Kacey Musgraves - Deeper well

Interscope / Universal
VÖ: 15.03.2024
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

The drug is love
"I used to wake and bake / Everything I did seemed better when I was high." "So I'm sayin' goodbye to the people that I feel / Are real good at wastin' my time." Kein Gras und keine energieraubenden Beziehungen mehr: Kacey Musgraves setzt einen dicken Stempel unter die Akten der Vergangenheit. Ihr, Weihnachtsplatten nicht mitgezählt, fünftes Studioalbum "Deeper well" ist ein einziges Self-Care-Manifest: Vom astrologischen Überbau der Saturn-Rückkehr bis zu seinem pastoralen Folk-Sound, der sich anfühlt wie der erste Frühlingstag nach einem besonders langen Winter. Das ist keineswegs so kitschig, wie es sich zunächst liest: Der Titeltrack, aus dem die oben zitierten Zeilen stammen, strahlt mit seinem Fingerpicking und ganz subtilen Synths vor einer gleichzeitig naiven wie profunden Schönheit, wie sie nicht jede Grammy-Gewinnerin hinbekommt. Und wenn etwa "Nothing to be scared of" zum Albumabschluss "I think about you often / Worryin' that I might drive / The nail into the coffin", erklärt, ist das einer dieser Zweifel und Brüche, die Musgraves' Wolkenschloss die nötige Bodennähe verleihen.
An anderen Stellen sucht die Texanerin Zuflucht im Metaphysischen. Der spektakulär gute Akustik-Pop-Rock von "Cardinal" treibt nicht nur mit einem Laurel-Canyon-Goldschimmer vorwärts, sondern gedenkt auch dem verstorbenen Mentor John Prine – im Zwiegespräch mit dem titelgebenden Vogel, der symbolisch oft als Botschafter zwischen Dies- und Jenseits verstanden wird. "The architect" wirkt mit seinem Sinnieren über das Design der Natur zunächst passgenau fürs christliche Country-Radio konzipiert, hebt sich die Pointe jedoch bis zur allerletzten Zeile auf, wenn Musgraves die Existenz Gottes überhaupt in Frage stellt. Solche Twists prägen die besten Momente ihres Songwritings. Der heimliche Hit "Too good to be true" beginnt im romantischen Idyll, bevor sich die Erzählerin wundert, ob sie sich nicht zu früh auf eine neue Liebe eingelassen hat. Auch die von Pianotupfern begleiteten Dankbarkeitsfetzen von "Dinner with friends" sind nicht so zuckrig, wie sie erscheinen: "My home state of Texas / The sky there, the horses and dogs / But none of their laws."
Musgraves' künstlerische Entwicklung nach dem Erfolg ihres Meilensteins "Golden hour" definiert sich interessanterweise vor allem durch Reduktion. Die Scheidungsplatte "Star-crossed" probierte produktionstechnisch zwar noch viel, schraubte die Hooks allerdings schon merklich zurück. "Deeper well" entledigt sich nun fast aller stilistischen Schnörkel. Die Lyrics sind nicht immer so clever wie oben – "Sway" will sich angesichts stürmischer Lebensumstände wie eine Palme im Wind wiegen können –, doch passiert musikalisch trotz des Minimalismus genug, um solche Momente nicht groß ins Gewicht fallen zu lassen. "Heart of the woods" verpackt irgendwas über Pilznetzwerke in eine mitreißende Lagerfeuerhymne, der Soft-Rock von "Moving out" ist so gemütlich wie das besungene zurückgelassene Traumhaus. Selbst die einseitige Esoterik von "Jade green" lässt sich verzeihen, so einnehmend, wie der streicherbehangene Track in die Prärie drängelt.
