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Bernd Begemann & Die Befreiung - Milieu

Bernd Begemann & Die Befreiung- Milieu

Brilljant Alternatives / Membran
VÖ: 19.04.2024

Unsere Bewertung: 5/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

In der Ironiefalle

Eines kann man Bernd Begemann nicht vorwerfen: dass er einen gleichgültig lässt. Manch einer wendet sich mit Grausen, sobald nur der Name fällt, ein anderer jauchzt begeistert auf und zählt sofort zehn Superhits des Mannes auf, der irgendwie aussieht wie eine Kreuzung aus Max Goldt und Kyle Chandler. Ob und wie man Bernd Begemann schätzen kann, hängt aber – deutlich mehr als bei anderen Künstlern – davon ab, in welcher Situation man auf ihn trifft. Live auf der Bühne kann er sämtliche Rampensau-Gene ungehindert in alle Richtungen abfeuern, da liefert er ein gnadenloses Unterhaltungsprogramm ab, dessen Ansteckungskraft an den seligen Fips Asmussen erinnert: Selbst wenn man sich vorher fest vorgenommen hat, das Gebotene blöd zu finden, kommt man nach zwei Stunden mit Lachtränen im Knopfloch und höchst erfrischt-beseelt nach Hause.

Und genau hier liegt auch das Problem bei seinem neuen Album "Milieu": Was auf der Bühne beneidenswert gut funktioniert, sackt zuweilen komplett in sich zusammen, wenn das Drumherum, die Show, der Glitzer, der Schweiß fehlen. Das gilt in besonderem Maße für den Gesangsstil. Die gebotene Mischung aus schmalzigem Croonen à la Howard Carpendale, Gurgeln und Raunen à la Manfred Maurenbrecher, exaltiertem Knödeln und genereller Überakzentuierung fast jedes einzelnen Worts kann live durch entsprechende Mimik und Gestik als ironisch gebrochene Grandezza verstanden und auch genossen werden, sorgt aber per CD oder Stream in der heimischen Wohnstube nach kurzer Zeit verlässlich für Ermüdung. Da hilft es dann auch nicht, dass große Teile des vorliegenden Werks allzu statisch unter weiträumigem Einsatz von Drumcomputern und sonstigen Digitalquellen eingespielt erscheinen. Musikalisch pendelt "Milieu" überwiegend zwischen plattem Schlager und gelungenem Pop-Rock hin und her. Textlich wiederum gibt es eine große Bandbreite zwischen völligem Quatsch ("Es hat einen Vorfall gegeben"), brillanten Analysen wie der stringenten Schilderung eines Influencerinnen-Schicksals in "Sophia Thiel" und mild Unappetitlichem: "Hallo Bett / Tief in Dir formte mein Po dieses Loch / Genau dort lege ich mich jetzt wieder hin."

Das alles ist umso bedauerlicher, weil es an vielen Stellen schon genügen würde, den Pomp und die Exaltiertheit des Gesangs ein bisschen zurückzufahren, denn "Milieu" hat starke Passagen: "Kann kein allein mehr" beispielsweise ist eine ehrliche und glaubhafte Ballade, in der der Protagonist sich ausnahmsweise mal ironiefrei verletzlich zeigt. "Sophia Thiel" wiederum überzeugt nicht nur textlich, sondern überrascht auch musikalisch, weil Begemanns Truppe hier statisch-tiefgekühlten Funk à la Steely Dan spielt. "Die kleinen Dinge" bringt Beziehungselend gewitzt auf den Punkt: Begemann besingt den achtsamen Hausmann, der den Duschkopf repariert, Nudeln aufbrät und bei den Rauchmeldern die Batterien austauscht, sich mithin also liebevoll um die unzähligen kleinen Dinge im Haushalt kümmert – doch leider, so muss er konzedieren, fehlt der Partnerin statt vieler kleiner Dinge etwas "Großes".

Immerhin verkneift sich Begemann an dieser Stelle dankenswerterweise den sehr, sehr naheliegenden Kalauer. Er kann es also eigentlich, der wundersame Typ aus Bad Salzuflen, aber mehr als einmal wünscht man sich bei "Milieu" etwas weniger sarkastische Fassade, etwas weniger Seelen-Imprägnierung durch ulkiges Gehabe – und mehr von dem echten Begemann, der – wenn er will – eine ganze Menge Dinge zu erzählen hat, die man gerne hören würde. Wie schon gesagt: Er kann einen eigentlich nicht gleichgültig lassen.

(Jochen Reinecke)

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Highlights

  • Kann kein allein mehr
  • Sophia Thiel
  • Die kleinen Dinge

Tracklist

  1. Es hat einen Vorfall gegeben
  2. Hallo Bett
  3. Kann kein allein mehr
  4. Ich wünsche es mir trotzdem
  5. Ich muss berührt werden
  6. Die Nachteile
  7. (Der weltweit führende Experte für) Patrizia Dombrowski
  8. Sophia Thiel
  9. Unsere Liebe tief und tödlich
  10. Kleinste Sekte
  11. Die kleinen Dinge
  12. Scheiße mann, echt jetzt...?!?
  13. Gemäßigt ist das neue radikal
  14. Die vielen Anderen

Gesamtspielzeit: 37:00 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

jo

Postings: 6886

Registriert seit 13.06.2013

2024-04-10 22:02:10 Uhr
Aber wirklich! :D

S.v.K.

Postings: 231

Registriert seit 13.06.2013

2024-04-10 21:02:16 Uhr
Also nach nur zwei Stunden ist noch keiner heim gekommen, der von Anfang bis Ende geblieben ist. Muss ein Tippfehler sein. ;)

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 28634

Registriert seit 08.01.2012

2024-04-10 20:45:57 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

jo

Postings: 6886

Registriert seit 13.06.2013

2023-10-19 22:45:50 Uhr
Aber wie dem aus sei: Aus "Prinzip" sollte aktiven Musikhörern unter 70 doch irgendwie nix gefallen.

Hmmm... Für mich gibt es aber noch einen Unterschied zwischen "10/10-Künstler" und "der liefert auch immer nur 10/10-Songs ab".

Na, so viel Reflektiertheit hast du anderen unter 70 wohl nicht zugetraut, oder? ;)

soulstewmartin

Postings: 1

Registriert seit 19.10.2023

2023-10-19 22:34:26 Uhr
Manchmal fühle ich mich ziemlich allein.

Wen der eine - offensichtlich den Meinungsbildungsprozess ausgelagert – unnötige Plattitüden wiederholt und nebenbei dabei Bernd Begemann – äh – Punktabzug androht und sich die anderen einig sind, dass Bernd "aus Prinzip ein 10/10 Künstler" sei.

Beides stört mich in der jeweils unreflektierten Art. Natürlich hat Bernd im Laufe seiner Jahrzehnte große und kleine Kleinode geschaffen – aber leider gehört der aktuelle Song – trotz gutem Introtext bei YT – nicht dazu. Der ist einfach zu schlapp. (Ähnliches gerade bei Dorau und etwas früher bei Der Liga....)  

Aber wie dem aus sei: Aus "Prinzip" sollte aktiven Musikhörern unter 70 doch irgendwie nix gefallen. Sonst stopft man/frau sich doch die zarten Gehörgange viel zu voll mit tönendem Styropor.

Und nun hoffe ich auf die anderen Songs.
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