DIIV - Frog in boiling water

Concord / Universal
VÖ: 24.05.2024
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Der Sprung nach draußen
Dass "Frog in boiling water" überhaupt existiert, ist ein mittelgroßes Wunder. Herrschte aufgrund von Zachary Cole Smiths oft öffentlich durchgekauten Privatleiden schon immer eine gewisse Unruhe bei DIIV, stand die Band diesmal kurz vorm Totalkollaps. Künstlerische, persönliche und finanzielle Reizpunkte brauten sich zu einem ungesunden Sud zusammen, der überzukochen drohte – sollte der Albumtitel eigentlich als Metapher für die langsam und widerstandslos dahinsiechende moderne Gesellschaft herhalten, beschreibt er auch ziemlich akkurat den Zustand seiner Urheber im Prozess der Entstehung. Doch nachdem sich die vier Frösche an einem Junitag am kalifornischen Echo Park Lake offen die Meinung gegeigt hatten, rauften sie sich zusammen und beendeten gemeinsam mit dem u.a. an Beach House und Slowdive geschulten Produzenten Chris Coady ihre vierte Platte. Dass diese nicht gerade gute Laune verbreitet, wäre auch ohne Kenntnis um die ganzen Querelen klargewesen. DIIV schleifen ihren ohnehin schon lichtundurchlässigen Shoegaze nur noch tiefer in den brodelnden Abgrund.
"Cost me nothing to say / My mind's at ease / When I'm in pain / Quietly swept away / I circle the drain." Die schleppende Lead-Single "Brown paper bag" sucht gleich zu Beginn nach Worten für das Gefühl wohliger Betäubung, wenn man jedes Ungemach so teilnahmslos hinnimmt wie eine im Boden feststeckende Papiertüte. Was bei DIIV allerdings keineswegs unbeweglich bleibt, sind die Gitarren, die wieder einmal in bester My-Bloody-Valentine-Manier sägen, kratzen, bohren, wirbeln – und damit direkt den von verhalltem Drumcomputer durchsetzten Opener "In amber" von den Füßen reißen, ehe sich am Ende einzelne Leuchtsignale durch die Saitenfluten kämpfen. Erst "Raining on your pillow" lockert das Feedback zugunsten eines weniger dichten Goth-Rock-Perlens auf, das die Stimmung aber natürlich auch nicht weiter nach draußen als bis zum Friedhofsrand trägt. Heller als grabsteingrau wird's bei DIIV nicht.
Der Titeltrack zieht im Anschluss zumindest das Tempo an, während Smith seine meistens im Krach untergehenden Vocals zu einer erstaunlich klaren Melodie und den Song damit zum größten Hit des Albums formt. "Somber the drums" fährt zwar keinen Refrain, dafür aber eine ähnlich zugängliche Gitarren-Hook auf – kann damit aber auch nicht verhindern, mittendrin von Samples heimgesucht fast den Verstand zu verlieren. Wie es bei solchen Düsterwerken oft der Fall ist, dauert es bis zum letzten Song, bis "Frog in boiling water" der Hoffnung doch einmal Raum zur Entfaltung lässt. Bestand bei DIIV die akustische Kanalisierung ihres Heimatlands vor allem in einer Lynch-haften Umstülpung des amerikanischen Traums, schafft es der Closer "Fender on the freeway", end- und wolkenlose Weiten ohne jede Schattenseite zu evozieren. Vielleicht die künstlerische Entsprechung des Lichtschweifs am Horizont, der sich beim in der Vergangenheit von Suchtproblemen geplagten Smith aufgetan hat, als er im November 2022 Vater geworden ist.
In ihrem Wesen ist "Frog in boiling water" trotz des Dauerdunkels also eine zerrissene Platte, was abseits der eingangs beschriebenen Hintergründe auch darauf zurückzuführen sein könnte, dass der Vierer verstärkt mit Breakbeats, Samples und Tape-Loops gearbeitet hat. Das mysteriöse "Soul-net" lässt sein beinah HipHop-artiges Fundament im Zeitraffer vermodern und fängt textlich direkt ganz unten an: "I struggle with my faith / I've raved and been insane / My life got away from me." Die Antwort darauf scheint "Everyone out" über aufgeregten Akustiksaiten als Komplement zu formulieren: "Ready for my life / Have faith this / Beautiful time will be / All mine." Der Druck steigt, das Wasser kocht, doch DIIV haben noch genug Kraft in den Schenkeln für den Sprung nach draußen.
