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Godspeed You! Black Emperor - No title as of 13 February 2024 28,340 dead

Godspeed You! Black Emperor- No title as of 13 February 2024 28,340 dead

Constellation / Cargo
VÖ: 04.10.2024

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Scherbengericht

Dass Godspeed You! Black Emperor eine politische Band sind, ist bekannt. Dass sie schon immer bereit waren, klar Position zu beziehen, ebenso. Es überrascht daher nicht, dass das neue Album der Band schon mit dem Titel direkten Bezug auf die aktuelle Eskalation des Israel-Palästina-Konflikts nimmt. Die Komplexität dieses Konflikts im Rahmen einer Rezension auch nur annähernd abzubilden, ist völlig unmöglich. Und dennoch muss man im Hinterkopf behalten, dass Godspeed You! Black Emperor seit langem harsche Kritik an der israelischen Führung üben. Dass diese sich in den letzten Jahrzehnten nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat, steht außer Frage. Dass mit Schuldzuweisungen kein Staat zu machen ist, wohl auch. "No title as of 13 February 2024 28,340 dead" also. Ein lapidarer Zwischenstand eines weiteren sinnlosen Kapitels der wahrscheinlich absurdesten Idee der Weltgeschichte. Die Musik wird diesen Krieg nicht beenden, aber ihn kommentieren, das kann sie. Erst recht, wenn der Kommentar ohne Worte auskommt.

Die Alben der Kanadier nach der ausgedehnten Pause Anfang der 2000er-Jahre folgen meist einem klaren Schema: Zwei bis drei Longtracks stehen im Mittelpunkt, während dazwischen kürzere Ambient-Exkursionen für den nötigen Kontext sorgen. Auch "No title as of 13 February 2024 28,340 dead" funktioniert nach diesem Muster, allerdings gehen diesmal die einzelnen Stücke fließend ineinander über, sodass das Album eher wie eine durchkomponierte Suite als wie eine bloße Aneinanderreihung von Songs wirkt. Motive kommen und gehen, wie üblich bedienen Efrim Manuel Menuck und Kolleg*innen das gesamte dynamische Spektrum. Momente großer Verletzlichkeit existieren neben wilden Ausbrüchen  und dazwischen darf sich selbstverständlich das gute alte Crescendo breitmachen. Eine fast schon sakrale Stimmung durchzieht die Tracks, jede Melodie hat Gewicht und bekommt viel Raum, sich zu entfalten. Den fiebrigen Wahn eines "Mladic" sucht man vergebens, auch die von vielen Fans geliebten Field Recordings spielen nur eine Nebenrolle.

Stattdessen setzen Godspeed You! Black Emperor diesmal ganz auf Überwältigung. So elegisch waren ihre Kompositionen zuletzt auf "Lift your skinny fists like antennas to Heaven". Dass sie dabei nicht ganz die Qualität des Klassikers erreichen, fällt kaum negativ ins Gewicht. Noch immer schafft es die Band, Augenblicke unfassbarer Schönheit auf Platte zu bannen. Wenn etwa im Finale von "Babys in a thundercloud" nach minutenlangem Brüten plötzlich die Dämme brechen und eine schlicht göttliche Melodie die Ohren flutet, bleibt nur Ergriffenheit. Darauf folgt mit "Raindrops cast in lead" der absolute Höhepunkt des Albums. Der Song beginnt mit einem mächtigen Gitarrenmotiv, bevor er sich im Mittelteil eine lange Verschnaufpause gönnt. Nach ungefähr acht Minuten geschieht dann etwas Unfassbares: Eine minimale harmonische Verschiebung läutet ein wahres Inferno ein. Immer lauter, immer schneller wird die Musik. Ein Motorik-Beat schält sich aus dem Lärm, im Hintergrund beginnen die Gitarren zu jaulen. Die Geigen eskalieren, das Feedback kreischt. Und dann ... ach, was soll's: Was dann passiert, ist einfach nur geil. Das muss reichen.

Doch das Album ist noch nicht vorbei. Auf die Euphorie folgt die nackte Angst. "Broken spires at dead kapital" ist finster. Und das ist Absicht, denn das Stück fungiert als Einleitung für "Pale specator takes photographs". Die Gitarren dröhnen plötzlich einige Etagen tiefer. die Streicher geben sich ganz der Dissonanz hin. In reduziertem Tempo geht es dem Abgrund entgegen, auch eine fast beiläufig eingestreute Geigenmelodie kann den Zug nicht stoppen. Ein bedrohliches Ostinato übernimmt schließlich die Kontrolle, während die Rhythmus-Sektion sich in einem mitreißenden Groove verliert. Der ganz große Ausbruch bleibt jedoch aus, stattdessen mündet der Song in das bereits bekannte "Grey rubble – green shoots", welches nun auch Sinn ergibt. Es ist nämlich kein Auftakt, sondern ein Ende. Ein Klagelied, das gegen das Unvermeidliche anrennt, ehe es in seine Einzelteile zerbricht. Was zurückbleibt, sind Trümmer, sichtbare und unsichtbare. Das Sterben in Scherben, dazwischen ein letzter Funke, der vielleicht Hoffnung heißt. Noch glimmt er, doch das Feuer ist fast erloschen.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights

