Trent Reznor & Atticus Ross - Challengers (Original score)

Milan
VÖ: 26.04.2024
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10

Kleines Tennis
Von Fake-Snuff-Filmen, Drogensucht und "I wanna fuck you like an animal" zu Grammys, Oscars und Stabilität: Das Leben von Trent Reznor scheint wie ein Drama mit Happy End. Natürlich ist der Mann nicht mehr so impulsiv und unberechenbar wie in seinen frühen Jahren, aber er hat sich sein aktuelles Leben absolut verdient und kommt wie der ultimative "cool uncle" im Musikbiz rüber. Mit dem Nine-Inch-Nails-Bandkollegen Atticus Ross hat er nun sage und schreibe 16 Film-, Serien- oder Doku-Projekte vertont, und allesamt sind sie auch außerhalb ihres eigentlichen Kontextes mindestens ein Anhören wert, wenn nicht sogar Karrierehighlights. Ein Mini-Hype entstand anlässlich "Challengers" gleich in mehrfacher Hinsicht. Hinter dem Tennis-Love-Triangle-Streifen steckt nämlich Luca Guadagnino, bekannt vor allem durch die Filme "Call me by your name" und "Suspiria", die ihres Zeichens bereits prominent von Sufjan Stevens respektive Thom Yorke untermalt wurden. Reznor und Ross hatten zwar bereits 2022 für "Bones and all" mit ihm zusammengearbeitet, doch "Challengers" unterscheidet sich in einem Punkt deutlich: Guadagnino hat dieses Mal nämlich ein Techno-Album bestellt. Ein sexy Techno-Album.
Und bekommen. Gewissermaßen. Der Score greift an manchen Stellen tief in Reznors Vergangenheit zurück, holt den Synth-Beat raus und ist manchmal nur wenig davon entfernt, dass ein "It comes down to this! / Your kiss! / Your fist!" durchs Ohr schallt. Oft klingen die Stücke aber nach ein paar Jahren später, nämlich nach der hochsynthetischen Untermalung von Autorennspielen aus den Neunzigern. "The need for speed", sozusagen. Es blubbert und pumpt gleichermaßen, wenn der Titeltrack losprescht, nur um nach etwas mehr als einer Minute unsanft vom Handywecker aus dem Schlaf gerissen zu werden. Kein Problem, an vorletzter Stelle wartet schließlich die Vollvariante zur Probeversion, die tatsächlich mitreißt. Ein Ding, das Methode hat: Eigentlich müsste Guadagnino mahnend den Finger heben, denn nicht nur ist "Challengers" mit rund 40 Minuten vergleichsweise kurz ausgefallen, sondern viele Tracks sind einfach Varianten, Reprises oder Fortsetzungen von anderen. Klar, bei "Brutalizer" und "Brutalizer 2" steht es schon im Titel, aber auch "Pull over" ist tatsächlich ein drittes Mal der gleiche Rave-Up, der auch auf einem Underworld-Album nicht fehl am Platze wäre. Unter 16 Titeln bleiben nur zehn divergente Tracks über, und da ist sogar das 40-sekündige Klavier-Interlude "Lullaby" großzügig mitgerechnet.
Whoa, Klavier-Interlude? Ging es nicht eigentlich um Techno, so schnell wie Aufschläge beim Tennis? Tja, auch die ruhigen Momente im Film brauchen ihre Begleitmusik. Was cineastisch Sinn ergibt, reißt den Score leider etwas auseinander. "L'oeuf" trägt an sich keine Schuld, ist wie viele bisherige Score-Elemente des Duos ein Meisterstück an Atmosphäre, aber bremst natürlich den Drive der vorigen Stücke aus. "Friday afternoons, op. 7: A new year carol" ist dann gar ein vom englischen Komponisten Benjamin Britten geschriebenes und von einem Schulchor aufgeführtes Lied, bei dem Reznor und Ross nur im folgenden "Part 2" für die Überführung in ihre abstrakte Klangwelt sorgen. Das ist zwar auch ganz schön, macht die Sache jedoch etwas unrund, wenn man doch an dieser Stelle lieber noch mal die knurrenden Bassgitarren und den perligen Synth aus "Yeah x10" ein weiteres mal um die Ohren gehauen bekommen hätte. Für die Joggingstrecke muss also dringend die digitale Schere her.
