Enno Bunger - Der beste Verlierer
Ennorm / PIAS / Rough Trade
VÖ: 19.01.2024
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Mit offenem Visier
Der nachdenklich dreinblickende Vierbeiner auf dem Cover von "Der beste Verlierer" hört auf den Namen Emma. Die Hundedame gehört Enno Bunger und seiner Partnerin Sarah Muldoon, die ebenfalls als Singer/Songwriterin aktiv ist. Bunger teilt gerne Persönliches mit seinem Publikum, nicht nur ein Bild seines Haustiers. In Interviews spricht er offen über seine Gefühle und Gedanken, wirkt dabei stets nahbar und bodenständig. Auch in seinen Liedtexten spielt diese Offenherzigkeit die zentrale Rolle. Gelegentlich überschreitet er dabei die rote Linie zu Kitsch und Gefühlsduselei. Unsere Rezensentin seines letzten Albums "Was berührt, das bleibt"trieb das offensichtlich zur Weißglut, und sie watschte den Liedermacher mit einer 3/10 ab. Damit verbannte sie ihn in dunkle Gefilde, in denen sonst nur musikalische Kleinkaliber wie Tokio Hotel oder Silbermond ihr Unwesen treiben.
Sicher sind die Lyrics des gebürtigen Ostfriesen nichts für all jene Zyniker*innen, die deutsche Popmusik nur akzeptieren, wenn man für die Textanalyse Sekundärliteratur zurrte ziehen muss. Alle anderen dürfen auf dem entwaffnend betitelten fünften Studioalbum in Melancholie und schönen Popmomenten baden. Der ehemalige Barpianist Bunger bereichert seinen gewohnten Sound aus Klavier und Synthies um den häufigeren Einsatz von Gitarren. Songs wie "Bunker" und "Einfache Leute" gewinnen dadurch merklich an Energie. "Ich sehe was, was Du nicht siehst" zitiert in Titel und Refrain ein beliebtes Kinderspiel, Bunger erzählt darin von seinen Depressionen. Wer die deutschsprachigen Releases der letzten Monate verfolgt hat, weiß, wie salonfähig dieser offene Umgang mit der eigenen seelischen Erkrankung glücklicherweise geworden ist. Bungers Beitrag besticht durch simple Aufrichtigkeit und geht zu Herzen. Das darauffolgende "Heute nicht" sagt Suizidgedanken den Kampf an. Dankenswerterweise überfrachtet der 37-Jährige die Hörerschaft nicht mit seinem eigenen Seelenleben, sondern widmet sich auch weltlicheren Themen. "Grasgelb" ist die traurige Bestandsaufnahme einer Politik, die eifrig fossile Energiequellen subventioniert und einer Gesellschaft, die der globalen Erwärmung eine soziale Eiszeit entgegensetzt. Das zappelige Liebeslied "Weltuntergang (Alles hört auf)" ist tatsächlich recht nah an der "konturlosen Chart-Pop-Kopie", die die Kollegin in ihrer Rezension zum Vorgängeralbum bemängelte. Auch "Nie zu spät" ist eingängig radiotauglich, punktet aber durch einen interessanten Beat und die "Born in the U.S.A."-Hommage am Ende.
Bungers Gesangsstimme ist samtweich und blitzsauber. Für Abwechslung sorgen die Gastauftritte der Liedermacherin Lina Maly bei "Kinder" und Sebastian Madsen. Letzterer hält sich angenehm zurück, dabei drängt sich "Einfache Leute" für einen kreischigen Madsen-Refrain geradezu auf. Man ertappt Bunger in diesem Lied auch bei dem ein oder anderen kecken Wortspiel: "Der Traum wird gelebt und der Diem gecarpt / Vom Ende der Zeit bis zum Ende der Welt / Wir sind morgen geliefert, haben es heute bestellt / Ich muss durch den Konsum, bis kein Regen mehr fällt." Achtung, Enno! Du weißt ja, in welchen Gefilden sich Tokio Hotel bei uns bewegen.
Highlights
- Einfache Leute (feat. Sebastian Madsen)
- Grasgelb
- Ich sehe was
Tracklist
- Weltuntergang (Alles hört auf)
- Bunker
- Einfache Leute (feat. Sebastian Madsen)
- Grasgelb
- Ich sehe was, was Du nicht siehst
- Heute nicht
- Nie zu spät
- Kein Mensch startet einen Krieg
- Kinder (feat. Lina Maly)
- Häuserzeilen Pt. I
- Häuserzeilen Pt. II
- Häuserzeilen Pt. III
Gesamtspielzeit: 41:00 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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tardigrade Postings: 11 Registriert seit 05.12.2023 |
2024-01-19 23:15:02 Uhr
@Stefan83: zustimmung, uneingeschränkt (nachträglich) |
tardigrade Postings: 11 Registriert seit 05.12.2023 |
2024-01-19 23:12:52 Uhr
@Obrac: ja(,) / *ich für mich persönlich, nach 1.5-fachem durchlaufen lassen, ...sowie albumvorstellung im br2-kulturprogramm mitte der woche: ja(.), durchaus {"!?"} zwinkersmiley, o.ä. // |
Stefan83 Postings: 3 Registriert seit 19.01.2024 |
2024-01-19 16:37:59 Uhr
Die Rezension zu "Was berührt, das bleibt" war leider mit das unrühmlichste, was ich hier bislang gelesen hab. Klar, man muss Bunger nicht mögen und ich finde auch nicht alles von ihm gleich stark. Aber wenn jemand Erfahrungen mit Krankheit, Trauer und Verlust ins sehr persönliche Zeilen gießt, ist so ein Text mit der entsprechenden Bewertung (und damit die Einsortierung neben Belanglos-Pop und DSDS-Kandidaten) schon ein Schlag in die Magengrube. Da hatte man beim Lesen den Eindruck: Entweder hat die Autorin vieles in den Texten wirklich nicht verstanden oder sie hat kaum richtig hingehört, weil eine Deadline anstand. Anyway: Diese Rezension ist wertschätzend und fair und für mich haut die Bewertung auch hin mit 6/10. Da sind total gute Sachen enthalten, aber nicht auf dem Niveau von "Wir sind vorbei" oder von Songs wie "Konfetti" oder der überragenden TV-Noir-Performance. |
Stefan83 Postings: 3 Registriert seit 19.01.2024 |
2024-01-19 16:32:29 Uhr
Die Rezension zu |
Obrac Postings: 2418 Registriert seit 13.06.2013 |
2024-01-19 09:39:51 Uhr
@tardigrade: Das konntest du heute, am Tag der Erscheinung, schon abschließend eruieren, dass das Album mittelmäßig ist? |
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Referenzen
Moritz Krämer; Philipp Poisel; Herrenmagazin; Bosse; Die Höchste Eisenbahn; Gisbert Zu Knyphausen; Element Of Crime; Mola; Clueso; Olli Schulz; Niels Frevert; Tomte; AnnenMayKantereit; Sebastian Madsen; Joris; Johannes Oerding; Mine; Haller; Drangsal; Lea; Tim Bendzko; Mark Forster; Mine; Danger Dan; Oehl; Reinhard Mey; Gloria
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