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Il Civetto - Liebe auf Eis

Il Civetto- Liebe auf Eis

Seven.One Starwatch / Sony
VÖ: 15.03.2024

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

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Als der Rezensent zum ersten Mal die zwölf Tracks von "Liebe auf Eis" verinnerlicht hatte, saß er mit je einer Glücks- und einer Rührungsträne im Auge da, hatte ein sehr großes Ausrufezeichen über dem Kopf und ließ ein bräsiges "Wow!" fahren. Doch der Reihe nach.

Es gibt so einige Parallelen zwischen der 2010 gegründeten Berliner Band Il Civetto und AnnenMayKantereit aus Köln: Beide Formationen wagten sich zuallererst mit handgemachter Live-Musik auf die Straße und in zugige U-Bahn-Stationen. Weitere Gemeinsamkeit oder zumindest Ähnlichkeit: die Stimmen von Il-Civetto-Sänger Leon Keiditsch und Henning May. Ja gut, May kommt tiefer runter in den Bariton, doch die Intonation und das leichte Vibrieren in der Stimme, was beide Sänger mitbringen, könnte beim unvoreingenommenen Hörer durchaus Verwechslungsgefahr erzeugen. Unterschiede zwischen beiden Bands gibt es jedoch auch: Während die Kölner inzwischen die Charts stürmen, blieb der ganz große kommerzielle Erfolg bei Il Civetto bisher aus. Das wirkt unverständlich, denn die Berliner Band wirkt insgesamt deutlich kreativer. Was hier musikalisch geboten wird, kann besten Gewissens als schillernde, bunte und aus allen Knopflöchern groovende Wundertüte bezeichnet werden. Il Civetto gelingt es nämlich, groovige HipHop-Vibes à la Fettes Brot ungeniert und höchst kreativ mit Balkan-Beat, G-Funk, Blues und Achtziger-Synthpop zu vermählen.

Die gute Nachricht: Leon Keiditsch kann nicht nur Songs schreiben, sondern auch texten. Es geht hier um die großen Themen der Jugend: Liebe, Zukunftssorgen, Klimawandel, kaputte Umwelt, toxische Männlichkeit, den allgemeinen Irrsinn der Welt. Das alles wird bei Il Civetto stets stringent, verständlich, mit Humor und Melancholie, aber auch tanzbar und stilistisch sicher verhandelt. Die Soundwelten, die sich dabei auftun, sind nachgerade aberwitzig schillernd. Im Titelstück treffen reduziert-groovige Drums auf glockiges Fender-Rhodes-Piano, in "Nie wieder Winter" dominiert ein fetter Synth-Bass – und in "Boys do cry" wurde höchst geschickt das sattsam bekannte Gitarrenlick aus The Cures "Boys don't cry" hineinmontiert. Was ebenfalls auf die musikalische Vielfalt einzahlt, ist das Auftreten von Gaststars wie Frank Dellé (Seeed) oder Trille.

Die Grundstimmung auf "Liebe auf Eis" ist positiv und zuversichtlich, zuweilen so lebensbejahend, dass sich vor lauter Glück die Nackenhaare aufstellen. Die Mehrzahl der Refrains gelingt unfassbar catchy: Wer bei Tracks wie "Alles was ich hab" oder "Nie wieder Winter" nicht auf die Tanzfläche hüpfen will, notfalls auch als Erste*r, der muss wirklich sofort zum Arzt. Doch auch leise und nachdenkliche Töne können Il Civetto anschlagen: Nachdem die ersten fünf Titel des Albums nur eine Richtung kennen (nach vorne!), gibt es eine aus mehreren Stücken bestehende Verschnaufpause. "Hollywood Ende" und "Regen in Rom und Paris" kommen musikalisch ruhiger daher und wagen auch textlich einen sanft dosierten Melancholieausflug. Höhepunkt ist die Ballade "Fragen", in der Keiditsch am Grab seines Vaters steht: "Du konntest sieben Sprachen und hast nie gesagt, was Dir fehlt / Und nun steh ich hier und kann Dich nichts mehr fragen." Das ist existenziell todtraurig und schrammt aber eben mit großem Sicherheitsabstand am Kitsch vorbei.

Der Rezensent hat's eigentlich gar nicht so sehr mit deutscher Musik. Er muss aber zähneknirschend eingestehen, dass Il Civetto derlei Bedenken mit ihrer Spielfreude, ihrer Vitalität, ihrer Kreativität im Nu weggewischt haben. Zwölf funkelnde Tracks, kein einziger schlechter dabei. Mehr als eine Dreiviertelstunde Musik und keine Sekunde Langeweile: Man möchte sich verneigen.

(Jochen Reinecke)

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Highlights

  • Liebe auf Eis
  • Hollywood Ende
  • Fragen

Tracklist

  1. Liebe auf Eis
  2. Alles was ich hab
  3. Boys do cry
  4. Nie wieder Winter
  5. Blue Hour
  6. Hollywood Ende
  7. Regen in Rom und Paris
  8. Zukunft im Wind
  9. Bei dir
  10. Fragen
  11. Für immer wach
  12. Mars

Gesamtspielzeit: 46:50 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Jochen Reinecke

Postings: 59

Registriert seit 22.12.2023

2024-03-14 09:06:47 Uhr
Freut mich, dass du das auch so siehst. Mir ging es ähnlich: Meine Erwartungshaltung war im negativen Temperaturbereich. Aber dann hat's mir am Ende einfach nur großen Spaß gemacht.

Lordran

Postings: 299

Registriert seit 09.10.2023

2024-03-14 08:51:11 Uhr
Habe ich mal zufällig live gesehen.
Wollte die schon vorher scheiße finden, weil Berlin, Hip, Weltmusik und so weiter.
Nach dem dritten Song musste ich aber zugeben, dass die wirklich gut sind.
Normalerweise so gar nicht meine Musik, aber die Band drückt die richtigen Knöpfe.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 28508

Registriert seit 08.01.2012

2024-03-13 21:16:30 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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