Lord Of The Lost - Weapons of mass seduction
Napalm / Universal
VÖ: 29.12.2023
Unsere Bewertung: 3/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
Bla und Glitter
Der Eurovision Song Contest steht traditionell für den europäischen Gedanken, Völkerverständigung sowie abgefahrenes Liedgut. Seit einigen Jahren scheint dort auch eine deutsche Platzierung am unteren Ende der Wertungstabelle zur Tradition zu werden. 2023 in Liverpool war es an der Hamburger Dark-Rock-Truppe Lord Of The Lost, Deutschland mit einem flamboyanten Auftritt zum Song "Blood and glitter" auf den letzten Platz zu führen. Der zunehmenden Popularität der Band tat dieses Ergebnis freilich keinen Abbruch. Das gleichnamige Album erreichte zuvor die Pole-Position in den deutschen Charts und neben einer erfolgreichen eigenen Tour spielten Lord Of The Lost auch bei einigen Konzerten als Support von Iron Maiden, deren Bassist und Urgestein Steve Harris sich bereits vor Jahren als Fan zu erkennen gegeben hatte. Zum Abschluss eines solch ereignisreichen Jahres haut das Quintett um Sänger und Ober-Lord Chris Harms mit "Weapons of mass seduction" nun also noch sein erstes Cover-Album raus.
Beim Blick auf die Tracklist der Doppel-CD-Version fällt die enorme Genre-Vielfalt der Vorlagen auf. Zwar gibt es eine gewisse Schlagseite zum Rock und Synthie-Pop der Achtziger und frühen Neunzigerjahre, aber die Band covert sich auch munter durch verschiedenartigste (potenzielle) Klassiker aus dem neuen Jahrtausend, sodass es nicht einmal mehr überrascht, dass auch eine Musical-Nummer dabei ist. Angesichts dieses vielseitigen Ausgangsmaterials wirkt es um so frappierender, wie sehr hier im Ergebnis alles wie eine Weiterführung des Sounds der poppigeren Songs von "Blood and glitter" klingt, also nach Düsterrock mit Glam- und Achtziger-Grooves. Dabei gelingt Lord Of The Lost das zweifelhafte Kunststück, gleichzeitig wie vor Ehrfurcht erstarrt kaum einmal kreativ und spielerisch Tempo, Melodieführung oder Stimmung der ursprünglichen Stücke zu verändern und diese trotzdem durch die unoriginellen Arrangements in einem finsteren Einheitsbrei untergehen zu lassen. Quasi alles hier klingt also frei von Überraschungen – ganz genau so, wie man sich eine Coverversion des entsprechenden Songs von Lord Of The Lost vorstellen würde.
Damit bleibt also ab dem ersten "Oh yeah" in "Shock to the system" von Billy Idols Konzeptalbum "Cyberpunk" eben diese Erschütterung des Status Quo leider größtenteils aus. Mit zwei Songs verbeugt sich die Band vor Metal-Urgesteinen: Iron Maidens "Children of the damned" wirkt wie eine in Ehrfurcht erstarrte Fleißaufgabe, während "Turbo lover" wirklich den Turbo zündet und fast noch dringlicher daherkommt als das Original von Judas Priest. "Smalltown boy" ist die erste von mehreren Adaptionen von Synthie-Pop-Hits der Achtzigerjahre und hält sich eng ans Original, erreicht aber trotz vollem Einsatz samt Screamo-Einlagen von Harms nicht den emotionalen Punch von Jimmy Somervilles androgynem Falsettgesang. Derselben Blaupause folgt "It's a sin", dessen Titel angesichts dieser arg uninspirierten Neuauflage des Pet-Shop-Boys-Meisterstücks absolut Programm ist. Besser funktioniert da das treibend polternde "Hymn", auch ohne die Leichtigkeit von Ultravox.
Roxettes "The look" braucht natürlich niemand in einer Adaption von Lord Of The Lost und Blümchen, auch wenn der hörbare Spaß aller Beteiligten durchaus überspringt und die Tatsache, dass ausgerechnet Jasmin Wagner so zu einem Gastauftritt beim Wacken-Festival 2023 gekommen war, ja fast schon etwas Subversives hat. Bishop Briggs Radiohit "River" macht sich im brachialen Industrial-Gewand recht gut, das Lady-Gaga-Cover-Duell gewinnt dank druckvoller Dynamik und Niklas Kahls Schlagzeuggewitter "Judas" recht eindeutig gegen die lahme Karaokeversion von "Bad romance".
Noch schwerer verdaulich sind Keanes schunkeliges "Somewhere only we know" und vor allem die kitschig-schwülstige Version von "House on a hill" von The Pretty Reckless, die unangenehm unheilige Erinnerungen an den Unheilig-Grafen weckt. Ein tatsächliches Highlight hingegen ist "Wig in a box" aus dem Glam-Rock-Musical "Hedwig and the angry inch", das zugleich emotional berührend, wie auch angemessen überzogen camp daherkommt. Ähnlich wie beim ESC verdienen Lord Of The Lost für den quasi nicht existenten Mehrwert ihrer Coverversionen auch hier definitiv keine "douze points" und angesichts bereits ausverkaufter Termine für die anstehende Frühjahrtournee besteht mit Blick auf den Albumtitel auch keinerlei Hoffnung auf baldige Abrüstung.
Highlights
- Turbo lover
- Wig in a box
Tracklist
- CD 1
- Shock to the system
- Unstoppable
- Smalltown boy
- Turbo lover
- Hymn
- Give in to me
- River
- Somewhere only we know
- (I just) Died in your arms
- High
- House on a hill
- CD 2
- The look
- Ordinary town
- Cha cha cha
- Judas
- Children of the damned
- Wig in a box
- Bad romance
- The most radical thing to do
- This is the life
- It's a sin
- Ordinary world
Gesamtspielzeit: 95:43 min.
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User | Beitrag |
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7th Seeker Postings: 362 Registriert seit 13.06.2013 |
2024-01-08 16:22:10 Uhr
Genau die Art von Album, die es mir sehr schwer macht, noch ein wenig Restrespekt vor dieser Band zu bewahren |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27328 Registriert seit 08.01.2012 |
2024-01-04 21:45:21 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Eisbrecher; Unheilig; Oomph!; Unzucht; Witt; Marilyn Manson; HIM; Mono Inc.; Hell Boulevard; Scarlet Dorn; Dero Goi; Deathstars; The 69 Eyes; ASP; Darkhaus; Letzte Instanz; Charon; Megaherz; Beseech; Entwine; Darkseed; Mantus; To/Die/For; Crematory; Sirenia; Eisheilig; Lacuna Coil; Lacrimas Profundere; Gothminister; Emigrate; Florian Grey; Rammstein
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