Beyoncé - Cowboy Carter

Columbia / Sony
VÖ: 29.03.2024
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

Black country, new road
Weit bevor das Album zu hören oder auch nur eine Tracklist zu sehen war, hatte "Cowboy Carter" die Aufschrift "WICHTIG!!!" in roten Lettern schon aufgedruckt bekommen. Wenn sich auf der Wikipedia-Seite schon Tage vor Veröffentlichung ein Abschnitt mit dem "Impact" der noch unbekannten Platte beschäftigt, wenn zwischen Verwirrungen über den Namen, Spekulationen über mögliche Features und Empörung über US-Radiostationen die Blogs und sozialen Medien heißlaufen, dann hat Beyoncé einmal mehr ein Album gemacht. Spätestens seit ihrem selbstbetitelten audiovisuellen Werk sind neben der Musik die Statements darin mindestens genauso wichtig. Zum Glück hatten danach sowohl das tiefschürfende "Lemonade" und das groovige "Renaissance" trotzdem reichlich großartige Songs. "Cowboy Carter" holt schon im Titel das Lasso raus, zwei Dinge sind jedoch klarzustellen: "Es ist kein Country-Album, es ist ein Beyoncé-Album", ließ Frau Knowles-Carter verlauten. Und natürlich geht es ihr vor allem um das Augenmerk auf die People of Color, die das Genre und das Land drumrum geprägt haben – was es nicht nur als Teil der geplanten Trilogie mit "Renaissance" verbindet.
Was es von "Renaissance" unterscheidet? Nun, jenes Album verdingte sich vor allem in Disco und House – Genres, deren traditionelle Grundlage Eskapismus und Spaß war, damit unterdrückte Minderheiten den Widrigkeiten des Alltags entfliehen konnten. Country ist hingegen ein Genre, dessen historische Stimmung vor allem durch Schwermut und Melancholie geprägt ist, dem düstere Geschichten meist wichtiger sind, als gute Laune zu verbreiten. Insofern ist es wohl ein Feature und kein Bug, dass "Cowboy Carter" im Vergleich bei weitem nicht so viel Spaß macht. Die Vorabsingle "Texas hold 'em" ist zwar die kontemporäre Form in gut aufgelegt, geriet jedoch womöglich als Köder für entsprechende Radiostationen in den USA – Kurzfassung: Boykott, Beyhive, Outrage, Zurückrudern – bedeutender denn als schmissiger, aber unspektakulärer Song. Wenig repräsentativ ist er zudem, weil Beyoncé ohnehin das Genre über die sehr ambitionierte Laufzeit in alle Ecken und Enden streckt und mit R'n'B, Trap oder Elektro verbindet.
Dass unter den echten Songs – die neben Interludes und kurzen Fragmenten nur rund zwei Drittel der Tracklist ausmachen – fast alles funktioniert, ist auf der Habenseite zu verbuchen. Besonders gut passt die pompöse Eröffnung "Ameriican reqiuem" ins Bild, die direkt mit dem Publikum der Country Music Awards 2016 abrechnet. Damals performte Beyoncé unter Protesten und Saal-Abwanderungen mit The Chicks den Song "Daddy lessons" – was vermutlich ein Antrieb war, um dieses Album überhaupt zu machen. "It's a lot of talkin' goin' on / While I sing my song / Can you hear me? / I said, 'Do you hear me?'" In eine ähnlich bombastische Kerbe schlägt wenig später "16 carriages", das ihren eigenen Werdegang zur Story umfunktioniert. Das erwähnte "Daddy lessons" bekommt später mit dem umheimlichen, reduzierten "Daughter" einen spirituellen Nachfolger. "They keep sayin' that I ain't nothin' like my father / But I'm the furthest thing from choir boys and altars / If you cross me, I'm just like my father / I am colder than Titanic water", warnt Beyoncé, bevor sie die italienischsprachige Arie "Caro mio ben" als Höhepunkt einwebt.
Solche Zitate waren schon auf den Vorgängern oft Highlight-Momente und auch hier gibt es zwischen Einschüben von "Good vibrations" oder "Sexy and I know it" allerhand Referenzen auszudeuten. Während bei "Renaissance" jedoch diese Knowledge Drops voller Leichtigkeit passierten, wirkt es auf "Cowboy Carter" manchmal regelrecht verkrampft, alles mit Bedeutung und Bezügen aufzuladen – teils sogar fehlgeleitet. Wenn man schon eine schwarze Country-Ikone wie Linda Martell featured, warum wird sie zweimal dazu verdonnert, selbstgratulierend zu betonen, wie egal Genres sind? Speziell im Skit vor vor "Ya ya" wirkt es überheblich: "This particular tune stretches across a range of genres, and that's what makes it a unique listening experience." Der Song macht in seiner zackigen Flippigkeit jede Menge Spaß, aber "unique" ist er eben bei weitem nicht. Musste Dolly Parton zudem wirklich in einem Spoken-Word-Intro Parallelen zwischen ihrem "Jolene" und Beyoncés "Sorry", respektive "Becky with the good hair" ziehen? Solche eingehämmerten Verweise und Lobpreisungen wirken leider nicht clever, sondern vielmehr wie das Klopfen auf die eigene Schulter – und das hat "Cowboy Carter" eigentlich nicht nötig.
