Cherry Glazerr - I don't want you anymore
Secretly Canadian / Cargo
VÖ: 29.09.2023
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
Chronik eines Untergangs
"Female-fronted" Indie-Rock, anyone? Diese Giftschrank-Vokabel mag kontrovers sein und definitiv kein eigenes Genre darstellen, könnte von mancherlei Zeitgenoss*innen aber dennoch als ein gewisser Trend im gegenwärtigen Musikzirkus wahrgenommen werden. Clementine Creevy, Chefin von Cherry Glazerr, wirkt und werkelt auch unter diesem Pseudo-Label, macht es sich jedoch selten so einfach, wie es die deskriptive, eindimensionale Bezeichnung glauben machen will. Die 24-Jährige aus Los Angeles kokettiert seit jeher gern mit überspitzten sexuellen Anspielungen und latentem Wahnsinn. Man nehme aktuell nur das Albumcover von "I don't want you anymore", das von Weitem so aussieht, als hätte ein frecher Vogel genau auf … ach, seht einfach selbst. Es geht um das vierte Album der kalifornischen Band. Diesmal gibt es eine Art Konzept.
Allein die Tracklist von "I don't want you anymore" liest sich nämlich wie das chronologische Abklappern einer beginnenden und schließlich mit Vollgas gegen die Wand fahrenden Beziehung oder Situationship – vom anfänglichen High über die ersten Komplikationen, das anschließende Zerbrechen bis hin zum schlussendlichen Discard. Long story short: Du warst nicht der Richtige, Baby, und jetzt habe ich ein Album über Dich geschrieben. Vermutlich verdient. Der Werkzeugkasten von Cherry Glazerr beinhaltet dazu nicht länger bloß sägenden Fuzz und simplen Schrammel-Rock, sondern bemüht auch gern mal das zerfledderte Mainstream-Handbuch. Neben Post-Grunge-Anklängen darf ebenso clubbiger Elektro-Pop ranhalten, findet Creevy, und so bittet sie in "Bad habit" auf den Dancefloor. "I don't want you anymore" täuscht mit diesem Song und dem dynamischen Power-Popper "Ready for you" zunächst Harmlosigkeit an. Dann bricht das Gewitter los.
Verzweifelt-melancholische Grunge-Monster wie "Touched you with my chaos" erdrücken mit ihren meterdicken Gitarrenwänden hinterher jeglichen Anflug von Leichtigkeit im Keim. "I said that I love you", verdammt! Wo bist Du jetzt? Das Streicher-Outro wäre in einem herkömmlichen Alternative-Kontext kitschig und beliebig, hier unterstreicht es das Drama gekonnt und ist noch dazu die Eröffnung einer dreiköpfigen Krach-Insel, die mit der aufbrausenden Single "Soft like a flower" und dem schrägen "Sugar" fortgeführt wird. Wie "Golden" dann im Anschluss klingt? Wie eine jugendliche Björk auf den falschen Drogen in der Jazz-Bar. Das geschwinde Umschalten zwischen den Stilen erinnert an Torres' "Thirstier" oder an "Squeeze" einer gewissen Sasami Ashworth, die bei Cherry Glazerr mal Bass gespielt hat und ein ähnliches Verständnis der Schnittmenge von Neunziger-Sozialisation und inhaltlichem Zeitgeist mitbringt.
Die Achtziger-Keyboards des süßen, beinahe Chvrches-artigen "Wild times" grätschen später recht unvermittelt ins Hörvergnügen und bereiten dem Noise ein jähes Ende. Aus einem Guss wirkt das Album praktisch nie, fällt streckenweise eher auseinander, aber die widersprüchlichen Gefühle einer Soll-ich-oder-lass-ich-Situation liegen eben genauso im Clinch miteinander. "'Cause I wanted you / I said I need you / But you don't need me" – Begehren vs. Fluchtreflex. Creevy gießt die kognitive Dissonanz derart passgenau in Song-Form, dass man ums Mitfühlen nicht umhinkommt. Vom noch versöhnlichen "I'm addicted to your love" bis zum famosen Titeltrack und Closer ist es schließlich doch kein allzu weiter Weg gewesen, wenn die Musikerin sich endgültig zu einer bitteren, vielleicht unausweichlichen Entscheidung durchringt. "Thank you, next" lautet dann die Devise: neues Spiel, neues Glück.
Highlights
- Touched you with my chaos
- Soft like a flower
- Golden
- I don't want you anymore
Tracklist
- Addicted to your love
- Bad habit
- Ready for you
- Touched you with my chaos
- Soft like a flower
- Sugar
- Golden
- Wild times
- Eat you like a pill
- Shattered
- I don't want you anymore
Gesamtspielzeit: 36:24 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Yndi Postings: 351 Registriert seit 23.01.2017 |
2023-10-11 10:03:27 Uhr
Ich hab eine Menge Spaß am Album. Besonders Wild Times hab ich ständig im Kopf. |
Saschek Postings: 606 Registriert seit 23.07.2018 |
2023-10-07 18:24:51 Uhr
@Deaf. Liegt vielleicht an meinen dämlichen Beiträgen dort. Hatte mich aber auch schon darüber gewundert. Werde das neue Album dieser Tage auch mal in Gänze hören. Die Besprechung macht auf jeden Fall Lust drauf. |
Randwer Postings: 3152 Registriert seit 14.05.2014 |
2023-10-07 18:13:25 Uhr
Wird angetestet. |
Deaf Postings: 2953 Registriert seit 14.06.2013 |
2023-10-05 08:47:35 Uhr
Könnte man untenstehenden Thread nicht mal hier anhängen?https://www.plattentests.de/forum.php?topic=102485&seite=1 |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27328 Registriert seit 08.01.2012 |
2023-10-04 20:07:33 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Dream Wife; Chastity Belt; Girlpool; Bleached; Torres; Charly Bliss; Pom Pom Squad; Sasami; Sorry; Bully; Slothrust; The Joy Formidable; Soccer Mommy; Sleater-Kinney; Snail Mail; Illuminati Hotties; Desperate Journalist; Pip Blom; Diet Cig; Jay Som; Horsegirl; Tash Sultana; Hana Vu; Sløtface; Le Tigre; Rilo Kiley; Vivian Girls; Bachelor; Blonde Redhead; Goat Girl; Veronica Falls; Squirrel Flower; Honeyblood; Remember Sports; Beabadoobee; Camp Cope; Lucy Dacus; Screaming Females; Phoebe Bridgers; Hurray For The Riff Raff; Mannequin Pussy; Porridge Radio; Wolf Alice; ARXX; Japanese Voyeurs; Waxahatchee; Skating Polly; PJ Harvey; St. Vincent; Blood Red Shoes; EMA; Veruca Salt; Tegan And Sara; Mitski; Hole; Willow; The Distillers; Garbage; The Pretty Reckless; Rina Sawayama; Olivia Rodrigo
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