A Certain Ratio - It all comes down to this

Mute / PIAS / Rough Trade
VÖ: 19.04.2024
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Groovendes Gruselkabinett
Kurz mal bitte die Augen reiben: A Certain Ratio gibt es seit sage und schreibe 47 Jahren. Während andere Musiker dieser Alterskohorte entweder Tulpen züchten, Wein anbauen, im Geldspeicher schwimmen oder zweifelhafte Best-of-Alben veröffentlichen, hauen A Certain Ratio mit "It all comes down to this" mal eben ein Album raus, das nicht weniger als begeistert, ja, geradezu verzückt. Doch der Reihe nach. Sie waren ja musikalisch immer schon schwer zu klassifizieren, die Post-Punker aus Greater Manchester. Diesem Anspruch bleiben sich A Certain Ratio bis heute treu, haben ihn aber über die Jahrzehnte eher vertieft und verfeinert als abgeschliffen, wie es bei vielen altersmilden Zunftgenossen der Fall ist.
Das vorliegende Album ist ein in schrillen Farben schimmerndes Panoptikum der Stile und Sounds, das die grundlegende DNA, bestehend aus Funk und Factory-Sound, nicht verleugnet. Tracks wie "Bitten by a lizard" oder "Estate kings" bieten eiskalten, ja tiefgefrorenen Funk, bei dem akzentuiert gespielte Drums raffiniert mit Sequenzer-Klängen überlagert werden, schneidende Trompeten auf Wahwahgitarren-Geknörmel treffen – und ein übellauniger Sprechgesang dafür Sorge trägt, dass das alles nicht zu lebensbejahend wird. Wer sich schon einmal gefragt hat, welche Musik eigentlich so in der Vampir-, Skelett- und Gespensterdiscothek gespielt wird: Here you are!
Doch das ist nur die eine Seite, die Platte kann noch mehr. "All comes down to this" oder "Keep it real" sind Stücke, die mit schrillen Synthiesounds und stoischen Grooves fast schon an die besten Momente von Pere Ubu und Can erinnern, "Dorothy says" wiederum könnte mit seinen expressiv-verhallten Gitarrenpickings und knalligen Drums auch aus der "Heaven up-here"-Phase von Echo & The Bunnymen stammen. Und "Surfer ticket" fesselt mit quecksilbrig-synthetischen TR808-Hi-Hats, einem superelastischen Bass und verstörenden Akkordfolgen, die man in Peter Burschs Gitarrenschule wohl nie gefunden hätte.
Wenn hier diverse Referenzen genannt werden, dann ist das vor allem dem Servicegedanken gegenüber der Leserschaft geschuldet: Was A Certain Ratio abliefern, ist nämlich zu keiner Zeit epigonal, sondern stets ganz eigenständig, stilsicher, vielfältig. Ein großer Erfolgsfaktor dieses "It all comes down to this" ist die präzise Schlagzeugarbeit, die zwar reichlich Funk-Klischees zitiert, dabei aber so stoisch gerät, dass man statt von Grooves lieber von tektonischen Verschiebungen sprechen möchte. Ein anderer ist die durchweg hohe Experimentierfreude und klangliche Vielfalt, die aber niemals ins Unverdauliche abdriften. Keiner der Songs ist überflüssig, in jedem Stück gibt es etwas zu entdecken. Zu den besonderen Vorzügen gehört außerdem, dass diese Kompositionen den Hörer auf einen luziden Trip schicken, ja fast schon cineastischen Charakter haben. Wäre "It all comes down to this" schon 1996 veröffentlicht worden, dann hätte David Lynch für den Soundtrack von "Lost highway" oder auch später "Mulholland Drive" die Dumpfrocker Rammstein bestgelaunt ignoriert – und folgerichtig A Certain Ratio verpflichtet. Denn hier spielt die elegant-monomanische Musik, zu der die Leute tanzen, die Dich später möglicherweise umbringen.
Highlights
- All comes down to this
- Surfer ticket
- Bitten by a lizard
- Out from under
Tracklist
- All comes down to this
- Keep it real
- We all need
- Surfer ticket
- Bitten by a lizard
- God knows
- Out from under
- Estate kings
- Where you coming from
- Dorothy says
Gesamtspielzeit: 36:36 min.
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Referenzen
Joy Division; The Durutti Column; Gang Of Four; Swell Maps; Can; Talking Heads; Tom Tom Club; Shriekback; Echo & The Bunnymen; New Order; Pere Ubu; Wire; Magazine; Modern English; Fad Gadget; Frank Tovey; Tears For Fears; !!!; LCD Soundsystem; The Rapture; The Juan MacLean; Yello; Stretch; Bauhaus; The Sisters Of Mercy; The Cassandra Complex; Buzzcocks; Dead Can Dance; Jah Wobble; Frankie Goes To Hollywood
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