Katy Kirby - Blue raspberry

Anti-
VÖ: 26.01.2024
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10

Von zertrümmertem Glitzer und wütenden Perlen
Mit ihrem Debüt "Cool dry place" setzte Katy Kirby 2021 einen neuen Standard für moderne, weibliche Folk-Musik. Über einer simplen Gitarrenbegleitung erzählte die Singer/Songwriterin aus Texas in liebevoller, intimer Metaphorik aus ihrem Alltag, wobei das Aufwachsen in einem streng christlichen Elternhaus eine zentrale Rolle spielte. Nachdem sie in ihren ersten Lebensjahren nur Kirchenmusik gehört hatte, resultierte aus ihrem persönlichen Bruch mit der Religion dynamisch die Hinwendung zur Popmusik. Umso mehr lohnt sich das Hinhören, wenn Katy Kirby ihr Follow-Up als Vertonung ihrer ersten queeren Liebesbeziehung beschreibt.
"I am under her heel like rock candy / Crushed to glitter, layed out on the concrete / And the happiest kind of sorry for myself", so lässt Kirby Hörer*innen auf dem zärtlichen "Blue raspberry" an besagten ersten queeren Erfahrungen teilhaben. Der Titelsong, der gleichzeitig als Ausgangsstück für das Album diente, nimmt sich in seiner Dramaturgie reichlich Zeit – und erinnert auf seinem Höhepunkt dank choraler Harmonien an christliche Kirchenlieder. Währenddessen spricht aus den Lyrics die totale Hingabe und rauschhafte Zuneigung Kirbys gegenüber der beschriebenen Person. Diese scheint jedoch weder auf Gegenseitigkeit noch auf Ausgewogenheit zu beruhen, und Kirbys Metaphorik kreiert bittersüße Charakterisierungen verklärter Romantik. Gespiegelt werden diese Bilder auch im flotten, reichlich instrumentierten "Cubic zirconia", einer Referenz an künstlich hergestellte Kristalle, die als Diamantimitation genutzt werden. Der Song stellt die Frage nach dem wirklichen Wert menschlicher Beziehungen: Muss es denn eigentlich immer das "Wahre" sein, reicht nicht manchmal der bloße Schein?
Aus allen Beschreibungen verwirrter Verzückung und naiver Ideale sticht schließlich "Redemption arc" hervor. Wo Kirby zuvor scheinbar selbstlos ihre persönlichen Werte und Emotionen in den Hintergrund stellte, adressiert sie auf dem Opener allein sich selbst – und gibt sich mit einem Toast auf versöhnlich-tröstende Weise zu verstehen, dass sie stolz ist. Dabei wird Kirbys Singstimme durch ein Klavier gedoppelt, und "Redemption arc" leitet mit theatralischem Aufbau orchestral in das Album ein.
Wenn Kirby auf "Cool dry place" den Boden fand, auf eigenen Füßen zu stehen, springt sie auf "Blue raspberry" sowohl lyrisch als auch musikalisch in neue, kalte Gewässer. Der Großteil der Songs ist aufwändiger instrumentiert als zuvor, und es finden sich deutlich ausgefeiltere dramaturgische und melodische Ansätze. Unter dieser vollen Produktion leidet zuweilen die Authentizität, einzelne Songs wirken weniger zugänglich, und die lyrischen Malereien verschwinden schier in übervollen Klangbildern. Dennoch fesselt "Blue raspberry" vor allem durch Katy Kirbys Mut, das eigene Wachstum auf so rohe Weise offenzulegen, enorm und macht neugierig auf alle weiteren Veröffentlichungen dieser Künstlerin.
Highlights
- Hand to hand
- Party of the century
- Blue raspberry
Tracklist
- Redemption arc
- Fences
- Cubic zirconia
- Hand to hand
- Wait listen
- Drop dead
- Party of the century
- Alexandria
- Salt crystal
- Blue raspberry
- Table
Gesamtspielzeit: 38:24 min.
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