Orla Gartland - Everybody needs a hero

Selbstliebeslieder

Orla Gartland hat sich schon immer viel Zeit gelassen. Mit 16 veröffentlichte die Irin zwar bereits ihre erste EP, bis zur Veröffentlichung des Debütalbums "Woman on the internet" sollten danach jedoch noch zehn Jahre vergehen. Ein Grund dafür mag Gartlands Drang zur Selbstbestimmung sein. Sie nennt Caroline Polachek und St. Vincent als inspirierende Beispiele für autonome Künstlerinnen und strebt auch in ihrer eigenen Musik danach, das letzte Wort bei jeder Entscheidung zu haben. Für die zweite Platte "Everybody needs a hero" zog sie gleich ein eigenes Label hoch und wird damit zu ihrer eigenen Heldin. Dabei bewahrt sich Gartland die Abstoßung aller Schubladen als ihre größte Stärke. Ihre Pop-Vision legt sich nicht auf eine Ästhetik fest, evoziert klare Referenzen, bleibt aber immer eigenständig. Die perfekte Rezeptur, um zum zweiten Mal in Folge Fans und Kritiker*innen gleichermaßen zu begeistern.

Die 29-Jährige erreicht in Sachen Stilsicherheit und holistischer Ausdruckskraft zwar nicht die Höhen ihrer Vorbilder, erschafft aber erneut zwölf richtig gute, eingängige und detailverliebte Songs, die solche Meta-Einordnungen obsolet machen. Nach einem kurzen Intro setzt "Sound of letting go" das erste Ausrufezeichen, indem es die von Billie Eilish kultivierte edgy Pop-Produktion in ein eigenes Vokabular übersetzt: verlorene Stimm-Samples und Tribal-Drums in den Strophen, Gitarren-Rauschen und verzerrter Bass im explodierenden Refrain. "Backseat driver" verarbeitet dahingegen astreinen Kuhglocken-Synth-Funk im Geiste von LCD Soundsystem, scheut sich allerdings nicht vor einer "La la la"-Hook mit durchgezogenem Gaspedal, die der Track erstaunlich unpeinlich rüberbringt. Als akustisch grundierter Folk-Pop vollzieht "The hit" die nächste Kehrtwende und schaut sich die Melodieführung ein bisschen von Taylor Swift ab, bevor die Bridge in eigene Sphären abdriftet.

In diesem Sinne deckt "Everybody needs a hero" eine beeindruckende emotionale Klaviatur ab. Gemeinsam mit ihrem allerersten Feature-Partner Declan McKenna packt Gartland in "Late to the party" von einer Ex ihres Partners erzeugte Paranoia an den Hörnern, ehe das von einer garagigen Punk-Energie getriebene "Kiss ur face forever" seine Lust erst verklausuliert und dann ausspuckt: "Let's play a game of emotional Monopoly in the name of monogamy / Walls down and, now, there's no stopping me / Yeah, I want the weight on you on top of me." "Mine" nutzt im Kontrast dazu nur Saiten und Streicher, um ein zärtliches, aber resolutes Selbstliebeslied zu singen. Ob die stürmische, Achtziger-beeinflusste Single "Little chaos", das an Julia Jacklin erinnernde Geschrammel von "Simple" oder der Titeltrack, der mit mächtigen Emo-Rock-Gitarrenwänden dem Album einen epischen Abschluss schenkt: Gartland stattet jeden Song mit einer individuellen Textur aus und verpackt alles so, dass es bruchlos zusammenläuft. Wenn solche Resultate dabei herauskommen, kann sich Gartland jede Zeit der Welt lassen.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

• Little chaos
• Backseat driver
• Simple
• Everybody needs a hero

Tracklist

1. Both can be true
2. Sound of letting go
3. Little chaos
4. Backseat driver
5. The hit
6. Simple
7. Late to the party (feat. Declan McKenna)
8. Three words away
9. Kiss ur face forever
10. Who am I?
11. Mine
12. Everybody needs a hero

Gesamtspielzeit: 37:45 min.

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Referenzen

Fizz; Snail Mail; Claud; King Princess; Hayley Williams; Torres; Soak; Caroline Polachek; Alex Lahey; Illuminati Hotties; Bully; Jade Bird; Benee; Maisie Peters; Billie Marten; The Big Moon; Julia Jacklin; Soccer Mommy; Lucy Dacus; Phoebe Bridgers; Julien Baker; Boygenius; Fenne Lily; Samia; Sharon Van Etten; Marika Hackman; Taylor Swift; Maggie Rogers; Beach Bunny; Paramore; Billie Eilish; Lorde; Muna; St. Vincent; Declan McKenna

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