Wilhelmine - Meere

Warner
VÖ: 03.05.2024
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10

Tränchen verdrückt
Manchmal muss man etwas genauer hinhören. Selbst wenn es um Musik geht, die nicht einmal im Ansatz sperrig oder kompositorisch komplex sein will. Aber in einem Genre wie dem deutschsprachigen Pop, wo der Fundus der Majorlabels an schlageresk und schablonenartig agierenden Jungs und Mädels für die Formatradio-Schleife seit gefühlt zwei Dekaden schier unersättlich ist? Alleine beim Antesten oder Nebenbeihören bleibt auch von Wilhelmines Musik zunächst nicht sehr viel hängen – mit Ausnahme natürlich der zauberhaften, weil beruhigenden und sanft verträumten Stimme der Berliner Songwriterin und Sängerin.
Ja, es gibt sie auch hier, die Single an Position zwei, die zwischen Forster, Weiss und Giesinger nicht wirklich auffällt. Dennoch ist "Frei" ein zumindest kaum peinlicher Ohrwurm. Das folgende "Nie wieder wegrennen" entpuppt sich schnell als der wohl schmissigste Track von Wilhelmines zweitem Album "Meere". In leicht anders geschichteter Instrumentierung würden wir von einem flotten Indie-Rocker sprechen. Doch der Sound der Künstlerin schielt mehr auf Subtilität, hält Ausschau nach Strobos und Synthies. Und so bedankt sich Wilhelmine mit dem feinen Elektro-Popper "Paula" auf die schönste Art und Weise bei ihrer besten Freundin, einfach fürs Sein und Dasein. Trotz Gefühlsduselei und teils bis aufs Äußerste zelebrierter Zartheit schafft sie es dabei immer wieder, eine durchaus spannende Atmosphäre zu erzeugen.
Dieses Urteil stützt sich auf zwei Hauptkomponenten: Die meisten Stücke auf "Meere" sind gebettet auf einen dünnen, aber überall präsenten Synthie-Teppich. Der sich im Hintergrund an Stimme, Piano, Percussions und die akustische Gitarre schmiegt. Der für eine gewisse Gleichmäßigkeit sorgt, aber Wilhelmines Musik dabei auch Tiefe und internationalen Touch verleiht. Weil die kleinen Geschichten rund um Liebe, Trennung, Selbstfindung und Freundschaft – die dann doch meist recht üblichen Themen – in unaufgeregter Atmosphäre durchaus wirken dürfen. Besonders gut gelingt das der Sängerin in andächtigen Momenten wie "Viele": Nicht nur hier stellt sich die bekennend lesbisch lebende Wilhelmine gegen Homo- und LGBTQ-Hass, in ihrer ureigenen, deeskalierenden Art und Weise: "Denn so wie Wasser die Meere / Füllt letztendlich Liebe die Leere." Tränchen verdrückt.
Oder im intensiven, fast düsteren Hip-Popper "Keine Luft", dem ihr hastig-zarter Sprechgesang nicht besser zu Gesicht stehen könnte. Das zweite Pfund? Die wenigsten Stücke erreichen die Drei-Minuten-Marke, nur drei Mal geht's darüber. So verliert sich Wilhelmine eben nicht in genretypischer, nervtönender Repetition von Refrains oder lyrischen Plattitüden, für die einige der unten aufgeführten Künstler*innen stehen. Vielmehr verleiht sie ihren Zeilen dadurch Nachdruck, dass sie für sich stehen können. "Am Ende" macht den Zuhörer*innen schließlich dahingehend Mut, dass auch nach heftigen Rückschlägen die Talsohle irgendwann durchschritten sein wird. Kurz, klar und in manchem Moment berührend – wie diese Platte. Wenn man sich darauf einlässt.
