Jlin - Akoma

Planet Mu / Cargo
VÖ: 22.03.2024
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Sprung im Rüssel
Jerrilynn Patton alias Jlin liebt Elefanten. Mehr als verständlich, denn wie könnte man nur im Entferntesten etwas gegen diese majestätischen, sanftmütigen und wunderschönen Tiere haben? Manchmal kommt es einem sogar so vor, als stampften die Dickhäuter durch die Platten der Frau aus Gary, Indiana. Etwa durch den zweiten Longplayer "Black origami", wo die minutiös geschichteten Drum-Programmierungen oft besonders elefantöse Tiefen erreichen. Ein Luxusproblem gibt es jedoch: Alle lieben auch Jlin. Der Choreograph Wanye Gregor, den sie mit dem Soundtrack "Autobiography" versorgte, das Chicagoer Schlagwerk-Ensemble Third Coast Percussion, mit dessen Musik sie effektive Schnipseloge betrieb, oder Martin Gore von Depeche Mode, der um einen Remix bat. Und so benötigte Jlin für ihr drittes reguläres Album immerhin sieben Jahre.
Zeit genug, sich vom Gedanken zu lösen, Patton produziere Footwork: Ihr Schaffen ging stets über den unartigen Sprössling von Chicago House und HipHop hinaus, bei dem sich geübte Straßentänzer die Beine verknoten. Stattdessen nahm Jlin gemeinsame Tracks mit KI-Elektronikerin Holly Herndon und Neoklassik-Avantgardist William Basinski auf, die ihren planvollen Verwegenheiten zusätzliche Tiefe verliehen. "Akoma" kickt sogar mit einem Björk-Gastauftritt los – wozu man wissen muss, dass Patton auch bereits den "Utopia"-Opener "Arisen my senses" in der Mache hatte und die Stimme der Isländerin nicht weniger verfremdete als zuvor die von Herndon oder Dope Saint Jude. Der Zusatz "featuring" relativert sich also ziemlich schnell. Ein trocken wogender, wiederholt Fahrt aufnehmender Auftakt vom Feinsten ist "Borealis" trotzdem. Und zwar zu etwas Großem.
Was auch daher rührt, dass Patton ihr Sound-Arsenal auf den EPs "Embryo" und "Perspective" zuletzt Richtung Detroit-Techno und perkussiver Ambient erweiterte. Zu hören im kraftwerkig umwölkten "Iris", dem spacigen Stomper "Auset" und bei der so blechern wie trickreich geklöppelten Regentanz-Miniatur "Eye am". Diese Vielfalt ist schon lange keine bloße Meditation über das Wesen des Rhythmus mehr – und wenn doch, höchstens eine, bei der zuckende Gliedmaßen, Gehirnzellen und Ohrläppchen jede Entspannung zunichtemachen, während in Hintern und Gehör die Hummeln schwirren. Entweder zum verwilderten Ragga-Groove von "Speed of darkness" oder zu "Open canvas", wo die Elektro-Pop-Impulse aus dem "Autobiography"-Track "Permutation" im Kreis hüpfen, ehe die Fahrt rückwärts geht. Abgezirkelter und intektiöser geht es kaum.
Die Faszination dieser nahezu perfekt strukturierten Dreiviertelstunde liegt darin, dass sie gleichzeitig wie nichts anderes und wie alles auf einmal klingt – der herrlich überdrehte, orchestrale Cut-Up-Brocken "Summon" weist sogar unüberhörbare Parallelen zur Mittachtziger-Single "Whippets" von Palais Schaumburgs Holger Hiller auf. Sehr wahrscheinlich purer Zufall, aber ein stichhaltiger Beleg dafür, dass jede Generation Künstler*innen mit ähnlich visionären Ideen hervorbringt. Ebenfalls aller Ehren wert: die in "Sodalite" präzise zerhackten Kronos-Quartet-Streicher und eine Piano-Einlage von Altmeister Philip Glass, dank der "The precision of infinity" virtuos zwischen Breakbeat-Club und Konzertsaal oszilliert. Der grandiose Schlusspunkt eines erneut hervorragenden Albums, mit dem Patton zeigt, wie und wohin elektronische Musik wuchern kann. Wenn man sie nur lässt.
Highlights
- Summon
- Open canvas
- Auset
- The precision of infinity (feat. Philip Glass)
Tracklist
- Borealis (feat. Björk)
- Speed of darkness
- Summon
- Iris
- Open canvas
- Challenge (To be continued II)
- Eye am
- Auset
- Sodalite (feat. Kronos Quartet)
- Grannie's cherry pie
- The precision of infinity (feat. Philip Glass)
Gesamtspielzeit: 43:31 min.
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2024-03-28 07:04:33 Uhr
Ah, endlich eine neue LP. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27981 Registriert seit 08.01.2012 |
2024-03-27 21:22:41 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Holly Herndon; Nondi_; DJ Rashad; RP Boo; Foodman; Actress; Laurel Halo; Dedekind Cut; Forest Swords; Holger Hiller; Komputer; Autechre; Squarepusher; Photek; µ-Ziq; DJ Paypal; Traxman; Heavee; DJ Earl; DJ Spinn; DJ Nate; El Plvybxy; Louis Carnell; Visionist; Richie Hawtin; Kraftwerk; Drexciya; Jeff Mills; Robert Hood; Space Afrika; Oneohtrix Point Never; The Haxan Cloak; William Basinski; Sarah Davachi; Loraine James; Beatrice Dillon; Kelly Lee Owens; Katie Gately; Antwood; Dani Siciliano; Jessy Lanza; Helena Hauff; Umfang; Jana Rush; Kelly Moran; Elysia Crampton; Moor Mother; Abadir; Fatima Al Qadiri; Ikue Mori; Dis Fig; Yaeji; Sabiwa; Pan Daijing; Kaitlyn Aurelia Smith; Aisha Devi; Lucrecia Dalt; Concepción Huerta; Dope Saint Jude; Philip Glass; Kronos Quartet; Fawkes; Sophie; Björk