Statt "I'm begging of you, please don't take my man" heißt es in "Jolene" übrigens nun: "I'm warning you, don't come for my man." Klar, eine Beyoncé bittet nicht, sie fletscht die Zähne, was gerade an dieser Stelle allerdings erneut eher wie ein Krampf scheint. "Blackbird" von den Beatles bleibt hingegen weitgehend originalgetreu. Das passt, schließlich war Paul McCartney damals vom Civil Rights Movement inspiriert, den Song zu schreiben und die Message bleibt bestehen. Das lässige "Bodyguard" gefällt ebenso wie das Trap-infizierte "Spaghettii" mit dem einzigen Killer-Rap-Part von Beyoncé auf der Platte. "Riiverdance" mopst sich zur Gitarre sogar einen "Renaissance"-Beat, hätte aber in seinen vier Minuten noch deutlich mehr damit anstellen können. Wirklich schleifen lässt es "Cowboy Carter" aber lediglich in der Mitte. Das Miley-Cyrus-Duett "II most wanted" kommt nicht über MOR-Standardkost hinaus, während "Levii's jeans" mit Post Malone als einziger wirklicher Ausfall das unmöglich Geglaubte schafft: Beyoncé unsexy wirken zu lassen. Vielleicht muss ein Rundumschlag im Genre auch den Cringe des Boyfriend-Country beinhalten, aber zwischen Sex-Jam und Product Placement wirken Zeilen wie "You know I'd like to be your Levi's jeans / So I can hug that ass all day long" so, als würde man den eigenen Eltern beim Dirty Talk zuhören müssen.
Klar, dass hinter "Cowboy Carter" jede Menge Arbeit steckt, alles an seinen Platz zu stellen, die Stücke kunstvoll miteinander zu verweben – wie beispielsweise beim Quartett aus "Riiverdance", "II hands II heaven", "Tyrant" und "Sweet ★ honey ★ buckiin'", das kurz vor Schluss flüssig ineinander übergeht, bevor "Amen" die Brücke zum Opener schlägt. Würden wir A-Noten für die Albumkonstruktion, die Inhaltsdichte und den kulturellen Diskurswert vergeben, wäre "Cowboy Carter" ein sicherer Abräumer. Diese Rezension könnte noch zehn weitere Absätze lang auf die Details eingehen, mit denen die Songs immer wieder verblüffen, zum Nachdenken anregen. Das alles lenkt jedoch nicht davon ab, dass diese fast 80 Minuten nicht selten anstrengend wirken, unter ihrer eigenen Bedeutungslast ächzen, die sie viel zu häufig glauben betonen zu müssen. Beyoncé hätte gut daran getan, wie bei "Renaissance" das Fett abzuschneiden und Banger auf Banger – die es hier eigentlich zur Genüge gibt – folgen zu lassen und die Geschichtsstunde im Vorbeigehen abzuhandeln. Aber vielleicht ist die Platte auch gerade deshalb auf ihre Weise ein treffendes Spiegelbild des Genres Country: kompliziert, zerrissen und mit sich selbst im Konflikt.