  • Raindrops cast in lead
  • Pale spectator takes photographs

Tracklist

  1. Sun is a hole sun is vapors
  2. Babys in a thundercloud
  3. Raindrops cast in lead
  4. Broken spires at dead kapital
  5. Pale spectator takes photographs
  6. Grey rubble – green shoots

Gesamtspielzeit: 54:09 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Hierkannmanparken

Postings: 1337

Registriert seit 22.10.2021

2024-10-05 13:30:16 Uhr
GY!BE Vocalist Mortified to Learn Microphone Unplugged for Last 27 Years - The Hard Times

Crappo

Postings: 15

Registriert seit 29.05.2014

2024-10-05 13:11:38 Uhr
Auf die letzten beiden Beiträge könnte ich auch schon wieder eine seitenlange Antwort schreiben, quasi zu jedem einzelnen Satz. Aber das würde ja keinem weiterhelfen (ausser vielleicht meinem Gewissen). Genießen wir also lieber alle das schönen neue Album.

Leech85

Postings: 857

Registriert seit 15.03.2021

2024-10-05 11:54:29 Uhr
Dieser Krieg ist nichts neues. Seit ich auf der Welt bin bekriegen die sich schon und nie war Ruhe.
Warum soll sich dass in naher Zukunft ändern nach gut 40 Jahren Krieg?
Lasst diese Länder doch kriegen wenn sie unbedingt wollen.

Bitte zurück zum Thema kommen.
Die Platte ist nicht schlecht, denke sogar meine bisher liebste von denen, da einfach am meisten passiert.

Christopher

Plattentests.de-Mitarbeiter

Postings: 3686

Registriert seit 12.12.2013

2024-10-05 10:05:32 Uhr
Israel muss existieren.

Die israelische Staatsregierung ist scheiße.

Beide Aussagen sind mMn richtig.

Gleichzeitig existieren Hamas und Hisbollah, vom Iran finanziert. Antisemiten fantasieren weltweit über das Ende des Staates Israel. Dagegen muss man sich entschieden stellen.

Du merkst, wie schnell man da in ne Spirale gerät? Ich bin kein Fan des Begriffs "uneingeschränkte Solidarität", weil man sich den Boden unter den Füßen weggräbt.

Ich weiß nicht, wie man den aktuellen Konflikt beenden kann, ohne in 5 Jahren den nächsten zu haben. Siedlungsbau einstellen würde sicherlich helfen. Aber deswegen bleiben die Juden trotzdem jüdisch und die Muslime muslimisch. Meiner Meinung nach ist dieser Quatsch erst vorbei, wenn Religion keine Rolle mehr spielt.

Crappo

Postings: 15

Registriert seit 29.05.2014

2024-10-05 08:54:49 Uhr
Es tut mir leid, ich habe es wirklich versucht, aber ich kann darauf einfach nicht nicht-antworten:
@Christopher
Es geht mir nicht darum, dass Du nicht tief genug in das Thema eingestiegen bist. Persönlich kann ich bestimmte Phrasen wie in der Rezi und Deinem Kommentar einfach schwer zu ertragen. Man kann ja darüber über die Historie des Konfliktes diskutieren, aber die aktuellen Situation genau JETZT (und damit meine ich mehr als nur die letzten zwölf Monate) ist aus meiner Sicht überhaupt nicht kompliziert, sondern das Einfachste, was man sich überhaupt nur vorstellen kann (https://youtu.be/62I61kBahNY?t=238). Für mich macht man sich dann halt irgendwie fast mitschuldig, wenn man Aussagen bringt wie "nicht gerade mit Ruhm bekleckert", "mit Schuldzuweisungen ist kein Staat zu machen" und "es gibt keine eindeutig gute Seite", während die israelische Regierung gerade...

Aber wahrscheinlich liegt der Fehler bei mir. Ich bin ein gestörter Spinner und habe es mir immer noch nicht völlig abgewöhnen können, Menschen nach ihrem Musikgeschmack zu bewerten. Und deswegen triggern mich solche Aussagen von GYBE-Fans ganz besonders. Aber in meiner Welt sollte es ja auch keine Menschen geben, die rechts sind und Weakerthans-Texte mögen.
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