schrammeliger Bandsound mit perlenden Gitarren und jazzigem Rhythmus direkt in das strukturlose "Breaths" übergeht. Wie es sich klassischen Songformen widersetzt und dabei stets unvorhersehbar bleibt, macht den großen Reiz von "Night palace" aus. Folk-Kleinode treffen auf Metal-nahe Noise-Ausbrüche und unbeschwerte Rocker wie "Writing poems", in dem Elverum programmatisch wird: "Making poems is dripping / Not straining towards some masterpiece." Das über die Odyssee sinnierende "Myths come true" schafft es, aus seinen Fragmenten einen Groove zu entwickeln, der sich gar jeder Einordnung entzieht. In ihren besten Momenten, also meistens, bilden diese klanglichen Verzweigungen das lebendige Treiben der Welt unmittelbar ab. Das famose "I walk" schildert meditativ einen heilsamen Spaziergang, ehe der Schluss-Part samt langgezogenem Solo transzendentale Grenzen überschreitet.

Textlich fungiert die Natur als Objekt konkreter Beschreibung ebenso wie als Metapher. Über den flackernden Keyboards des zweigeteilten "Wind & fog" poetisiert Elverum, wie ihn die Vergangenheit begleitet, er mit Tochter und neuer Partnerin aber in der Gegenwart zur Ruhe kommt. Eine direkte Fortschreibung des Microphones-Referenzwerks "The glow pt. 2" bildet "The gleam, pt. 3", das mit dem folgenden, einen zitternden Beat hantierenden "Stone woman gives birth to a child at night" das Verhältnis von Traum und Realität beleuchtet. Auch Elverums animalische Begegnungen, die in der Mitte der Platte Raum bekommen, schwanken zwischen Fantasie und sinnlich spürbarem Wunder. "I heard whales (I think)" verbaut aufgezeichnetes Meeresrauschen, um den darunterliegenden Geräuschen auf den Grund zu gehen, während "I spoke with a fish" mit kurzen Trap- und Autotune-Ansätzen Stoner-Weisheiten austauscht: "Recorded music is a statue of a waterfall."

Für ein inhaltlich zusammenhängendes Triple verlässt "Night palace" allerdings die Reflexionen von Alltag und Spiritualität, um mit Gesellschaft und Politik abzurechnen. "All we have is stolen and can't be owned / This America, the old idea, I want it to die", erklärt "Non-metaphorical decolonization" ganz, nun ja, unmetaphorisch, um das im amerikanischen Boden versickerte Blut an die Oberfläche zu bringen. Die motorisch treibende E-Gitarren-Katharsis des Tracks spiegelt sonst nur das noch intensivere "Co-owener of trees". Dazwischen fährt "November rain" zwar die Verstärker runter, bleibt aber wütend in Richtung energieverschwendender Ferienhausbesitzer*innen: "Don't they realize all our stolen wealth is built on screaming bones?" Das minimalistische "Demolition" verarbeitet diese Gedanken mit vielen weiteren zu einem fast zwölfminütigen Schlussmonolog, der – das verdeutlicht der auf unendlich tief ins Fleisch drückenden Drones bauende Closer "I need new eyes" noch mehr – aber unverfroren nach vorn blickt. Wie heißt es so treffend in Joanne Kygers Gedicht, das "Night palace" seinen Titel schenkt: "The best thing about the past is that it's over."

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Huge fire
  • I walk
  • Non-metaphorical decolonization
  • Co-owner of trees
  • I need new eyes

Tracklist

  1. Night palace
  2. Huge fire
  3. Breaths
  4. Swallowed alive
  5. My canopy
  6. Broom of wind
  7. I walk
  8. (Soft air)
  9. Empty paper towel roll
  10. Wind & fog
  11. Wind & fog, pt. 2
  12. Blurred world
  13. I heard whales (I think)
  14. I saw another bird
  15. I spoke with a fish
  16. Myths come true
  17. Non-metaphorical decolonization
  18. November rain
  19. Co-owner of trees
  20. Myths come true, pt. 2
  21. & sun
  22. Writing poems
  23. The gleam, pt. 3
  24. Stone woman gives birth to a child at night
  25. Demolition
  26. I need new eyes

Gesamtspielzeit: 80:47 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

saihttam

Postings: 2557

Registriert seit 15.06.2013

2024-11-27 10:54:38 Uhr
Das Warten auf die Rezension hat sich gelohnt. Schön, dass das Album noch gewürdigt wird. Ich sehe es sehr ähnlich.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 27674

Registriert seit 08.01.2012

2024-11-21 19:39:09 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

u.x.o.

Postings: 553

Registriert seit 29.08.2019

2024-11-16 09:56:57 Uhr
Ich habe gerade gesehen, dass Phil auf seiner Bandcamp-Seite alle Stems des Albums zum Download hat. Wie wild ist das! Zum Lernen und Experimentieren schon ein toller Service... In seiner Microphones LP-Box gab es auch schon die Stems aller Microphones Alben. Das ist für Leute, die gerne an Sound arbeiten schon ein wahnsinniger Service. I love this guy.

Zum Album möchte ich später in Ruhe auch noch ein paar Gedanken aufschreiben, fürs Erste: Ich finde das ziemlich gut!

saihttam

Postings: 2557

Registriert seit 15.06.2013

2024-11-14 23:02:22 Uhr
Ich verstehe, was du meinst. Ich würde das Album vermutlich auch deutlich häufiger hören, wenn es etwas kürzer und fokussierter wäre. Andererseits langweile ich mich bisher auch nicht wirklich, wenn ich mich dann mal auf die gesamte Reise einlasse. Schon sehr gut und wahnsinnig intensiv, und das durch die verschiedenen Facetten auf immer unterschiedliche Art und Weise. Vielleicht hält mich auch gerade das bei der Stange.

Old Nobody

User und News-Scout

Postings: 3899

Registriert seit 14.03.2017

2024-11-14 22:54:49 Uhr
Bin bei ner knappen 8 im Moment. Ein Album nur mit meinen 10-12 favorisierten Stücken wäre locker ne 9. So fehlt leider ein bisschen der Fokus und der Albumflow aufgrund der Sprunghaftigkeit. Da ist kein Stück wirklich schlecht aber da ist halt gefühlt von allem was dabei was ihn ausmacht
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