Ghostly Kisses - Darkroom

Akira / Membran
VÖ: 17.05.2024
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Warme Melancholie
Der Einfluss auf die Musik der Personen, die man bewundert, hält sich für den durchschnittlichen Fan eher in Grenzen. Da gibt es zwar die flüchtige Interaktion auf Konzerten, manchmal darf man sich vielleicht bei kleineren Acts sogar einen Song wünschen und so die Setlist beeinflussen. Hin und wieder sammeln Bands auch Videoschnipsel zu einem bestimmten Thema und das Musikvideo zu einer Single wird so zum Fan-Supercut. Das kanadische Duo Ghostly Kisses ist für sein zweites Album “Darkroom” einen ganzen Schritt weiter gegangen. Auf ihrer Website richteten Margaux Sauvé und Louis-Étienne Santais eine "Box of secrets" ein, in die Menschen ihre persönlichsten Gefühle und tiefsten Gedanken schreiben konnten – egal ob als kurze Anekdote, Gedicht oder in sonst einer Form. Hunderte von Einsendungen wurden angeschaut, einzelne verwandelten sich in Ideen für Songs, durch andere fielen Muster und Wiederholungen auf. So wurde "Darkroom" zum kollaborativen Projekt, in dem sich viele Menschen wortwörtlich wiederfinden können.
Die Rollenverteilung bei Ghostly Kisses ist durch Sauvé am Gesang und Santais als Produzent, der sich gelegentlich Hilfe von außerhalb holt, klar verteilt, und beeinflusste auch den Schaffensprozess. So wurde nicht sofort alles gemeinsam erarbeitet, sondern teilweise erst einmal für sich und dann zusammengeführt. Herausgekommen ist nach dem noch etwas verkopfteren Vorgänger "Heaven, wait" aus dem Jahre 2022 ein düsteres, elektronisches Pop-Album, das aus Elementen der letzten 30 Jahre schöpft und bei einigen die Nostalgieknöpfe wieder und wieder drücken wird. Schon "There's no more space" hat mit Strings und gregorianischem Chor im Hintergrund die Neunziger im Blick, während Sauvé ihren typischen zartgehauchten Gesang wispert. Trotz eines aufmunternden Backbeats läuft hier nach einer Beziehung nicht alles rund: "I never want to be awake / Everyday's always the same." Die Gründe dafür findet man eventuell im clubbenden Synth-Banger "Keep it real", in dem die Protagonistin zu mehr Ehrlichkeit aufruft, während sie sich auf der Tanzfläche verausgabt. Wohlwollender ist das nervöse "Golden eyes", das mit choraler Männerstimme zur Verstärkung einem Freund gesteht, dass da doch etwas mehr als platonische Gefühle im Spiel sein könnten: "I know we said we're only friends / But I don't want to pretend."
An anderer Stelle findet "Ocean" eine ganze Menge Kraft und geht von 2-Step-Anleihen in einen EDM-Beat über, um am Ende alles in Four-to-the-floor-Manier einzureißen. "On & off" ist mit stumpfen Drums und einer funkigen Gitarre am nächsten am Indie-Pop der Nullerjahre, nur um dann vom sich traurig hin und her wiegenden "Silver screen" ausgebremst zu werden, das sich nicht zwischen Ballade und TripHop entscheiden möchte und trotzdem funktioniert. Als besonders gewichtig darf danach "Crimson" gelten, das zu einer prominenten Synth-Orgel gegen die Nachrichten von Unterdrückung kämpft, die in der "Box of secrets" zu verheimlichter Homosexualität, aber auch der iranischen Protestbewegung eingingen, und anklagt: "I know it's not us, I know it's not us, I know it's not us to flee and hush / They bruise, they crush / They kill the love instead." "Within" kann da mit seinem Drumloop und quietschigen Elementen keinen draufsetzen, muss das aber auch gar nicht, weil es mit seiner positiven Nostalgie eher beim Verarbeiten hilft. Solche Songs hatten Indietronic-Kids als Startsong auf ihrer MySpace-Seite, wenn sie ein bisschen verliebt waren.
Die Box voller Geheimnisse, aus der "Darkroom" schöpft, wird nach etwas weniger als einer Dreiviertelstunde mit "Carousel" zugemacht, das mit Gitarre und mehreren Vocalspuren von Sauvé in der Tür steht, sich mit einem letzten Blick versichert, ob gerade alles gut ist, und dann das Licht ausmacht. In der Musik von Ghostly Kisses kann man vieles finden: Trost, Mut, Verständnis. Viele Einflüsse hören, von The xx bis zu Portishead. Und man findet auch einen zarten französischen Akzent in den oft einfach gehaltenen englischen Lyrics. Zusammen ergibt das ein Album, bei dem man mit geschlossenen Augen tanzen kann und völlig vergisst, dass eventuell Menschen um einen herum sind. Aber wenn man die Lider dann wieder aufschlägt, blickt man in freundliche Gesichter.
Highlights
- Keep it real
- Crimson
- Carousel
Tracklist
- There's no more space
- Keep it real
- Golden eyes
- Lonesome hero
- Ocean
- Calm down
- On & off
- Silver screen
- Crimson
- Within
- Beneath the clouds
- Carousel
Gesamtspielzeit: 42:33 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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The Hungry Ghost Postings: 995 Registriert seit 15.06.2013 |
2024-05-22 13:50:47 Uhr
Es freut mich als Ghostly-Kisses-Fan erster Stunde zunächst, dass das Album hier rezensiert wurde und der Künstlerin dadurch etwas mehr Aufmerksamkeit zuteil wird!Die Rezension liest sich für mich allerdings auch eigentlich positiv genug, sodass eine 8/10 als Gesamtwertung durchaus drin gewesen wäre. Es wäre ein (für mich gerechtfertigter) Überraschungseffekt gewesen, wenn es zum Album der Woche gereicht hätte. "Darkroom" ist für mich auf jeden Fall durchweg gelungen und neben dem schon vorab veröffentlichten "Crimson" ist momentan "Lonesome Hero" einer meiner derzeitigen Lieblingssongs des Albums. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28471 Registriert seit 08.01.2012 |
2024-05-21 18:47:19 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
The xx; Four Tet; Caribou; Portishead; Cocteau Twins; Beth Gibbons; Flower Face; Zola Blood; Daughter; Vaults; London Grammar; Arctic Lake; Clann; Tamino; Hot Chip; Bat For Lashes; Phantogram; Two Door Cinema Club; Chromatics; Brimheim; Friendly Fires; Bloc Party; Ms Mr; Lykke Li; Metronomy; Broods; M83; Broken Bells; James Blake; Sohn; The Postal Service; Lorde; Taylor Swift
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