Bar Italia - The twits
Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 03.11.2023
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Ins Scheinwerferlicht gekrochen
Ängstliche Kätzchen kauern gerne unterm Sofa. Und sie kriechen – die Lage checkend – hervor, wenn die Luft rein ist. Nina Cristante, Jezmi Tarik Fehmi und Sam Fenton von der Londoner Band Bar Italia verbargen sich in der Vergangenheit wie scheue Miezen und versteckten in den ersten Videos konsequent ihre Gesichter (siehe das grobkörnige Video zu "Polly Amor", 2022). Warum eigentlich? Eine Marketingstrategie, um Interesse zu wecken? Wenn es so war, dann ist die Taktik aufgegangen: Die englische Presse hypte die Gruppe und feierte ihr Debütalbum "Tracey denim". Nicht zu Unrecht: Die Bar-Italia-Musik, hypnotisch und punkig, klang von Anfang an frisch und besonders.
Nach so viel Anerkennung sind die drei endlich unter der Couch hervorgekommen, sichtbar in Videos und Interviews und haben mit "The twits" ein beachtliches zweites Album abgeliefert. Es ist in nur acht Wochen in einem provisorischen Heimstudio auf Mallorca aufgenommen und abgemischt worden. Der Lo-Fi-Sound der neuen Platte kommt rau wie ein Starkwind in der Badia d'Alcúdia rüber. Näheres Reinhören offenbart aber die Vielseitigkeit des Werkes – Schicht für Schicht haben die drei im mallorquinischen Studio ihre gitarrenlastige Musikidee mit verschiedenen Genres umhüllt und eine Indie-Perle geschaffen. Wenn man die feinen Unterschiede zwischen den Songs ignoriert, mag "Art-Post-Punkrock" als Oberbegriff dafür durchgehen. Einzigartig und prägend für den Sound der Briten sind die Vocals, denn regelmäßig singen in den einzelnen Liedern jeweils alle drei Bandmitglieder mit ihren wiedererkennbaren Stimmen, meist abwechselnd, gelegentlich mehrstimmig.
"The twits" beginnt mit dem Banger "My little tony": unpolierter Gitarrensound, und die eingeflochtenen Riffs erhöhen den Hörspaß bei dieser Punkrocknummer – muss man einfach lauter drehen. Inhaltlich wendet sich der Song an ein herbeigesehntes Du: "I wanna be where you are / It's on the seat of your car / (…) / And you go, I waited for you." In "Real house wibes (desperate house vibes)" wird die aus der Mode gekommene Shoegaze-Ästhetik vom Dachboden runtergeholt, und man schunkelt ein bisschen mit, während die Gitarren im Neunziger-Style verzerrt aus der Box dröhnen. Auch "Hi fiver" ist mit Shoegaze getunt; und die rhythmusgebenden Gitarren gleiten in dem Song zwischen klarem und Distortion-Sound. "Worlds greatest emoter", mit Schlagzeug eingeleitet, ist noch so eine laute Nummer, der Track ist ein antreibender, aber melodischer Punksong mit lärmenden Gitarren.
Wie gesagt – die Stärke des Albums ist, dass neben Gitarrenschrub noch andere Musikgenres hörbar werden: Im Walzer-Rhythmus kommt der Song "Twist" wie ein gemächliches musikalisches Zwiegespräch rüber. "Brush w faith", zweistimmig gesungen, ist loungetaugliche Musik für die späte Stunde, zu der man sich mit wiegenden Hüften in die Augen schaut; aber es wäre kein Bar-Italia-Song, wenn nicht am Ende das Effektpedal gedrückt würde. Ein weiterer Stilwechsel: Es gibt schwermütigen Country-Blues in "Jelsy" – das Stück passt in eine Kneipe, in der man allein mit seinem Drink auf eine geliebte Person wartet und von Bar Italia die Möglichkeit des Verlustes vorgesungen bekommt: "I shiver at the thought of losing / The warmth which ist before my eyes / Because of love."
Mit kunstvollen Rückkoppelungen im Outro von "Bibs" endet das neue Werk schließlich. "The twits" ist nach einem Kinderbuch von Roald Dahl benannt. Ein "Twit" ist im Englischen ein Depp, und in der Geschichte sind die Twits alt, gemein, und wenig angepasst. Zumindest unangepasst ist diese talentierte Band, von der wir hoffentlich noch viel hören werden.
Highlights
- Worlds greatest emoter
- Brush w faith
- Jelsy
Tracklist
- My little tony
- Real house wibes (desperate house vibes)
- Twist
- World's greatest emoter
- Calm down with me
- Shoo
- Que surprise
- Hi five
- Brush w faith
- Glory hunter
- Sounds like you had to be there
- Jelsy
- Bibs
Gesamtspielzeit: 47:16 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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myx Postings: 5094 Registriert seit 16.10.2016 |
2024-05-09 16:07:28 Uhr
Schön, hat's mit dem Nachholtermin geklappt. Ich wünsche dir ein tolles Konzert! |
saihttam Postings: 2459 Registriert seit 15.06.2013 |
2024-05-09 13:25:52 Uhr
Heute dann endlich das Nachholkonzert! Bin sehr gespannt und freue mich drauf. |
myx Postings: 5094 Registriert seit 16.10.2016 |
2023-11-26 20:14:47 Uhr
Oh, schade, das ist natürlich Pech. Hoffe mit dir auf einen Nachholtermin ... Falls sie nächstes Jahr ebenfalls auf Tour sind, wären sie auch ein sehr guter Kandidat für das Maifeld Derby."Tracey Denim" ist das verschlurftere Album und gefällt mir schon besser als die jüngste Scheibe, mittlerweile sogar so gut, dass es für einen Top-10-Platz zum Jahresende reichen wird. |
saihttam Postings: 2459 Registriert seit 15.06.2013 |
2023-11-26 01:09:33 Uhr
Das Konzert in Frankfurt wurde übrigens spontan abgesagt, weil die Band mit dem Tourbus auf der Straße liegen geblieben ist und sie es nicht rechtzeitig ins Venue geschafft hat. Jetzt hoffe ich auf einen Nachholtermin.Ich mag das neue Album auch wieder gerne, aber würde behaupten, dass sie ein richtig grandioses Album hätten machen können, wenn sie die besten Tracks von beiden Alben auf eines gebannt hätten. So haben sie einfach "nur" zwei gute Alben in einem Jahr rausgebracht, was ja auch schon eine Leistung ist. |
myx Postings: 5094 Registriert seit 16.10.2016 |
2023-11-14 12:25:03 Uhr
War schön gestern in St. Gallen, sehr schön sogar. Überaus spielfreudige Truppe, als Newcomer spürbar fernab jeder Routine und mit viel Lo-Fi-Charme. Dazu super cooles Auftreten. Wie meine Frau sagt: hinter denen schneit's ... Zweifelsohne eine Band mit Kultpotenzial. |
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Referenzen
Nina; Double Virgo; The Crying Nudes; King Krule; The Jesus And Mary Chain; The Breeders; Horsegirl; Sonic Youth; Wednesday; Water From Your Eyes; Dean Blunt; Mark William Lewis; Bedhead; The New Year; Black Box Recorder; The Auteurs; Slowdive; The Delgados; The Trash Can Sinatras; Broadcast; The Pastels; Josef K; Duster; Women; Guided By Voices; Dirty Beaches
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