01099 - Kinder der Nacht
Bamboo / Warner
VÖ: 13.09.2024
Unsere Bewertung: 4/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
Enter the Wohlstand
Dresdner HipHop-Fans hatten davor noch nie ein echtes Flaggschiff. Gossenboss kennt man außerhalb Sachsens kaum, und für die KMN Gang ist "Elbflorenz" höchstens der Zweitsitz, außerhalb von NRW. Diese Vakanz ist durch 01099 inzwischen überwunden, sie sind Dresdens erste erfolgreiche Musikgruppe mit Rap-Bezug. Nicht despektierlich gemeint, denn Gustav, Zachi, Paul und Dani sind nun mal keine klassischen Rapper, sondern Sandkastenfreunde, waren zusammen auf dem Gymnasium, im Orchester und haben mit dieser Musik aus Spaß angefangen. Sie sind Teil der Generation Money Boy, ein Konglomerat aus ordentlich gekleideten Jungs zwischen 14 und 29, deren musikalische Anfänge vorsichtshalber meist als Parodie gemeint sind, wie auch die Debüt-EP von 01099 "Skyr" (2019) demonstrierte. Seit dem ersten Album "Morgensonne" meinen die es nun ernster, machen betont zeitgenössischen Rap auf immer elektronischer werdenden Beats und sind längst dauerpräsent in den Playlisten unzähliger Studenten-Partys und WG-Abende. "Kinder der Nacht", ihr nun schon viertes Album, ist das zweite auf Platz 1 der Charts. Irgendwas muss an diesem unschuldigen Pop-Rap doch musikalisch interessant sein, einen künstlerischen Mehrwert haben.
Oder ... ? Immerhin, ein paar Instrumentals sind wirklich brauchbar, die gut gebildeten Jungs haben Taktgefühl und Authentizität, denn sie bleiben brav in ihrem realistischen Mikrokosmos. Kein offener Sexismus, gelegentlicher Lokalpatriotismus gegen Rechts, aber eben auch keine Punchlines oder Storytelling. Diese Platte ist durchweg Vibe-Musik, sie reiht sich nahtlos ein in die 01099-Diskografie und den modernen Rap-Zeitgeist. Es mag wie ein aufgebrachtes Zitat aus einem Fler-Interview wirken, doch die Reimfolge "Mein Baby hat ein Auto aus dem letzten Jahrhundert, ja / Ich sitz' im Polohemd und lass' die Scheibe runter / Sie hat morgen Uni, ich ein Festival in Stuttgart (Woah) / Und sie kommt nach, sobald sie Schluss hat" aus "Oh man" ist ungefähr das, was die marktrelevante Rap-Zielgruppe fühlt und hören will. So originell und einfallsreich wie der Band-Name, welcher wie befürchtet einfach die Postleitzahl eines längst gentrifizierten Szeneviertels darstellt, in dem Fall Dresden-Neustadt.
So funktioniert diese Musik, solche Alben sind kaum noch länger als eine halbe Stunde, erzeugen vom Intro bis Closer genau eine Stimmung, die musikalisch wie lyrisch nur eine begrenzte Auswahl an Themen umfassen kann. Meistens Liebe und Sex ("Küssen" oder "Weil Du mir fehlst"), gefolgt von Party oder generell Lebensfreude ("Verschwendete Zeit"). Ähnlich wie bei Ski Aggu ist der Alltag, der hier dargestellt wird, einfach viel zu schnell zusammengefasst. Es bräuchte höchstens drei Sätze: Die Jungs sind echte Freunde, trinken Bier oder Wein, rauchen Kippen, gehen auf coole Partys oder fahren in die Natur. Nachts schlafen sie mit schönen Frauen oder machen durch, weil der Vibe einfach stimmt. Früher ging es ihnen gut, jetzt sind sie berühmt und machen Geld, haben große Shows und das geile Leben wird sogar noch besser.
