King Creosote - I des
Domino / GoodToGo
VÖ: 03.11.2023
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
High Fife
Kenny Andersons musikalischer Werdegang ist in vielerlei Hinsicht erstaunlich. Blickt man auf seine Diskografie, frappiert ein Riss, der sich etwa 2005 ereignet hat: Auf der einen Seite finden sich zahllose Veröffentlichungen im Selbstvertrieb und ohne Label, bevorzugt auf CD-R, teils in eigens dafür angefertigten Boxen, meist etliche pro Jahr. Auf der anderen Seite beginnt die moderne Ära des King Creosote, Andersons künstlerischem Pseudonym. Seine Alben erscheinen nun meist bei Domino, ihre Reichweite und Einflusssphäre vergrößern sich beträchtlich. Den vorläufigen Kulminationspunkt erreichen sie 2011 im Ambient-Folk von "Diamond mine", einer Kollaboration mit dem elektronischen Soundbastler Jon Hopkins, die zugleich zum Eindringlichsten und Dichtesten gehört, was das Genre in diesem Jahrtausend hervorgebracht hat. Eine kurze Revue, die "I des", das neue Album Andersons, nahelegt: Sieben Jahre sind nämlich seit dem spacig-ausladenden "Astronaut meets appleman" ins Land gezogen – und auch thematisch präsentiert sich "I des" als Ausdruck eines Mannes, der Bilanz ziehen möchte. Dafür hat der inzwischen 56-jährige Schotte aus der Fife-Region famose Songs, opulente Arrangements und eine schrullige Experimentierfreude im Gepäck, die es erlauben, den großen Fragen ins Gesicht zu sehen. Auch der größten überhaupt: Was hat es mit dem Tod auf sich?
"Greedily at a burial bleak / I'm thinking maybe dying’s not for me", bekennt Anderson zwischen Witz und Nonchalance in der zunächst akkordeon-, dann orgelgeleiteten Ballade "Burial bleak". Der Tod verstärkt in diesen Songs vor allem den ihm trotzenden Lebenswillen – ein Verhältnis, das Dichotomien auflöst: "No I shan’t complain if the lasting memory of me / Is of new life budding in the leaves of the elm trees", heißt es im wunderbaren "Blue marbled elm trees", das so mit flottem Takt und majestätischen Refrain den motivischen Fixpunkt von "I des" formuliert. Dabei strotzen die ersten neun Songs des Albums vor Liebe zum Detail, zelebrieren ihre Lebensfülle auch stets als Melodienreichtum in mehreren Schichten. Sind es noch verzerrte, rabiate Elektro-Beats und nicht näher spezifizierbare Field Recordings, die den Opener "It’s sin that's got its hold upon us" einläuten, so werden sie schon bald von Akustikgitarre und Streichern gebettet, die sich immer wieder von Melancholie und Euphorie besänftigen oder aufscheuchen lassen. Feine Ambient-Skizzen zeichnen die Übergänge zwischen den Songs, erinnern an die Zusammenarbeit mit Hopkins, aber auch einige der jüngeren Ansätze Sufjan Stevens', Lied und Atmosphäre zu verweben.
Stellenweise durchwirken die Ambient-Einflüsse auf "I des" auch das Zentrum seiner Songs. Störgeräusche und ätherisches Wabern prägen "Dust", das dem Sterben unerblümt ins Auge sehen will. Dann kreieren die Synthies einen akustischen Wirbel, der zwischen Überforderung und Attraktion pendelt. Vor den tief bewegenden zwei Minuten von "Love is a curse", dessen gezupfte Akustikgitarre von aus dem Grammofon zu stammen scheinenden Ballroom-Sounds koloriert wird, oder dem fragilen Klavierstück "Ides" samt Anderson im Falsett, streut King Creosote gelegentlich beschwingtere Momente ein. Allen voran die Single "Susie Mullen" verblüfft, wenn verfremdete Cheerleader-Chöre das Fanal für launigen Synth-Pop mit New-Wave-Einschlag und Sprechgesang anstimmen. "If rum is rationed, Susie Mullen, then you ought to jump ship", schlägt Anderson vor und man torkelt gerne hinterher. "Walter De La Nightmare" entpuppt sich als Folk-Pop-Glanzstück, hinter dessen weitreichenden Klavierakkorden sich Banjo und Fiddle-Solo einschmuggeln. "I am the Walter De La Nightmare from 'Little heart' on Sampler 3", behauptet Anderson und streckt zwinkernd die Fühler nach seiner eigenen DIY-Ära aus.
