Marina Allen - Eight pointed star

Fire / Cargo
VÖ: 07.06.2024
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10

Einfach so
Oliver Kahn war zu seiner aktiven Zeit kein Mann großer Reden. "Eier", verkündete er dereinst in einem Interview nach einem schlechten Spiel. Und obwohl er damit nicht die Mindestanforderungen für einen vollständigen Satz erfüllte, sagte er doch alles, was gesagt werden musste. Es ist davon auszugehen, dass die amerikanische Songwriterin Marina Allen noch nie von Oliver Kahn gehört hat. Und doch steht ihr Schaffen in der Tradition des einstigen "Titanen". Denn Allen macht ihr Ding, völlig unbeeindruckt von allem, was um sie herum passiert. Während andere irgendwelchen Trends hinterherlaufen und ihre Musik mit Effekten zukleistern, lädt sie eine Handvoll Instrumentalisten ins Studio ein, nimmt ein paar Songs auf und belässt es dabei. Keine Fanfaren und erst recht keine Marketingkampagne. Ihr drittes Album "Eight pointed star" enthält einfach nur gute Musik. Dass das in Zeiten der sogenannten Aufmerksamkeitsökonomie mindestens mutig ist, muss nicht diskutiert werden. "Eight pointed star" hätte auch im Jahr 1973 erscheinen können – und da hießen Handys noch Kommunikator und wurden ausschließlich von der Crew der Enterprise benutzt.
Nun kann man natürlich auch sagen, dass Allens Musik fast schon aggressiv unaufdringlich ist. Immer wieder erinnert sie an The Carpenters, was nicht überall als Kompliment durchgeht. Gleichzeitig sind die Songs viel zu schön, um in der Kitsch-Ecke drapiert zu werden. Allen arbeitet wie eine impressionistische Malerin: Fast beiläufig tupft sie die Akkorde auf die Leinwand, ihr unaufgeregter Gesang verleiht den Kompositionen eine betörende Entrücktheit. "Landlocked" beginnt beispielsweise als nachdenkliche Country-Ballade, Pedal-Steel-Guitar inklusive. "All we have is what we have forgiven / Landlocked in love, it's the past that outlives us", lauten die zentralen Verse. Dann fallen die Geigen vom Himmel und eine tiefe Melancholie macht sich breit. Erinnerungen an verpasste Chancen und verflossene Lieben bahnen sich den Weg ins Bewusstsein. Dieses Gefühl prägt auch "I'm the same", dem drei Akkorde und eine famose melodische Steigerung genügen, um Eindruck zu hinterlassen.
Marina Allen hat keine Angst davor, verletzlich zu wirken. Immer wieder entblößt sie ihr Innenleben in erschütternder Direktheit. So harmonisch die Songs an der Oberfläche wirken, so zerrissen sind sie im Inneren. "I am tainted, I am taught / To be tough, to be raw / To be ruined, to be wrecked / Like the women whose aching backs and blistered skin make me coffee and burnt bread", konstatiert Allen in "Red cloud". Wenn die Fassade hält, aber das Fundament bröckelt, ist man wahrscheinlich im Leben angekommen. Der Drang, schreiend aus dem Haus zu rennen, wird der Vernunft wegen auf die Zeit nach der betriebsbedingten Kündigung vertagt. "Easy" ist alles mögliche, aber nicht der Normalzustand. Von der Sehnsucht nach Einkehr, vom Stolpern und Fallen singt Allen hier. Das Lächeln wurde aus Eigeninteresse auf dem Gesicht festgetackert.
Gelegentlich darf aber doch die Sonne scheinen, auch wenn die Regenwolken nie außer Sichtweite sind. "Swinging doors" könnte auch wunderbar auf einem Courtney-Barnett-Album existieren, während "Love comes back" sich mit zartem Optimismus ins Herz schrammelt. Ein tiefer Wunsch nach Harmonie treibt Marina Allen an, vielleicht ist es auch der Glaube an Musik, die sich selbst genügt. Die Welt ist zu groß, um umarmt zu werden. Aber für Menschen, die einem wichtig sind, ist die Spannweite gerade groß genug. Darum geht es. Um das Überbrücken von Abgründen, die aus Bequemlichkeit entstanden sind. Was dazu benötigt wird, wurde vom Moralphilosophen Oliver Kahn bereits hinreichend erörtert.
Highlights
- I'm the same
- Swinging doors
- Landlocked
Tracklist
- I'm the same
- Deep fake
- Red cloud
- Swinging doors
- Bad eye opal
- Easy
- Love comes back
- Landlocked
- Between seasons
Gesamtspielzeit: 32:34 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Lucas mit K Postings: 134 Registriert seit 19.07.2024 |
2024-09-19 18:06:54 Uhr
Hübsches Album. Die Produktion ist wie ein warmer Pulli. „Easy“ ist das absolute Highlight für mich.Die hier veröffentlichte Rezension mit einem Oliver Kahn-Vergleich zu beginnen finde ich hingegen ziemlich eigenartig. Wie kommt man nur auf sowas? |
Vive Postings: 1194 Registriert seit 26.11.2019 |
2024-06-26 10:04:48 Uhr
ich hör den magischen funken auch. mal weiter reinhören. |
bender Postings: 161 Registriert seit 03.04.2020 |
2024-06-25 12:36:27 Uhr
Ein sehr schönes, melancholisches Wohlfühl-Album. Danke für den Tipp. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28799 Registriert seit 08.01.2012 |
2024-06-19 22:23:08 Uhr
Schön, dass jemand überhaupt auf Überschriften achtet. Aber die ist hier eben Konzept. |
Peacetrail Postings: 4130 Registriert seit 21.07.2019 |
2024-06-19 22:15:57 Uhr
Bei dem Albumtitel und der 8/10Bewertung wär bei der Überschrift aber einiges mehr möglich gewesen, aber gut. |
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Referenzen
Aimee Mann; Regina Spektor; The Carpenters; Emmylou Harris; Courtney Barnett; Carole King; Isobel Campbell; Tomberlin; Bess Atwell; Kate Bollinger; Allegra Krieger; Indigo Sparks; Lael Neale; Laura Marling; Feist; Taken By Trees; Julien Baker; Phoebe Bridgers; Lucy Dacus; Amber Arcades; Gwenno; Elliott Smith; Joanna Newsom; Lucinda Williams; Linda Ronstadt; Fleetwood Mac; Kate Bush; The Decemberists
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- Marina Allen - Eight pointed star (6 Beiträge / Letzter am 19.09.2024 - 18:06 Uhr)