Whispering Sons - The great calm

PIAS / Rough Trade
VÖ: 23.02.2024
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Der Schleim ist nicht der Schleim
Lust auf eine Runde Bäumchen wechsel Dich? Oder vielmehr Stühlchen? Whispering Sons haben da sicher den einen oder anderen Tipp, denn bei den Belgier*innen hat es zuletzt einiges durcheinandergeschüttelt. Nach überstandener Nervenkrankheit bedient der Ex-Drummer inzwischen die Keyboards, der frühere Bassist sitzt plötzlich am Schlagzeug, und mit Einstieg eines neuen – nachfolgend ein rechtschaffen hässliches Synonym – Tieftöners stockte sich die Band zum Quintett auf. Alles neu also auf "The great calm"? Lässt sich nicht unbedingt bestätigen: Auch Album Nummer drei enthält strengen, oft reduzierten Post-Punk, den Whispering Sons selbst am liebsten gar nicht so nennen. Manche Dinge ändern sich zum Glück also doch nie – wie auch Fenne Kuppens' weitgehend ungerührter Sprechgesang und Kobe Lijnens pointiert ätzende Gitarre.
Auch wenn es sich zunächst nicht danach anhört. Der Vorabtrack "Cold city" hat nicht viel mehr als dräuende Synthies und verspielte, kleine Licks zu bieten, während Kuppens adäquat eisig verkündet: "It feels like the first winter in years." Abgedunkelte Musik für frostige, zugige Großstädte – jedoch nicht nur. So entstand ein Teil von "The great calm" inmitten von Seehunden und vereinzelten Touristen in einem beschaulichen Ort an der niederländischen Nordseeküste, wo die Frontfrau Zeit und Ruhe genug gehabt haben dürfte, ihre charakteristisch belegten Vocals noch etwas stärker auf Deadpan-Stil zu trimmen. Das klingt in solchen einsam tröpfelnden Momenten oder bei der wehen Pianoballade "Still, disappearing" zusehends nach der großen Nico – oder aber, denkt man sich den britischen Akzent einmal weg, nach Florence Shaw von Dry Cleaning.
"The great calm" erweitert das Spektrum von Whispering Sons nämlich auch in Richtung vorwitzigen Indie-Rocks – am deutlichsten bei der Single "The talker", die Kuppens zwar als chronisch schweigsam portraitiert, aber auch ein so flitzfingriges Riff zur Schau stellt, dass man auf einmal wie nicht richtig im Kopf durch den Raum hüpfen möchte. Sofern möglich bei den gräulich-klebrigen Gegebenheiten auf dem Cover, das allerdings nicht etwa eine gründlich vollgeschleimte Einrichtung zeigt, sondern den Innenraum eines ausgebrannten Autos. Freilich kein Sinnbild für die zwölf Songs, die erneut oft düstere Bilder zeichnen – wie das auf rhythmische Distortion gebettete "Balm (after violence)" oder "Something good", wo die Gitarre abwechselnd jault und kraftvoll sägt. "How can something good come out of this?" fragt Kuppens dazu – ziemliches Understatement.
Dennoch können und wollen Whispering Sons wie eingangs erwähnt nicht so recht aus ihrer Haut, und schon der Auftakt gibt ihnen Recht. Mit dem störrischen, bassig angetriebenen "Standstill" samt säurehaltiger Gitarre, in dem die Zeile "Something's got to give" vielleicht nicht ganz zufällig an "Something must break" von den Altvorderen um Ian Curtis erinnert. Eingängiger und mehr geradeheraus treibt es "Walking, flying", das mit schlankem Uptempo schließlich in eine weit aufgedrehte Stakkato-Eruption mündet, ehe Kuppens im schlaufenartig strukturierten, aber ebenso laut aufbegehrenden "Dragging" ungewohnt zornig aus sich herausgeht und Lijnens brüllender Sechssaitigen trotzig die Stirn bietet. "Try me again", stampft sie auch im Closer noch einmal mit dem Fuß auf – machen wir doch gerne nach einem Album von so knuspriger Kompaktheit.
Highlights
- Standstill
- Walking, flying
- Something good
- The talker
Tracklist
- Standstill
- Walking, flying
- Cold city
- Dragging
- Something good
- Still, disappearing
- The talker
- Balm (after violence)
- Poor girl
- Loose ends
- Oceanic
- Try me again
Gesamtspielzeit: 45:28 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Immermusik Postings: 1310 Registriert seit 04.11.2021 |
2024-03-17 20:30:41 Uhr
Würde ich jetzt als ihr bestes Album bezeichnen 8/10 Stimmlich zusammen mit Another Sky ganz großes Kino. Vorband ist übrigens Swirlpool, vielversprechender Shoegaze. |
Deaf Postings: 3177 Registriert seit 14.06.2013 |
2024-02-22 10:24:48 Uhr
Vor allem "Walking, Flying" gefällt mir sehr. Freue mich auf das Konzert am Osterwochenende. |
slowmo Postings: 1405 Registriert seit 15.06.2013 |
2024-02-22 08:09:23 Uhr
Kenne bisher nur die ersten drei Songs. Klingt im Vergleich zu den Vorgängern ein bisschen weniger schwarz. Scheinbar wurde der obligatorische Dark-Wave-Synthie-Korsett etwas gelockert, aber dafür versprechen Songs wie "The Talker" oder "Walking, Flying" mehr Fokus auf typische Postpunk-Elemente mit mehr Schlagzeug und weniger Synthies.Nach wie vor bleibt Fenne Kuppens der entscheidene Faktor der Band. Schade, dass das Konzert in meiner nähe schon ausverkauft ist. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28275 Registriert seit 08.01.2012 |
2024-02-21 22:06:25 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
Talibunny Postings: 2601 Registriert seit 14.01.2020 |
2024-02-17 16:11:58 Uhr
Es gibt ein neues (drittes) Album dieser Band aus Belgien.Kommt am 23/02/2024. File under : Post Punk/ (Cold) Wave https://www.youtube.com/watch?v=zTIeoU0t2As https://www.youtube.com/watch?v=cuU91SFgmhw https://www.youtube.com/watch?v=SNhpmVJMAas |
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Referenzen
Holygram; Warsaw; Joy Division; The Soft Moon; The KVB; Ash Code; A Projection; FTR; Lea Porcelain; Bleib Modern; Box And The Twins; X Mal Deutschland; Anja Huwe; Siouxsie And The Banshees; The Cure; Pink Turns Blue; Section 25; Moral; Cup; Motorama; Utro; Bootblacks; Drab Majesty; Solo Ansamblis; Molchat Doma; Ploho; Creux Lies; Preoccupations; Ist Ist; Onyon; Constant Smiles; The Serfs; Ritual Howls; Actors; XTR Human; Lithics; Priests; Drahla; Another Sky; Nico; Marianne Faithfull; Dillon; Soap&Skin; Anika; Exploded View; Warpaint; Dry Cleaning; Just Mustard; Sprints; 2:54; The Organ; Nov3l; Selofan; Schonwald; Lebanon Hanover; Linea Aspera; Tempers; She Past Away; Death Bells; Soft Kill; Deeper; Public Interest; Soviet Soviet; Autobahn
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