Highlights
- Ameriican reqiuem
- 16 carriages
- Bodyguard
- Daughter
- Ya ya
- II hands II heaven
Tracklist
- Ameriican reqiuem
- Blackbiird (feat. Brittney Spencer, Reyna Roberts, Tanner Adell & Tiera Kennedy)
- 16 carriages
- Protector (feat. Rumi Carter)
- My rose
- Smoke hour ★ Willie Nelson (feat. Willie Nelson)
- Texas hold 'em
- Bodyguard
- Dolly P (feat. Dolly Parton)
- Jolene
- Daughter
- Spaghettii (feat. Linda Martell & Shaboozey)
- Alliigator tears
- Smoke hour II (feat. Willie Nelson)
- Just for fun (feat. Willie Jones)
- II most wanted (feat. Miley Cyrus)
- Levii's jeans (feat. Post Malone)
- Flamenco
- The Linda Martell show (feat. Linda Martell)
- Ya ya
- Oh Louisiana
- Desert Eagle
- Riiverdance
- II hands II heaven
- Tyrant (feat. Dolly Parton)
- Sweet ★ honey ★ buckiin' (feat. Shaboozey)
- Amen
Gesamtspielzeit: 78:34 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
nörtz User und News-Scout Postings: 15786 Registriert seit 13.06.2013 |
2024-12-27 19:17:48 Uhr
für mich ein völlig unnötiges album.Meine Reisen durch diverse Worst-Of-Jahresendlisten haben mir offenbart, dass ja zig Pop-Artists dieses Jahr einen auf Country gemacht haben. Machine Gun Kelly, Post Malone, Beyoncé und Lana will ja auch ein Countryalbum releasen. Das klingt alles so beliebig, wie da auf jeden angesagten Trend aufgesprungen wird. |
Grizzly Adams Postings: 5873 Registriert seit 22.08.2019 |
2024-11-26 18:12:15 Uhr
Knappe 7/10 von mir für dieses Album. Allerdings zu lang. Ein paar Filler dürften gerne fehlen. Meine Anspieltipps sind American Requiem, Daughter, II Most Wanted und natürlich Yaya. |
jo Postings: 6825 Registriert seit 13.06.2013 |
2024-08-25 08:22:17 Uhr
Ja, die wurde nachgeschoben. Ich denke, dass man den ersten Release einfach komplett überhastet hat. Dann wurde eben das Presswerk genommen, das gerade zur Verfügung stand - meistens kein gutes Zeichen. Ich würde mich aber nun auch nicht wundern, wenn diejenigen, die Reviews zum späteren Release geschrieben haben, sich von der nun "kompletten" Tracklist und vom Preis (der andererseits beim ersten nun auch nicht gerade günstig war...) haben blenden lassen ;). |
boneless Postings: 6210 Registriert seit 13.05.2014 |
2024-08-24 14:45:08 Uhr
Gerade gesehen, dass es ja doch eine "Deluxe Edition" gibt, auf der alle Songs enthalten sind und sich bei der Aufmachung der Verpackung auch entsprechend Mühe gegeben wurde. Echt witzig, dass einem sowas als Deluxe verkauft wird. Denkwürdig ist da natürlich, dass man über sämtliche abgespeckte Vinylversionen hinsichtlich Klangqualität bei discogs nicht viel Gutes liest, die Deluxe Edition mit dem regulären Cover (was für mich trotz der Schönheit des alternativen Covers viel besser zur Musik passt, selbstredend) aber perfekt (ebenfalls laut discogs) zu sein scheint. Jene kostet natürlich locker doppel so viel. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt... |
jo Postings: 6825 Registriert seit 13.06.2013 |
2024-08-22 23:25:05 Uhr
Das Album ist doch eh zu lang... ;)Na, wenn das der Grund war, es den Hörer*innen schöner zu machen, finde ich es gut :). |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Miley Cyrus; Lady Gaga; Linda Martell; Brittney Spencer; Destiny's Child; Mariah Carey; Ariana Grande; Erykah Badu; Rihanna; Lil Nas X; Brandi Carlile; Alison Krauss; Taylor Swift; Shania Twain; Sheryl Crow; Chris Stapleton; Zach Bryan; The Common Linnets; Maren Morris; Dolly Parton; Loretta Lynn; Willie Nelson; Justin Timberlake
Bestellen bei Amazon
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv





Threads im Plattentests.de-Forum
- Beyoncé - Cowboy Carter (111 Beiträge / Letzter am 27.12.2024 - 19:17 Uhr)
- Beyoncé - Lemonade (550 Beiträge / Letzter am 04.04.2024 - 18:07 Uhr)
- Beyoncé - Renaissance (44 Beiträge / Letzter am 22.01.2023 - 21:18 Uhr)
- Beyoncé - I am...Sasha Fierce (36 Beiträge / Letzter am 04.11.2022 - 16:33 Uhr)
- Beyoncé - The lion king: The gift (1 Beiträge / Letzter am 04.08.2019 - 19:06 Uhr)
- Beyoncé - Homecoming: The live album (27 Beiträge / Letzter am 08.05.2019 - 00:57 Uhr)
- Beyoncé - Beyoncé (58 Beiträge / Letzter am 07.07.2018 - 10:24 Uhr)
- Destiny's Child / Beyoncé (115 Beiträge / Letzter am 19.02.2015 - 20:12 Uhr)
- Beyoncé - 4 (25 Beiträge / Letzter am 01.07.2011 - 20:26 Uhr)