Highlights
- In amber
- Brown paper bag
- Frog in boiling water
- Fender on the freeway
Tracklist
- In amber
- Brown paper bag
- Raining on your pillow
- Frog in boiling water
- Everyone out
- Reflected
- Somber the drums
- Little birds
- Soul-net
- Fender on the freeway
Gesamtspielzeit: 43:11 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Filip Postings: 320 Registriert seit 29.09.2024 |
2025-01-09 23:05:50 Uhr
Scheiße, das ist bitter. Bei CA/ LA/ Hollywood denkt man ja vielleicht zuerst an die Reichsten der Reichen. Dass es dort aber auch ganz normale Leute gibt und auch coole Musiker, die sich noch kein Vermögen aufbauen konnten, vergisst man leicht. |
Glufke Postings: 1054 Registriert seit 15.08.2017 |
2025-01-09 21:33:28 Uhr
https://www.visions.de/news/diiv-frontmann-haus-waldbraaende-fundraiser-gestartet/Der Diiv-Frontmann hat durch die Waldbrände bei LA seinen gesamten Besitz verloren. |
fakeboy Postings: 5884 Registriert seit 21.08.2019 |
2024-12-16 22:49:17 Uhr
Ach, ich bedaure sehr, dass ich es nicht ans Konzert in Zürich geschafft habe... Hatte Ende November einfach zu viel um die Ohren, aber hätte mir die Zeit dennoch nehmen sollen. Ich hab DIIV zu Oshin-Zeiten live entdeckt - auf einer kleinen Nebenbühne spielte eine mir unbekannte Band diese grandiosen Songs mit einer unglaublichen Intensität - erst als ich nach dem Gig die LP kaufte merkte ich, dass sie jeden Song in ungefährt doppelter Geschwindigkeit runtergerattert hatten. Tät mich sehr interessieren, wie die Band heute ihre "gereiften" Songs live spielt. Klingt jedenfalls sehr toll, wie du das beschrieben hast. |
Thanksalot Postings: 587 Registriert seit 28.06.2013 |
2024-12-16 22:34:43 Uhr
Großartiges Konzert am Samstag.Gut aufgelegt, sehr gute Setlist und zahlreiche kleine Einspieler machen es wohl zur "komplettesten" Konzerterfahrung für mich dieses Jahr. Die ohnehin schon rauen Songs des Vorgängers kamen nochmal eine Spur härter rüber, genau wie die neuen Songs auch. Besonders schön: "Take Your Time" und "Horsehead" endlich mal live zu erleben, war natürlich grandios. Ich hätte mir nur wirklich noch "Fender On The Freeway" gewünscht, wohl das Highlight des Albums für mich. Zudem ein schönes hochwertiges Shirt ergattert und die Location insgesamt mit einem sehr zufriedenem Gemüt verlassen. |
fakeboy Postings: 5884 Registriert seit 21.08.2019 |
2024-09-02 15:58:57 Uhr
Oshin 9Is the is are 8 Deceiver 8.5 Frog in boiling water 8.5 |
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Referenzen
My Bloody Valentine; Swervedriver; Slowdive; Ride; Chapterhouse; Lush; Curve; The Jesus And Mary Chain; Spiritualized; Spacemen 3; Galaxie 500; Pale Saints; Nothing; Parannoul; A Place To Bury Strangers; Hotline TNT; Yuck; Drop Nineteens; Whirr; No Joy; Ringo Deathstarr; Lower Dens; Just Mustard; Flyying Colours; Bdrmm; Blouse; Crocodiles; Film School; High Sunn; Horse Show; The Raveonettes; Hatchie; Pinkshinyultrablast; Deerhunter; The Horrors
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