Was hingegen natürlich passt: Am Ende wartet ein Cooldown in Form von "Compress/Repress", in dem Reznor sogar selbst ans Mikro tritt. Der Text ist zwar eher zweckdienlich – mit "One and one / One, two, three / Touch, touch, touch me" gewinnt man sicher keinen Pulitzer-Preis. Aber der Song überzeugt trotzdem dank der exzellenten Dynamik zwischen den Beats und dem sanften Klavier im Hintergrund sowie der Energie, mit welcher der Refrain seine Melodie durchdrückt. Auch die "ChatGPT, schreib mir einen Nine-Inch-Nails-Refrain"-Lyrics "All is lost / Inside us" verzeiht man da ganz, ganz schnell. Denn eigentlich geht's hier ja nicht um Vocals, sondern um den beauftragten Rhythmus, bei dem man immer mit muss. Und der ist wenigstens zu 80 Prozent nicht nur vorhanden, sondern wahrlich zwingend. Insofern dürfte Guadagnino trotz der überraschend knappen Quantität hochzufrieden sein.
Highlights
- "I know"
- Yeah x10
- L'oeuf
- Challengers: Match point
Tracklist
- Challengers
- "I know"
- Yeah x10
- L'oeuf
- The signal
- Brutalizer
- Stopper
- Brutalizer 2
- The points that matter
- Lullaby
- Final set
- Pull over
- Friday afternoons, op. 7: A new year carol (by Choir Of Downside School, Purley, Viola Tunnard & Benjamin Britten)
- Friday afternoons, op. 7: A new year carol (Part 2)
- Challengers: Match point
- Compress/Repress
Gesamtspielzeit: 40:51 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Lordran Postings: 295 Registriert seit 09.10.2023 |
2024-12-14 02:15:04 Uhr
Und machen jetzt auch den Soundtrack für das neue Game von Naughty Dog. |
fuzzmyass Postings: 18264 Registriert seit 21.08.2019 |
2024-12-13 10:41:44 Uhr
Und sie liefern eig. immer sehr gut ab, die meisten Soundtracks gefallen mir sehr...Challengers als Film fand ich "nur" ganz gut, aber der Soundtrack ist klasse! Hätte aber schon wieder Lust auf neue NIN Musik und auch mal wieder auf ein Konzert - der letzte Gig war 2018 und somit viel zu lange her |
qwertz Postings: 1061 Registriert seit 15.05.2013 |
2024-12-13 10:29:03 Uhr
Hier wurde ja schon die ein oder andere Bemerkung dazu gemacht, wann Reznor/Ross wieder zu NIN zurückkehren. Ein paar interessante Sätze dazu aus einem aktuellen Interview mit IndieWire: Reznor went on to say he and his partner had found themselves disillusioned with the music world. “The culture of the music world sucks,” he said. “That’s another conversation, but what technology has done to disrupt the music business in terms of not only how people listen to music but the value they place on it is defeating. I’m not saying that as an old man yelling at clouds, but as a music lover who grew up where music was the main thing. Music [now] feels largely relegated to something that happens in the background or while you’re doing something else. That’s a long, bitter story.” The musician added that their movie scoring success is in part because they’re “working in service to something, where we’re not in control of the whole thing, and we’re working intimately with a director or small team to try and help realize a collective vision, solving that riddle without the burden of ‘how’s it going to be marketed?’ and all the things.” Ist ja auch irre, wie viel die mittlerweile machen. Allein dieses Jahr "Challengers" (überhaupt: drei Guadagnino-Filme in zwei Jahren), "Queer" und "The Franchise". Nächstes Jahr u.a. "Tron: Ares" und "The Gorge". Mittlerweile sind sie in Hollywood erste Wahl für elektronisch orientierte Scores. Erstaunliche Entwicklung! |
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10462 Registriert seit 26.02.2016 |
2024-05-31 10:36:17 Uhr
"The Social Network" funktioniert für mich grandios auch ohne den Film, für mich auch ihr bester Score, von denen, die ich kenne."Challengers" erledigt seinen Job als Untermalung brillant und mich kickt der Sound auch ohne den Film. Als Album ist das Ding nur leider nicht so kohärent für mich durch die vielen Energiepausen, weshalb ich am Ende "nur" bei der 7 gelandet bin. |
Dumbsick Postings: 440 Registriert seit 31.07.2017 |
2024-05-31 10:35:53 Uhr
Finde ihn auch sehr gelungen. Wieder einmal ein Kurswechsel, wieder einmal sehr gelungen. Bin gespannt, wenn er denn überhaupt mal zurückkehrt, wie NIN zukünftig klingen könnten |
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Referenzen
Nine Inch Nails; How To Destroy Angels; Underworld; LCD Soundsystem; Mogwai; Danny Elfman; Angelo Badalamenti; Adrian Belew; Erik Satie; Hans Zimmer; Philip Glass; Brian Eno; Tweaker; Cliff Martinez; Jonny Greenwood; The Kronos Quartet; Coil; Jóhann Jóhannsson; Clint Mansell; Thomas Newman; Nathan Johnson; Henry Gorecki; Vast; Portishead
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