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Ja, Panik - Don't play with the rich kids

Ja, Panik- Don't play with the rich kids

Bureau B / Indigo
VÖ: 02.02.2024

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Viel im Wenig

Ja, Panik sind speziell. Seit "The angst and the money" begeistern Andreas Spechtl und Co. das Feuilleton. Dabei erlebte die Truppe, neben dem ein oder anderen Line-Up-Wechsel, in ihrer Laufbahn durchaus das ein oder andere Popularitätshoch. Auch das "Liebhaber-Band-für-Nerds"-Etikett passt, weil Ja, Panik der Nischenmusik immer treu geblieben sind. Egal ob man luftig-elegant mit dem rosaroten Pophimmel flirtete, oder mit verzerrten Gitarren in dunklen Garagen abhing. "So a bissal in-between", würde Spechtl es vielleicht formulieren, im höchst selbst eingeführten Austro-Denglisch, dieser wahnwitzigen Sprachkombi, die einst erste deutschtümelige "Sprachschützer" auf den Plan rief.

Ja, Panik sind Vieles – aber eines nicht: vorhersehbar. Während das 2021er-Werk "Die Gruppe" durch Soundwelten mäanderte, Kollege Bremmer jenes Release "im Halbschlaf" verortete, eher experimentell-forschend denn auf bewusstem Wege, scheint "Don't play with the rich kids" die Findungsphase der Österreicher überwunden zu haben. Denn das siebte Album markiert Ja, Paniks Rückkehr als Rockband. Nicht mehr, aber zum Glück auch nicht weniger. Ein munter nach vorn preschendes, hymnisches Stück wie "Mama made this boy" zumindest hätte man mit seiner aus allen Poren quillenden Euphorie eher nicht erwartet. Mach den Rock'n'Roll-Finger, Baby!

Mit opulenter Geste schaukelt sich das ebenfalls großartige "Kung Fu fighter" in die zappeligste, tanzbarste Utopie-Welten, und selbst der Ur-Wiener wundert sich über die raumgreifende Gelassenheit. Die Beine spüren "Alligator"-Drum-Vibes, die Fäuste sind gereckt. Schnell wird klar, dass die neue Gelassenheit, die Extase, den Antrieb im Zynismus finden muss, im achselzuckenden Abfeiern der nicht haltbaren gesellschaftlichen Entwicklungen und weltpolitischen Zerwürfnisse. Warum? Weil wir's können! So gibt vor allem das bissige "Die Angst des Archivars vor der Sichtung der Welt" den Vortänzer auf den Gräbern der freien Welt: "Alles stürzt / Alles fällt". Am besten die guten Momente aufsaugen, die uns bleiben, bis alles verlorengeht? Eine seltsame Herangehensweise, die es in einem vergangenen Zwanziger-Jahrzehnt schon einmal gegeben haben soll. Jene Gedanken sind schauderlich, nähern sich der Vielschichtigkeit des Albums aber wohl nicht zu unrecht an.

Dazu immer wieder Gitarren. Pfeifend, knarzend oder geschichtet. Aber auch Bläser, Synths. Und ein Druck, der Freude bereitet. Auch die Vorab-Auskopplung "Dream 12059" ist ein Rocksong, packt seine zarten "Hey, hey"s gerade noch in die kleinen Spalten der wuchtigen Wand aus Gitarren-Mörtel. Spechtl findet sich inmitten gleichsam fiebrigem Tagtraum und schlafloser Nacht in Berlin-Neukölln. Durchaus eine Blaupause für die Szenen, in denen sich der Songwriter vom Rausch vergangener Jahre befreien möchte. Auch im feinen Indie-Rocker "Lost" bratzen die Gitarren, der Opener erzählt von Sex, Drugs und Rock'n'Roll und dem Blick in den Rückspiegel: "In meinen Schritten waren alle Zuhaus / Nur ich nicht / Schau ich war da, wo's alles gab / Nur mich nicht / Lost, wherever I've been."

