Dagobert - Schwarz
Dagobert / Recordjet / Edel
VÖ: 24.11.2023
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Ausgerechnet Chrysanthemen
"Alles geht nur nach Deinem Kopf / Das wird mir zu konfus." Nicht nur eine Zeile aus Dagoberts tendenziell furchtbarem, aber am Ende leider geilem Schlager-Hit "Ich will ne Frau die mich will", sondern auch ein Satz, der auf seinen 2022er-Longplayer "Bonn Park" zutrifft. Fernsehgarten-Trash hier, an den Zähnen ziehender Herzschmerz da, kosmisch verstrahlte Krautwickel und eine schief gegniedelte Scorpions-Ehrerbietung obendrauf – ja was denn nun? Da tut es wohl, dass sich "Schwarz" plötzlich konsistenter gibt. Wenn auch weitaus düsterer, wie schon der Titel nicht bloß andeutet. Zu Beginn weidet sich der Mann, der bürgerlich Lukas Jäger heißt, sogar an der eigenen "Todessehnsucht" und verkündet im Brustton der Überzeugung: "Nur der Tod / Er lindert meine Not." Klingt finster, ist aber hoffentlich halb so schlimm: Der Schweizer betrauert das Ende einer Beziehung und würde sich am liebsten zu seinen Altvorderen gesellen. Ein Gefühl, das jeder kennen dürfte, der lieber vor dem Plattenspieler als vor anderen Menschen weint.
Allerdings inszeniert der 41-Jährige diesen demonstrativen Defätismus mit einem musikalischen Feinsinn, der ihm vor nicht allzu langer Zeit noch abzugehen schien. Das belegen im moribunden Opener gravitätische Bläser, versonnenes Piano und weihnachtliches Schlitten-Gebimmel, im vergleichsweise leichtfüßigen "Dagobert und die Blumen" hingegen luftige Akustikgitarren, die eine von Jägers verunglückten Liebesgeschichten mit tragikomischer Pointe illustrieren. Diesmal über einen Strauß, der nicht den Weg zur Angebeteten findet – etwa, weil es sich ausgerechnet um als Grabbepflanzung populäre Chrysanthemen handelt? Kein komplett abwegiger Gedanke ob der rührselig schluchzenden Pedal Steel und einer Kirchenorgel, die imposant in die Höhe fährt. Einen noch größeren Auftritt hat das sakrale Instrument in der "Rabensinfonie", wo pluckernde Electronics und drohendes Trommelfeuer gereizte Spannung verbreiten. Einmal mehr gehört ein Stück über spukige Naturmythen zu den stärksten einer Dagobert-Platte.
Auch "Stille Abenteuer" suggeriert mit synthetischem Vogelgezwitscher und stoischem kleinem Beat-Muster, dass Tiere womöglich die besseren Menschen sind, gipfelt samt unschuldig geflötetem "Niemand sonst ist so schön wie Du" schließlich aber doch im Rausch der Emotionen. Mehr Unheil legt "Das Omen" dank dunkel glitzernder Bilder von Abschied und Aufruhr nahe, lässt sich jedoch ebenso als kontemplativer Wochensong mit Shoegaze-Riff hören. "Keine Gefühle"? Nimmt man Jäger selbst dann nicht so richtig ab, wenn er zu filigraner Mandoline geknickt "Ich bin nicht mehr verliebt" bekennt und sexuelle Details andeutet. Spätestens in "Du bist bei mir" macht "Schwarz" seinen Frieden mit dem Leben, der Liebe und dem ganzen Rest – wie es sich gehört für ein teils brillant arrangiertes Album, das sich nur ab und zu eine eher ungute Käsigkeit leistet. Und das abschließende "Ich glaub, ich hab böse geträumt heut Nacht / Ich glaub, ich hab mich umgebracht"? Nehmen wir einfach mal so hin. Es geht eben nur nach Dagoberts Kopf.
Highlights
- Todessehnsucht
- Rabensinfonie
- Keine Gefühle
Tracklist
- Todessehnsucht
- Dagobert und die Blumen
- Stille Abenteuer
- Augen der Nacht
- Das Omen
- Rabensinfonie
- Keine Gefühle
- Du bist bei mir
- Schwarz
Gesamtspielzeit: 34:14 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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tjsifi Postings: 861 Registriert seit 22.09.2015 |
2023-11-23 17:02:39 Uhr
Was ich bisher davon gehört habe gefällt mir sehr gut. Bin gespannt darauf morgen das ganze Album zu hören. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27674 Registriert seit 08.01.2012 |
2023-11-22 21:59:04 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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