Highlights
- Nie wieder wegrennen
- Paula
- Viele
Tracklist
- Intro
- Frei
- Nie wieder wegrennen
- Paula
- Irgendein Dienstag
- Rosalind
- Sie
- Vergleiche
- Viele
- Glanz
- Keine Luft
- Am Ende
Gesamtspielzeit: 31:47 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Furchtbonbon Postings: 100 Registriert seit 12.01.2023 |
2024-05-07 18:21:32 Uhr
In Wilhelmines Kontext finde ich es total wichtig, dass es erwähnt wird, weil es sich in ihrer Kunst darum geht, dass sie sich dafür rechtfertigen musste, welche sexuelle Orientierung sie hat. |
Rochen Postings: 572 Registriert seit 15.10.2022 |
2024-05-07 18:18:31 Uhr
Es fühlt sich im Jahr 2024 aber auch niemand unwohl, weil er als Heterosexueller in seinem Umfeld besser ungeoutet bleiben muss. |
Kiezgrün Postings: 58 Registriert seit 29.05.2023 |
2024-05-07 18:14:51 Uhr
Zur Rezension: Das „bekennend“ bei lesbisch lebend ist im Jahr 2024 ein Anachronismus. Es schreibt ja auch niemand über „bekennend heterosexuell lebende“ Künstler*innen. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28661 Registriert seit 08.01.2012 |
2024-05-05 21:20:17 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28661 Registriert seit 08.01.2012 |
2024-03-05 12:05:41 Uhr - Newsbeitrag
Wilhelmine kündigt nach ihrem Top-10-Debütalbum den Nachfolger “Meere” für den 03. Mai 2024 anIm Mai 2024 auf großer Deutschland-Tour Im August 2024 Support von Coldplay in München: 15./17./18.08. Olympiastadion, München Wer Wilhelmine kennt – und das sind nach ihrem Top-10-Debütalbum „Wind“ (2022), ausverkauften Tourneen und den gerade bestätigten Coldplay-Supportshows für den Sommer 2024 inzwischen ziemlich viele Menschen in diesem Land –, schätzt die Berlinerin für ihre Fähigkeit, selbst schwere Themen in Songs zu kleiden, die sich überraschend leicht anfühlen. Auf ihrem kommenden Album „Meere“ hat sie diese Kunst weiter perfektioniert. Und zeigt sich dabei persönlicher und nahbarer denn je. „Bisher waren meine Lieder eher wie Fotos aus der Vergangenheit, die ich in meinen Texten beschreibe. Jetzt habe ich Songs, in denen ich so echt und nah von meinen alltäglichen Gefühlen, meinen Hoffnungen und Ängsten erzähle, wie ich es in meiner Musik noch nie getan habe“, sagt Wilhelmine. Vorab erschienen vom Album die Singles „nie wieder wegrennen“, „Paula“ und „sie“ sowie der frisch erschienene “sie” (Moglii Remix) inkl. Lyricvideo. Das Album „Meere“ folgt am 03. Mai 2024. Ebenfalls im Mai geht Wilhelmine auf „alles fließt“-Headlinertour durch 19 Städte in Deutschland, Österreich und der Schweiz, im August ist sie neben Maggie Rogers Support bei den drei Stadionshows von Coldplay in München. |
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Referenzen
Lissy Fey; Glasperlenspiel; Judith Holofernes; Wir Sind Helden; Lotte; Madeline Juno; Lea; Juli; Silbermond; Mine; Alex Mayr; Lisa Who; Mia.; 2Raumwohnung; Klee; Blum; Luna; PeterLicht; Florian Künstler; Seelemann; Clueso; Benne; Revelle; Fabian Wegerer; Franzi Harmsen; Lina Maly; ela.; Joris; Wincent Weiss; Nico Santos; Mark Forster; Glasperlenspiel; Max Giesinger; Namika; Tim Bendzko; Alin Coen Band; August August; Hannes Wittmer; Nullmillimeter; Vök; Lorde; St. Vincent; Lana Del Rey
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