Wenn dieses umtriebige "Don't play with the rich kids" überhaupt mal durchatmet, dann zur Mitte. "Hey Reina" schwebt auf Shoegaze-artigen Gitarrenteppich in die tropische Nacht, das "Teuferl" vertont den folgenden Kater-Tag, wenn Vieles periphär vorbeischwebt. "Sie sag'n sie spiel'n wos von Beethoven / Für mich klingt's nach Bubblegum", lässt Spechtl uns an dem Egal-Zustand teilhaben, und man freut sich diebisch, dass der kleine Teufel noch bei ihm wohnt. Ein bisschen "Libertatia", ein wenig Revolution dürfen bei Ja, Panik nicht fehlen. "Die andere Welt / Die möglich ist / Sie fängt in unserem Hinterzimmer an", heißt es im weirden "Fascism is invisible (Why not you?)" mutstiftend. Und während der Chor alles überstrahlt und das tolle, luftige "Changes" bunten Positivismus in die Luft steigen lässt, stellt sich ein breites Grinsen ein. Weil vielleicht doch nicht alles verloren ist, wenn man nur endlich einmal die richtigen Fragen stellen würde. "Frag das Geld wo es herkommt / Frag die Idee, wem sie nützt / Ich glaub schon, dass man uns ändern kann / Yes, we could be changed." Im Passiv gleichwohl. Die Überzeugung, dass die Menschheit sich von selbst ändert, fehlt.

Spätestens nach den intensiven Schlussminuten des epischen, fast zwölf Minuten Post-Punk des Closers "USHUAIA", hängt die Kinnlade unten und wir konstatieren: "Don't play with the rich kids" setzt den vielleicht fettesten Maßstab deutschsprachiger Rock- und Popmusik im Jahre 2024 schon im Januar. Ja, Panik bleiben speziell. Und ebenso bleiben sie ein Viel inmitten all dem Wenig dieser Zeit.

(Eric Meyer)

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Highlights

  • Lost
  • Mama made this boy
  • Kung Fu fighter
  • Changes
  • USHUAIA

Tracklist

  1. Lost
  2. Mama made this boy
  3. Kung Fu fighter
  4. Dream 12059
  5. Hey Reina
  6. Teuferl
  7. Changes
  8. Fascism is invisible (Why not you?)
  9. Die Angst des Archivars vor der Sichtung der Welt
  10. Every sun that shines
  11. USHUAIA

Gesamtspielzeit: 56:17 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Sloppy-Ray Hasselhoff

Postings: 2395

Registriert seit 02.12.2019

2024-06-08 11:49:07 Uhr
fuck ey, das riffing, der einsatz des saxls und das wording von spechtl in mama made this boy ist derart sexualisiert, dass wohl nur chronisch untertanzte keinen harten kriegen. sorry.

Pole

Postings: 142

Registriert seit 03.11.2018

2024-05-28 18:53:28 Uhr
Habe auch endlich Zeit gefunden, das Album intensiver zu hören. Wirklich toll, so anders als Die Gruppe, was ich auch sehr mag. Finde nur, dass das Album irgendwie sehr viele Höhen hat? Sticht bei mir sogar ab einer bestimmten, wirklich moderaten Lautstärke spätestens ab "Changes" in den Ohren und beim End-Solo von "Ushuaia" so richtig.

Z4

Postings: 8861

Registriert seit 28.10.2021

2024-05-02 12:46:58 Uhr
"Dadurch war es rockig wie nie"

Du warst bei den Touren zu Alben 2 und 3 noch nicht dabei, oder? ^^

The Libertine

Postings: 247

Registriert seit 29.08.2022

2024-05-02 12:45:30 Uhr
War in Köln am Start und es war ein gutes Konzert. Etwas Setlist Frust kam bei mir schon auf, da sie wirklich, bis auf Hey Reina, das ganze neue Album geballert haben. Dadurch war es rockig wie nie, und die Songs haben live auch funktioniert, aber dennoch ist es irgendwie nicht das, was ich von Ja, Panik dauerhaft sehen möchte. Das Velvet Underground artige, das Wienerisch tänzelnde oder der pure Pop bei Libertatia, das hat für mich (mit etwas Abstand zur neuen Platte) mehr Reiz. Randnotiz: Die Songs vom Vorgänger, "On Livestream" und "Apokalypse und Revolution", haben in ihrer sphärischen Verhangenheit zu den Highlights gezählt, genauso wie "The Evening Sun" von DMD KIU LIT als Rausschmeißer. Was ärgerlich war aus meiner Sicht: Kein "Wasser", kein "Zwischen 2 und 4", kein "Trouble", kein "Venedig". Man muss ja keine Nostalgieveranstaltung draus machen, aber so laufen Sie eben auch Gefahr, dass die Leute abspringen, die das neue Album stilistisch nicht so mögen. Dennoch: gut war es in Summe schon. Ist halt Ja, Panik, also Keine Panik :)

Z4

Postings: 8861

Registriert seit 28.10.2021

2024-05-02 09:28:13 Uhr
Denke liegt immer am Publikum, in Köln waren das größtenteils Leute kurz vor der Rente, dementsprechend lahm war die Stimmung, gab dann gar keine zweite Zugabe.
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