Adrianne Lenker - Bright future

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 22.03.2024
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Im Team intim
Abgelegene, US-amerikanische Waldhütten müssen die vollsten Orte der Welt sein. Wer irgendetwas mit Folk am Cowboyhut hat, wird mindestens einmal in seiner oder ihrer Karriere an einen solchen Ort flüchten, um ungestört an Songs zu arbeiten. Adrianne Lenker verzog sich bereits für "Songs + instrumentals" ins Nirgendwo, und verkündet nun, auch "Bright future" im waldnahen, analogen Studio Double Infinity aufgenommen zu haben. Bei der in Minnesota aufgewachsenen Frau ist jede vorurteilsbehaftete Häme jedoch komplett unangebracht. Ob mit Big Thief oder solo, Lenker klingt so naturalistisch wie kaum andere Künstler*innen ihrer Generation. Ihre Musik könnte in einem nach Stadtluft stinkenden Brooklyner Apartment entstehen und würde trotzdem die Sinneseindrücke pastoraler Postkartenidylle evozieren. Für "Bright future" hat sie eine kleine Band aus Nick Hakim, Mat Davidson und Josefin Runsteen versammelt, um ihre Akustische um Piano und Geige zu ergänzen. Das Ergebnis ist etwas üppiger arrangiert als die "Songs"-Seite des Vorgängers, aber nicht weniger intim.
Ganz im Gegenteil: Über den Opener "Real house" sagt Lenker selbst, noch nie so autobiografisch getextet zu haben. Sie erinnert sich hier daran, wie ihre durchs Land reisende Familie zum ersten Mal in ein richtiges Haus zog, erzählt von Kindheitsängsten beim Schauen von "Deep impact" und spricht am Ende ihre Mutter direkt an: "Do you remember / Coming to the hospital when I was 14 / My friends all left me there spinning / Dad was angry and you saw everything / And you made me laugh as the nurses undressed me / You held my hand as they put the needle in me." Sechs Minuten lang steht die Zeit still, nur Stimme und Piano sind zu hören, die jede Zeile nachhallen lassen. In der schlicht fantastischen Single "Sadness as a gift" erwacht der kleine Raum zum Leben: Lenker lässt ihre Gitarre Funken sprühen, während Hakims Tasten und Runsteens Violine die schwungvolle Melodie anstrahlen. Es ist das in diesem Eröffnungsdoppel zum Ausdruck kommende Beieinander, das Lenkers Musik so besonders macht. Auf den ersten Blick wirkt sie unendlich zerbrechlich, doch pulsiert in ihr ein so widerstandsfähiger Kern, dass sie keine Kraft der Welt zerdrücken könnte.
"Fool" trägt das fidele Momentum weiter, die Saiten tanzen wie Grashüpfer, der Gesang kann und will seine gelegentlichen Lachschübe nicht kaschieren. Die rohe Textur der Aufnahme kommt in "Vampire empire" besonders gut zur Geltung. Weil Lenker nicht zwischen Songs für sich alleine und für ihre Hauptband differenziert, schenkt sie diesem Big-Thief-Song, der sich in den letzten Jahren als Live-Favorit hervorgetan hat, eine so passioniert geschrammelte und knarzig gefiedelte Interpretation, dass sich die Pop-Art-Banane von selbst schält. Erneut bildet der Track eine komplementäre Einheit mit dem vorigen "Free treasure", einer zärtlichen Reflexion unterschiedlicher Formen von Liebe. In Lenkers Händen lädt sich jedes noch so simple Folkstück, jedes noch so alltäglich erscheinende Thema mit einer transzendentalen Aura auf, ohne je die für ihr Schaffen elementare Bodenhaftung zu verlieren.
"Evol" eröffnet als balladeske Geisterbeschwörung eine zweite Albumhälfte, welche die Tendenz zum Körperlosen deutlich verstärkt. Zwar nicht so radikal wie bei den collagierten "Instrumentals" des Vorgängers, aber genug, um trotz des gleichbleibend sensiblen Wohlklangs etwas an Intensität zu verlieren. In dieser Phase setzt der jedes Country-Klischee umschiffende Banjo-Einsatz von "Already lost" einen willkommenen Reizpunkt, bevor das finale "Ruined" die größten emotionalen Geschütze der Platte auffährt. Lenker kalligraphiert ihr Mantra in den Sand unter ihren Füßen, der nur aus hallenden Tasten und atmosphärischen Geräuschen besteht, weil die besten Songwriter*innen eben nicht mehr brauchen. Endlos könnte es so weitergehen, würde nicht jemand schon ungeduldig an Lenkers Ärmel zupfen: Die Schlange vor der "einsamen" Aufnahme-Hütte reicht schon bis nach Brooklyn.
Highlights
- Sadness as a gift
- Free treasure
- Vampire empire
- Ruined
Tracklist
- Real house
- Sadness as a gift
- Fool
- No machine
- Free treasure
- Vampire empire
- Evol
- Candleflame
- Already lost
- Cell phone says
- Donut seam
- Ruined
Gesamtspielzeit: 43:43 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
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MickHead Postings: 3359 Registriert seit 21.01.2024 |
2024-10-08 19:17:23 Uhr
Schöner neuer Song!Tucker Zimmerman & Adrianne Lenker - Lorelei https://youtu.be/-9KdoC-qHAE?feature=shared |
The Libertine Postings: 249 Registriert seit 29.08.2022 |
2024-08-14 12:19:58 Uhr
Once a Bunch hätte sich super auf dem Album gemacht, wäre gut vor dem Closer platziert gewesen. |
VelvetCell Postings: 7850 Registriert seit 14.06.2013 |
2024-08-06 19:35:17 Uhr
Ja, das mache ich auch. Eine Zeit lang wollte die Platte gar nicht mehr runter von meinem Teller. Da habe ich sie fast zu viel gehört. Aber jetzt habe ich wieder Bock – Sehnsucht nahezu.Was für eine Songwriterin! |
myx Postings: 5367 Registriert seit 16.10.2016 |
2024-08-06 19:19:44 Uhr
Gute Gelegenheit, um nicht nur den Bonus Track (man dankt!), sondern auch das zauberhafte Album heute Abend mal wieder zu geniessen. |
MickHead Postings: 3359 Registriert seit 21.01.2024 |
2024-08-06 18:39:57 Uhr
"Once A Bunch" (Bonus Track - Japanese Edition)https://youtu.be/YAOr1JsA26g?si=HzuRyk9KTpGY0e5- |
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Referenzen
Big Thief; Buck Meek; Haley Heynderickx; Phoebe Bridgers; Lomelda; Hand Habits; Tomberlin; Florist; Faye Webster; Fenne Lily; Julie Byrne; Sufjan Stevens; Angelo De Augustine; Angel Olsen; Courtney Marie Andrews; Waxahatchee; Mitski; Clairo; Laura Marling; Bedouine; Cat Power; Joni Mitchell; Joan Baez; Vashti Bunyan; Sibylle Baier; Nick Drake; Elliott Smith; Cat Stevens; Simon & Garfunkel; Nina Nastasia; Jessica Pratt; Julia Jacklin; Bill Callahan; Sun Kil Moon; Bob Dylan
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