"Please come back I will listen, I will behave, I will toe the line" – klingt hier nicht sogar der Titel bereits nach Sufjan Stevens? – schreibt "I des" als 13-minütige Suite fort. Aus düsteren Drones und Chören taucht es auf, verliert sich später in ähnlich opaken Welten, wobei Anderson auch hier immer wieder dezent Tonarten und Klänge keltischer Folkmusik in seine Kompositionen einflicht. Dazwischen stehen ein langsam aufwallender, hymnischer Refrain, schlierenziehende Gitarren und ein ab der Hälfte hervorpreschendes Schlagzeug. Zweifellos böte es sich dramaturgisch an, jetzt den Schlussstrich zu ziehen, doch Anderson hat anderes vor: "Drone in B#" macht "I des" in seinen fast vierzig (!) Minuten kurzerhand zum Doppelalbum, kommt als Drone-Exploration im ersten Drittel gänzlich ohne perkussive Elemente aus und wird später zum groovig-repetitiven Krautrock-Jam mit mikrotonalen Passagen. Es scheint fast so, als mache es Stück für Stück all jene über das Album bislang angedeuteten Fragmente experimenteller Musik sichtbar, zugleich wirkt es wie ein gelungenes, wenngleich optionales Postskriptum. Denn dass "I des" als Highlight in der musikalischen Reise des King Creosote gelten wird, ist da schon längst etabliert.
Highlights
- It's sin that's got its hold upon us
- Blue marbled elm trees
- Susie Mullen
- Love is a curse
Tracklist
- It's sin that's got its hold upon us
- Blue marbled elm trees
- Burial bleak
- Dust
- Walter De La Nightmare
- Susie Mullen
- Love is a curse
- Ides
- Please come back I will listen, I will behave, I will toe the line
- Drone in B#
Gesamtspielzeit: 83:45 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Pivo Postings: 1384 Registriert seit 29.05.2017 |
2024-11-11 11:32:26 Uhr
Obwohl mittlerweile schon ein Jahr alt, ist es auch bei mir immer noch oft angesagt. Nicht mehr in der HeavyRotation wie in den ersten Monaten, aber immerhin. Das schaffen bei mir nur die wenigsten Alben. |
Martinus Postings: 699 Registriert seit 13.01.2014 |
2024-11-10 13:56:39 Uhr
Schon wieder läufts. Passt gut zu dem düsteren Wetter |
Martinus Postings: 699 Registriert seit 13.01.2014 |
2024-07-12 22:11:25 Uhr
Immer noch mega gut.Eins meiner Lieblingsalben der letzten Jahre. |
Elbowsneeze Postings: 141 Registriert seit 29.11.2021 |
2023-12-25 19:46:02 Uhr
Höre es gerade wieder. Das was Pivo schreibt kann ich komplett unterschreiben. Danke PT, tolles AdW |
Pivo Postings: 1384 Registriert seit 29.05.2017 |
2023-12-09 14:07:48 Uhr
Mit dem songs 1-9 ist es ein richtig tolles Album geworden. Nicht zu lang, nicht zu kurz. Tolle Momente in fast allen Stücken, klasse Stimme, tolle melancholische grundstimmung. Für mich ein perfektes Album zum Jahresabschluss.Den letzten Song hätte es für mich nicht gebraucht. Fast 40 Minuten sind einfach zu lange um ein spannendes Lied aufzuziehen. Da werde ich zu schnell müde. Bis dahin aber in jedem Fall eines der besten Alben des Jahres. |
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Referenzen
The Fence Collective; The Burns Unit; The Beta Band; Badly Drawn Boy; James Yorkston; Sufjan Stevens; Peter Broderick; Bart Constant; Kris Drever; Greg Laswell; Fanfarlo; Loch Lomond; Chris Garneau; Nicolai Dunger; Bowerbirds; Peter Gabriel; Blaudzun; Richard Walters; Withered Hand; The Leisure Society; Stornoway; Belle & Sebastian; Other Lives; Arcade Fire; Get Well Soon; Nathaniel Rateliff; Admiral Fallow; Maireared Green; Alasdair Roberts; Malcom Middleton; Arab Strap; Runrig; Midlake; Iron & Wine; Bon Iver; Wilco; Can
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