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The National - Laugh track

The National - Laugh track

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 18.09.2023

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Im Leben

"Ambivalente neue Zeiten", so leitete der sehr geschätzte Kollege Heinecker seinen Text zu "First two pages of Frankenstein" ein. Ein Satz, der für The-National-Fans selbst im Kleinen gilt. Denn während die Truppe um "Sonor-Senior" Matt Berninger und die kreativen Dessner-Brüder sich ins Rampenlicht der Pop-Granden zu schleichen scheint – unter anderem durch Kooperationen und eigene Features mit Taylor Swift –, schickt sich die Liebe mancher Fans langsam an, zu erkalten. Nein, so schlimm ist es noch nicht. Allerdings, vergleicht man etwa die gesamt-euphorischen Reaktionen zu Zeiten des großartigen "Boxer" oder "Trouble will find me" mit jenen zum mutigen "I am easy to find", scheint nicht jeder The National blind gefolgt zu sein. Der Truppe, die in ihrer Diskografie für derart viele Ausnahme-Songs steht wie kaum eine andere auf der Indierock-Landkarte.

Hatten sich die Amerikaner mit "I am easy to find" womöglich selbst in eine kleine Identitätskrise manöviert? War die Welttournee mit den vielen Gast-Vokalistinnen ein Schritt zu viel? Corona-Pandemie, Berningers Depression samt Schreibblockade, Aaron Dessners Umtriebigkeit für eigene Projekte: The National schienen zu zerfallen. "First two pages of Frankenstein" sollte von innen heraus erden. Das Streben nach Bewährtem, sozusagen, nach neuer, alter Einheit. Als Gesamtpaket und in Sachen Soundästhetik klang das Werk daher ziemlich homogen, wagte im Songwriting aber nur wenige Experimente. Schulterzucker bei der Hörerschaft. Auf einmal zurück zum Malen nach Zahlen, wenn auch auf vergleichsweise hohem Niveau? Zumal nicht wenige über die Nachricht staunten, dass mit "Laugh track" nur 20 Wochen später ein weiterer Longplayer erscheinen sollte. Ein Überraschungsei, wie aus der Hüfte geschossen?

Zunächst einmal müssen wir feststellen: nein. Album Nummer zehn gehört allein daher zum Vorgänger, weil die Songs in denselben Monaten und Sessions entstanden, als die Band an "First two pages of Frankenstein" schrieb. Der Promotext zu "Laugh track" spricht in der Kombi beider Releases auch von "Doppelalbum". "Weird goodbyes", die sanftmütige Hymne mit Bon Iver, kam schon 2022, fühlt sich heute bereits an wie ein Klassiker und hätte stilistisch auch zum Vorgänger gepasst. Doch viele Stücke auf "Laugh track" klingen und wirken anders. Weil es in der Tat die Herangehensweise an Aufnahme und Finalisierung ist, die zu einer anderen Atmosphäre führt. Ein musikalischer Rausch inmitten des Jammens bei Proben veranlasste Berninger dazu, etwa den wuchtigen Closer "Smoke detector" Hals über Kopf und quasi live aufzunehmen. Fragmente gab es schon länger, auch Textfetzen Berningers, aber in der leicht chaotischen Rhythmik bis zum Klimax, in den Details der Instrumentierung wie der aufjaulenden, an Nerven zerrenden Gitarre, liegt der Schlüssel für einen der direktesten The-National-Songs seit langem. Ein ähnliches Gefühl entfacht das nachdenkliche wie romantische "Space invader", das sich im klassischen The-National-Sound einen ungeahnten Bruch hebt, nur um sich zum zart berstenden Post-Rocker zu verwandeln. Früher hätte Berninger das Ende des Songs förmlich herbeigeschrien.

Heute stellen wir fest: Die Gitarren sind endlich wieder weiter vorn, dürfen mal ausbrechen oder winden sich nach Belieben, Bryan Devendorf schlägt und tätschelt deutlich häufiger und ausgelassen seine Drums, statt bloß an PC-Maus und Reglern zu werkeln. Und Himmel! Welch eine Dynamik entwickelt eigentlich "Deep end (Paul's in pieces)"? Ohne die Halbwertszeit dieser Stücke einschätzen zu können: Da kommt Freude auf, vor allem bei alten Weggefährt*innen der Band. An knarzigen Indierock der Marke "Alligator" (oder aus noch früheren Tagen) denkt natürlich trotzdem niemand. Dennoch hat "Laugh track" mehr Leben als die letzten Releases. Das Album entwickelt seinen speziellen Sog vor allem durch das teils Unsaubere, das Direkte, das Rohe, welches sich hier und da erschließen muss, aber keinem Gesamt-Soundkonzept untergeordnet ist.

Und damit besonders durch viele kleine Details: Wie der Titelsong mit Phoebe Bridgers zunächst lieblich, aber süffissant-gewitzt daherkommt, langsam an Intensität gewinnt und die Bläser samt Streicher im Finale für Zauber sorgen. Wie "Crumble", das Duett mit Country-Queen Rosanne Cash sich nach und nach zur emotional glänzenden Perle herausputzt. "Get yourself ready / To catch what you can of me", singt Berninger voller Selbstverständlichkeit. Krise überwunden? Erst mal weiter staunen, wie etwa "Turn off the house" sich zurücklehnt und dennoch vom Schlagzeug treiben lässt, die Gitarre verspielt aufblitzen darf, als wäre der Band diese subtile Wucht nie irgendwo verloren gegangen. Mit "Tour manager", einem meldodischen Kleinod basierend auf Piano und Percussions, hat es dann noch eine kleine, nahbare Ode zu Ehren der Managerin auf das Album geschafft.

Zwei Alben in einem Kalenderjahr! "Was gibt's da zu meckern?", möchte man fragen. Durchaus einiges, zumindest bei manchen. Normal, denn von einem The-National-Release wird immer etwas Besonderes erwartet. Oder der Ansatz aus Zwei mach Eins? Die gewohnt kompetenten Nutzer*innen des Plattentests.de-Forums zumindest haben bereits ihre individuellen "Frankenstein's laugh track"-Alben kreiert. Eine freie, kreative Welt, noch sind wir an vielen Orten dieser Erde mittendrin. Doch wer weiß, was kommt. Ohne eine Ausnahmeband wie The National würde sie gewiss deutlich weniger zu bieten haben.

(Eric Meyer)

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Highlights

  • Deep end (Paul's in pieces)
  • Turn off the house
  • Laugh track(feat. Phoebe Bridgers)
  • Space invader
  • Smoke detector

Tracklist

  1. Alphabet City
  2. Deep end (Paul's in pieces)
  3. Weird goodbyes (feat. Bon Iver)
  4. Turn off the house
  5. Dreaming
  6. Laugh track(feat. Phoebe Bridgers)
  7. Space invader
  8. Hornets
  9. Coat on a hook
  10. Tour manager
  11. Crumble (feat. Rosanne Cash)
  12. Smoke detector

Gesamtspielzeit: 59:37 min.

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