Das Feuilleton - Ab morgen bin ich unpolitisch

Windig / Cargo
VÖ: 15.03.2024
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Der singende, klingende Kulturteil
Gibt es das überhaupt noch? Das gute Feuilleton? In einer gedruckten Tageszeitung? In dem Kulturbegeisterte Kultur sezieren und dabei im besten Falle ihre Begeisterung – oder auch Enttäuschung – über das Gesehene, Gelesene, Gehörte vermitteln? Oder stirbt auch das aus wie die "Dinosaurier", von denen diese Band hier singt? Wobei ebenjene Dinos darauf bestehen, einfach auch mal keine Meinung haben zu müssen. Jedenfalls, wenn man (noch) nicht über das für die Meinungsbildung notwendige Wissen verfügt. Eine Haltung, die in Zeiten des freien und ungefragten Herauspostens jeglichen gedanklichen Auswurfs auf allen angeblich sozialen Kanälen in der Tat vom Aussterben bedroht ist.
Was jedenfalls in den letzten Jahren quicklebendig durch zahlreiche Gehörgänge poltert, ist der Post-Punk. Gerne mager bis auf die Gräten, die vom Fisch übrig bleiben, fürsorglich von der Mutter für den "Seemann" gekocht. Und genau solch skelettierte Musik machen auch Robert Amarell, Michael Büschelmann und Julius Kraft, seit sie sich vor knapp sechs Jahren in Leipzig begegnet sind. Mit der Kreativität ging es daraufhin recht flott: Zack, standen die ersten Songs, zack, befand sich die Band mit Tobias Siebert im Studio, zack, war eine Albumsession am Stück im Kasten. Doch dann kamen das Leben und die Pandemie dazwischen. Jetzt ist endlich Zeit für "Ab morgen bin ich unpolitisch", das praktischerweise fast zur gleichen Zeit wie Sieberts neues Album mit Klez.E erscheint. Und siehe da: Um die Veröffentlichungstermine herum gehen beide Bands gemeinsam auf Tour. Das passt.
Im Gepäck neun Songs, die das Schaffen von Musik in klassischer Dreierbesetzung feiern und doch nicht einfach nur schroff durch die Gegend scheppern. Hier sind feine Details im dicht nebligen Sound verwoben, und dabei dürfen alle Bestandteile glänzen: die schneidende Gitarre, der coole Bass, das vielschichtige Schlagwerk. Zum Beispiel bei jenem metallischen Dengeln, das sich durch erwähnten "Seemann" zieht, während die Gitarren stoisch ihre maschinenhaften Rhythmen voranschieben. Der plötzliche Schönklang, der aus "Schweinehälften" tatsächlich ein romantisches Liebeslied macht. Das angenehme 90er-Gefühl im Indie-Rock-Song über die menschlichen Riesenechsen. Oder die kleinen Synthie-Sprengsel im minimalistischen "Wolf". Und natürlich ist der Albumtitel nicht platt als Lebensmotto zu betrachten. Unpolitisch zu sein, das geht doch als denkender und fühlender Mensch heutzutage gar nicht mehr. Aber ruhig mal nachdenken, bevor man seiner "Stimme" Ausdruck verleiht, denn Worte haben Kraft, wie ein weiser Mann namens Farin U. einst sagte. Oder eben so: "Alles verändern können die Buchstaben, egal, ob auch stimmt, was sie sagen."
Highlights
- Seemann
- Stimme
- Wolf
Tracklist
- Herbst
- Dinosaurier
- Seemann
- Schweinehälften
- Stimme
- Dornröschenschlaf
- Wolf
- Fragezeichen
- Tapete
Gesamtspielzeit: 42:36 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Thom Best Plattentests.de-Mitarbeiter Postings: 9 Registriert seit 09.03.2023 |
2024-03-20 16:35:18 Uhr
@Arne L. Habe eben nochmal nachgesehen: Bei der Version, mit der ich bemustert wurde, war der Dornröschenschlaf noch vorn, in der finalen Version wurde dann wohl getauscht. Wird korrigiert, danke! |
Arne L. Postings: 1629 Registriert seit 27.09.2021 |
2024-03-20 15:58:07 Uhr
"Schweinehälften" und "Dornröschenschlaf" haben in der Tracklist Positionen getauscht, oder? |
AndreasM Plattentests.de-Mitarbeiter Postings: 754 Registriert seit 15.05.2013 |
2024-03-10 09:34:13 Uhr
Und watt is jetzt an ner schwangeren Frau hässlich? Dass sie schießt, oder wie? Kann dem nicht folgen.Ich kann es ja mal versuchen: Für mich ist es zu sehr aufgeladen. Der Titel des Albums ist ja an sich schon sehr vielseitig interpretierbar und macht viele Ebenen auf. Da hätte es aus meiner Sicht das Abarbeiten an der Symbolik "Waffe", "schwangere Frau", "in Unterwäsche" nicht allesamt noch oben drauf gebraucht. So wirkt es für mich ein bisschen wie Cover-Komposition nach To-do-Liste und insgesamt mehr platt als bedeutungsvoll. Jeder kann was finden, woran sie/er sich stört. Und das ist mit Sicherheit genau so gewollt - ich finde es in der Form aber nicht so gelungen und hätte mir ein subtileres Cover zum Albumtitel gewünscht. (Und zuletzt kommt für mich noch dazu, dass mir sowohl die Schriftart als auch Platzierung des Titels nicht gefällt. Und dass, nachdem ich die gesamte Videoästhetik von "Seemann" als durchweg toll empfand.) Aber ich fühle mich dem Album sehr verbunden und bin auch deswegen sicher überkritisch ;) |
Stulle Postings: 7 Registriert seit 12.01.2023 |
2024-03-07 17:44:44 Uhr
Und watt is jetzt an ner schwangeren Frau hässlich? Dass sie schießt, oder wie? Kann dem nicht folgen...Das Video und die Musik haben definitiv was Interessantes! Kann es schlecht beschreiben - aber es ist stockunmelodiös und verwirrend, aber doch geil. |
AndreasM Plattentests.de-Mitarbeiter Postings: 754 Registriert seit 15.05.2013 |
2024-03-07 12:33:41 Uhr
Zumindest ein Kandidat für das hässlichste Cover des Jahres.Da kann ich leider auch wenig dagegen sagen ;) |
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Referenzen
Die Nerven; Messer; All Diese Gewalt; Gewalt; Friends Of Gas; Die Brennenden Wälder; Klez.E; Tobias Siebert; Fjørt; Turbostaat; Plattenbau; Trümmer; Autobahn; Idles; Fontaines D.C.; Shame; Protomartyr; Preoccupations; The Murder Capital; Ist Ist; The Notwist; The Cure; Wire; Joy Division; Gang Of Four; Culk; Pascow; Fehlfarben; Iceage; No Age
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