Douglas Dare - Omni

Erased Tapes / Indigo
VÖ: 10.05.2024
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Im Berghain hört Dich niemand weinen
Digital ist besser! Das wussten Tocotronic schon, als sie ihre Instrumente gerade richtig herum halten konnten, und heutzutage lässt sich der digitale Wandel erst recht nicht mehr leugnen oder gar verhindern. Douglas Dare hat zwar schon früher mit Synthies angebandelt, mit "Omni" legt der Londoner Musiker aber nun eine waschechte Electronica-Platte vor, die sogar sein heißgeliebtes Klavier verlegen in den Hintergrund treten lässt. Seiner Begeisterung für die Club-Kultur will der 33-Jährige damit Ausdruck verleihen, auch für die deutsche, so gibt er zu Protokoll – die Tendenz sei schon immer dagewesen, jetzt gebe er ihr richtig nach. So sehr "Omni" aber auch drückt und dröhnt, das Markenzeichen des Künstlers bleibt klipp und klar: das Leid. Nicht zuletzt durch seine glasklare Stimme, die an eine Anohni erinnert oder zumindest an einen Thom Yorke, der seine feminine Seite umarmt, überzieht Dare selbst rhythmisch-synthetisches Gewummer mit der Aura des Aussichtslosen. Schlüge man "Weltschmerz" im Wörterbuch nach, fände man dort bestimmt sein Bild – Downbeat im Wortsinn.
Den düsteren Sound von "Mouth to mouth" hat der Londoner Kollege Rival Consoles spendiert, das Pairing funktioniert. Denn trauriger wird der Rave heute Nacht nicht mehr: "There was a time when I thought you would marry me / But the stars had other ideas / Now I live with that." Am schmerzlichsten vermisst wird hier der physische Aspekt einer gescheiterten Beziehung, und die Sehnsucht perlt aus allen Bässen. "Absentia" widmet der quälenden Abwesenheit des Partners direkt ein eigenes Stück, auch sich im Hintergrund tummelnde Roboterstimmen können den Verlust nicht aufwiegen, und Dare folgt dem Fehlenden in den Abgrund. Aber schon in "Sailor" findet er seine persönliche Coping-Strategie und brennt mit dem nächstbesten hübschen Matrosen durch – ein klischeebehaftetes Bild, sicherlich, Dare verwandelt es aber wie schon die herzzerreißenden Klagelieder zuvor in großes, authentisches Kino. "Omni" ist so zerbrechlich wie intensiv, scheut sich nicht vor Kitsch und pendelt zwischen anekdotischen Halb-Romanzen – später gesellen sich zum leichtfüßigen Matrosen noch ein polyamorer Lehrer und ein verwirrter Maler – und der gnadenlosen Kränkung eines Verlassenen.
Das erwähnte "Teach me" zeigt sich kunstvoll und vielschichtig, bevor "No island is a man" bedrohliche Blasen brodeln lässt. Doch es gibt einen zärtlichen Hoffnungsschimmer inmitten all des Elends: "Painter" bastelt Blechbläser aus dem Computer und Spoken-Word-Verse an einen hüpfenden 80er-Beat, der fast ein bisschen fröhlich klingt. Also entfernt. Beinahe. Und wer sich schon immer mal gefragt hat, wie Radiohead im Club-Gewand klingen würden, führe sich abschließend "8w9zeros" zu Gemüte – noch am ehesten eine Dancefloor-Single für Nicht-Depressive. Nicht nur hier, in den etwas helleren Gefilden, überzeugen die Melodien, sondern auch in der gnadenlosen Schwermut vorneweg. Raving with tears in my eyes bis zum Schluss: Bringt das nächtelange Durchtanzen wirklich die Befreiung, das grelle Sonnenlicht, nachdem man schließlich nach draußen stolpert, endlich die Erlösung? Derart tief, wie Dare im Abgrund sitzt, scheint selbst dieses Versprechen gescheitert, sobald der Rausch im Morgengrauen wieder verpufft.
Highlights
- Mouth to mouth (feat. Rival Consoles)
- Sailor
- Teach me
Tracklist
- Three roads
- Mouth to mouth (feat. Rival Consoles)
- Absentia
- Sailor
- Omni
- Teach me
- No island is a man
- Painter
- 8w9zeros
- The stream
Gesamtspielzeit: 39:00 min.
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gawain Postings: 155 Registriert seit 13.06.2013 |
2024-05-16 08:27:23 Uhr
Tolles Album, erinnert frappierend an Jamie Woon und sein wunderbares "Night Air". |
ichreitepferd Postings: 1095 Registriert seit 22.04.2021 |
2024-05-15 08:40:25 Uhr
Stark |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28471 Registriert seit 08.01.2012 |
2024-05-13 20:12:44 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
MickHead Postings: 4561 Registriert seit 21.01.2024 |
2024-05-10 11:21:01 Uhr
Heute erscheint das 4. Album "Omni" des britischen Singer-Songwriters "Douglas Dare". Das letzte Album "Milkteeth" von 2020 wurde hier leider nicht besprochen. Auf seinem neuen Werk, wechselt der begnadete Musiker seinen Stil von Art- und Chamber Pop zu Elektromusik. Highly recommended!Omni: https://douglasdare.bandcamp.com/album/omni https://www.musikblog.de/2024/05/douglas-dare-omni/ Milkteeth 2020: https://douglasdare.bandcamp.com/album/milkteeth |
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Referenzen
Perfume Genius; Jónsi; Patrick Wolf; Jungstötter; Owen Pallett; Final Fantasy; James Blake; Thom Yorke; Radiohead; Atoms For Peace; Chet Faker; Ásgeir; Kiasmos; Nils Frahm; Rival Consoles; Ólafur Arnalds; Sohn; Jamie xx; Sigur Rós; Tim Hecker; Arca; How To Dress Well; Klangstof; Mount Kimbie; Sophie; Son Lux; Hania Rani; Hauschka; Efterklang; Múm; Agnes Obel; Antony & The Johnsons; Anohni; The Notwist; Modeselektor; Apparat; Moderat; Soap&Skin; Bat For Lashes; Teitur; Sufjan Stevens; Rufus Wainwright; Maximilian Hecker; Portishead; Paul Kalkbrenner; Bon Iver; Björk; Tom Odell; Editors; Bloc Party; Depeche Mode; Polarkreis 18; Röyksopp; Ryk
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