Das Album versteht es darüber hinaus hervorragend, unterschiedliche Folk-Traditionen miteinander zu verweben: In einer von Banjos akzentuierten Americana-Ballade wie "Giver / Taker" steckt genauso viel Herzblut wie hinter der eher britisch anmutenden Melodieführung eines "Heaven is". Und wenn der strukturelle Gleichklang Überhand zu nehmen droht, erlaubt sich das Schlussdrittel doch ein paar kleine Abweichungen. "Lonely millionaire" hat inhaltlich nicht mehr als die bereits von seinem Titel evozierten Küchenweisheiten zu bieten, doch sein slickes 90er-R'n'B-Arrangement wirkt Wunder. In "Anime eyes" bringt Spacey Kacey die psychedelische Schlagseite von "Golden hour" zurück, stolpert nach kurzem Slide-Gitarren-Solo in einen liebestrunkenen Spoken-Word-Rausch mit allerlei Comic-Referenzen: Miyazaki, "Sailor Moon", Regenbogen, Einhörner, ehe der verträumte Ausklang die Herzaugen schließt. Wer braucht schon Wake and Bake, um high zu werden?
Highlights
- Cardinal
- Deeper well
- Too good to be true
- Anime eyes
Tracklist
- Cardinal
- Deeper well
- Too good to be true
- Moving out
- Giver / Taker
- Sway
- Dinner with friends
- Heart of the woods
- Jade green
- The architect
- Lonely millionaire
- Heaven is
- Anime eyes
- Nothing to be scared of
Gesamtspielzeit: 42:07 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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MickHead Postings: 3584 Registriert seit 21.01.2024 |
2024-07-26 09:53:14 Uhr
Kacey Musgraves dropped her wellness-themed folk-pop collection Deeper Well in March. Next week (02.08) she’ll release a deluxe expanded edition of the album called, naturally, Deeper Into The Well. It contains seven previously unreleased songs, one of which, “Irish Goodbye,” is streaming right now."Irish Goodbye" https://youtu.be/xi8IljsCbhQ?si=mRGFniUKxvBZzwUB |
musie Postings: 4028 Registriert seit 14.06.2013 |
2024-04-02 17:51:59 Uhr
@bender: danke! genau so sehe ich das auch. dieser song für mich ein fremdkörper, aber der rest des albums ist wunderbar. |
bender Postings: 148 Registriert seit 03.04.2020 |
2024-04-02 16:32:01 Uhr
dann bist du wohl eher der Meinung von Paste (8.4) (letzter Abschnitt):https://www.pastemagazine.com/music/kacey-musgraves/kacey-musgraves-finds-a-new-path-forward-on-deeper-well |
musie Postings: 4028 Registriert seit 14.06.2013 |
2024-03-30 09:45:00 Uhr
ich sehs nicht so wie PF oder PT, für mich ist Anime Eyes ein Fremdkörper auf diesem Album. Ansonsten wahnsinnig homogen und melancholisch harmonisch. Ich finds richtig gut. 8/10 bei mir. |
bender Postings: 148 Registriert seit 03.04.2020 |
2024-03-28 11:47:09 Uhr
Danke für die Rezension, Album ist ja schon vor zwei Wochen erschienen. Die Bewertung passt für mich.Klar, nicht so stark wie ihr Meisterwerk, die Songs sind mir fast ein bisschen zu einfach geraten, aber nach und nach offenbaren sich wieder die schönen Melodien wie auf: - Too Good to Be True (mein Highlight) - Dinner with Friends - Jade Green - Lonely Millionaire klar auch Deeper Well ist wunderschön, aber diese Saturn-Metapher hätte vielleicht nicht sein müssen. |
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Referenzen
Taylor Swift; The Staves; Clairo; Phoebe Bridgers; Boygenius; Maisie Peters; Lizzy McAlpine; Fenne Lily; Adrianne Lenker; Mitski; Waxahatchee; Brandi Carlile; Amanda Shires; The Highwomen; The Chicks; Maggie Rogers; Lorde; Fleetwood Mac; The Mamas And The Papas; Simon & Garfunkel; Nick Drake; Richard & Linda Thompson; Lucinda Williams; Joni Mitchell; Carole King; Tracy Chapman; Tammy Wynette; Alison Krauss; John Prine; Willie Nelson; Bob Dylan; Tom Petty; Eagles; Bleachers; Midlake
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