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Jaimie Branch - Fly Or Die Fly Or Die Fly Or Die ((World war))

Jaimie Branch- Fly Or Die Fly Or Die Fly Or Die ((World war))

International Anthem / Indigo
VÖ: 25.08.2023

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Kein Ende

Im Jahr 2024 werden die Grammy-Awards eine Kategorie für "Alternative Jazz" einführen. Jaimie Branch wird dies nicht mehr erleben, auch wenn die aus Chicago stammende Trompeterin, Vokalistin und Bandleaderin einen nicht unerheblichen Teil dazu beigetragen hat. Obwohl sie zu Lebzeiten nie die Popularität anderer genrebrechender Figuren wie Kamasi Washington oder Shabaka Hutchings erlangte, war sie keinen Deut weniger visionär, versiert und in der Szene anerkannt. "Fly Or Die Fly Or Die Fly Or Die ((World war))" ist das dritte Album ihres Quartetts Fly Or Die und erscheint ein Jahr nach ihrem plötzlichen Tod mit gerade einmal 39 Jahren. Fertiggestellt von Branchs Familie sowie den anderen Bandmitgliedern – Cellist und Keyboarder Lester St. Louis, Kontrabassist Jason Ajemian und Drummer Chad Taylor –, transportiert es ihre Musik zu einem Gipfel, von dem aus die Reise leider nicht mehr weitergehen wird. Das komplexe, kreative Zusammenspiel der vier ordnet sich stets unmittelbar in den Kreislauf schießender Grooves und Melodien unter, die auch ohne Branchs Parolen eine klare Botschaft vermitteln: Die Welt ist ein Schlachtfeld, aber solange wir in Bewegung bleiben und den Spaß erhalten, ist der Kampf nicht verloren.

So beginnt die Platte zwar mit ominösen Orgel-Synths und Paukenschlägen, doch begleiten diese alles andere als eine Abschiedszeremonie. Es ist ein Aufbruch, ein Sonnenaufgang, oder einfach: "Aurora rising". Das Intro leitet fließend in die kopfnickenden Keyboard-Riffs von "Borealis dancing" über, Taylors Afrobeat-nahe Percussion fügt die fehlenden Zahnräder in die Rhythmusmaschine ein. St. Louis' Cello wirbelt sich in Ekstase, ehe Branchs Trompete den Dampfer souverän nach Hause fährt. "Burning grey" greift das funkensprühende Momentum auf und zeigt mit Schlagzeug-Rumpeln und stresssuchendem Bass, womit sich die in Brooklyn ansässige Band ihr "Punk-Jazz"-Label verdient hat. Im Mittelteil kommen alle kurz zur Ruhe, damit Branch ihren textlichen Rundumschlag zum Weckruf fokussieren kann: "Trust me / Just for a moment / Believe me / The future lives / Inside us / Don't forget to fight!" Der Optimismus steht immer im Vordergrund, was seinen Teil dazu beiträgt, dass jede noch so lange Komposition durchweg elektrisiert, aufstachelt, von den Füßen reißt. Wenn sich "And Kuma walks" doch mal zur strukturlosen Kakophonie hinreißen lässt, ist der Free-Jazz-Spuk nach nicht einmal zwei Minuten schon wieder vorbei.

Den Wagemut von Fly Or Die bringt kurioserweise der reduzierteste Track des Albums am stärksten auf den Punkt. "The mountain" ist eine Interpretation von Meat Puppets' "Comin' down", die dem Country-Grunge-Original den Strom abzapft und als völlig ungebrochenes Folk-Liedchen strahlt. Ajemian singt Lead, streicht und zupft seinen Stehbass, bis das angemessen simple Solo der Chefin wieder das letzte Wort bekommt. Das fulminante Herzstück "Baba Louie" droht im krassen Kontrast dazu aus allen Nähten zu platzen: eine karibische Straßenfete mit Big-Band-Calypso, Congas, Flöten und Marimbas, die später mit einem schweren Dub-Groove die Nacht einläutet, während Branch irgendwie noch einen Verweis auf das kubanische Volkslied "Guantanamera" unterbringt. Die fast schon Moshpit-taugliche Energie von "Take over the world" fährt in der zweiten Hälfte ebenfalls runter, passend dazu gleiten Branchs Shouts in die außerweltliche Verzerrung. Allem Kampfgeist zum Trotz gerät der Schlusspunkt von "Fly Or Die Fly Or Die Fly Or Die ((World war))" unerwartet düster. "Their wings are false flags / On our wings they all rise", beklagt das Ausbeutungs-Lament "World war ((Reprise))" über dem unheimlichen Glockenrasseln eines Fisher-Price-Spielzeugs. Ein notwendiger Moment der Erschöpfung oder gar eine dunkle Vorahnung? Sicher ist nur: Der letzte Ton eines Jaimie-Branch-Albums wird niemals das Ende der Welt sein.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Borealis dancing
  • Burning grey
  • Baba Louie

Tracklist

  1. Aurora rising
  2. Borealis dancing
  3. Burning grey
  4. The mountain
  5. Baba Louie
  6. Bolinko bass
  7. And Kuma walks
  8. Take over the world
  9. World war ((Reprise))

Gesamtspielzeit: 46:51 min.

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User Beitrag

PKingDuck92

Postings: 360

Registriert seit 07.10.2022

2023-09-21 15:04:44 Uhr
...Album der Woche wär eig. Schon drin gewesen...

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 27369

Registriert seit 08.01.2012

2023-09-17 20:26:50 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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