Wenn es lyrisch und instrumental also an Variation fehlt, fallen einige kleinere musikalischen Abweichungen schon auf. Das etwas langsamere Tempo verleiht dem Closer "Kneipe" eine unerwartete Erhabenheit, diese manchmal erzwungen wirkenden Lines über Alkoholkonsum hätten auch einfach hierfür aufgespart werden können. Ebenso verhält es sich mit diesem "Sommer '24 / Wir sind jung"-Lebensgefühl, das zur Bassdrum und den Lyrics bei "Haare trocknen" tatsächlich sehr gut passt. Aber muss das ein ganzes Album lang sein? Trotz aller Kritik und nicht abstreitbarer Monotonie stechen natürlich manche Tracks schon noch hervor, wenn auch nicht übermäßig. Zu "Pistazieneis" kann man bei guter Laune schon mal seicht im Takt wippen, der "Tanzalarm" dürfte bei denjenigen, die "Ekstase (Ah), Sekt in der Mate" für ein Lebensmotto halten, in der Tat was auslösen. Und "Superstars" präsentiert mit Ion Miles zumindest einen erfrischenden Gast-Part, während Ski Aggu bei "Flasche kreist" zu sehr als fünftes Mitglied von 01099 durchgeht. Auch das gehört zum Problem, die Vocals und Flow klingen schon untereinander zu gleichartig. Aber leider ist auch das mittlerweile symbolisch für den Rap-Zeitgeist geworden. (
Highlights
- Haare trocknen
- Kneipe
Tracklist
- Küssen
- Haare trocknen
- Tanzalarm
- Flasche kreist (feat. Ski Aggu)
- Superstars (feat. Ion Miles)
- Verschwende Zeit
- Angekommen interlude (feat. Bekkaa)
- Kinder der Nacht
- Augen groß
- Pistazieneis
- Weil du mir fehlst
- Oh man
- Kreta 5.0
- Kneipe
Gesamtspielzeit: 32:59 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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hideout Postings: 1836 Registriert seit 07.06.2019 |
2024-10-07 23:04:14 Uhr
Sehr sympathische Band mit dem Herz an der richtigen Stelle ("Sportlich" von der Altbau).Bei den Highlighs fehlt auf jeden Fall noch "Verschwndete Zeit" und auch wenn die Zielhörerschaft eher bei Gen Z zu finden ist, so haben die Dresdener durchaus einige Songs gemacht, die stark auf Kindheitserinnerungen abzielen, die man auch im betagteren Alter hören kann. |
Grizzly Adams Postings: 5388 Registriert seit 22.08.2019 |
2024-10-07 20:46:42 Uhr
Glaube nicht, dass mich das Album interessiert, aber die Liste der Referenzen unten liest sich ein bisschen wie die Vornamen der Kinder aus der Maikäfer-Gruppe der Kita Villa Kunterbunt in der Lummerlandstraße. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27544 Registriert seit 08.01.2012 |
2024-10-07 20:09:23 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Gustav; Zachi; Paul; Dani; Zartman; $oho Bani; Bekkaa; Ski Aggu; Miksu; Ericson; Kasi; Longus Mongus; Makko; Antonius; Sira; Ennio; BHZ; Ion Miles; Sampagne; Jeremias; Dauner; Ritter Lean; Barré; Berky; Djorkaeff; Lloyiso; Nina Chuba; Paul Phamous; Sizzy; Lucry; Money Boy; Apache 207; Alexis Troy; Mos Iceley; Pashanim; Kasi; Trettmann; Cro; Schmyt; Badmómzjay; Fourty; Bausa; Lostboi Lino; KitschKrieg; Kummer; Kraftklub; K.I.Z; Symba; Céline; Marteria; Lugatti & 9ine; Ikkimel; Reezy; Domiziana; TJ_beastboy; Gossenboss mit Zett; KMN Gang; Zuna; Azet; Miami Yacine; Suena; Avo; Lea; Cloud; Edwin Rosen; Maikel
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- 01099 - Kinder der Nacht (3 Beiträge / Letzter am 07.10.2024 - 23:04 Uhr)