Listen




Banner, 120 x 600, mit Claim


Anjimile - The king

Anjimile- The king

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 08.09.2023

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 3/10

Zum Verzweifeln schön

30 Jahre alt ist Anjimile Chithambo 2023 geworden. Es hätte auch ganz anders kommen können. Denn während Anjimile auf dem ersten offiziellen Album "Giver Taker" 2019 den Prozess einer Entziehungskur und all den harten Konsequenzen eine musikalische Erinnerung setzte und sich damit etwas Kontrolle über das eigene Leben zurückholte, liegen manche Sachen nicht in der eigenen Hand. Als queere, non-binäre schwarze Person beobachtet Anjimile die omnipräsente Polizeibrutalität und besonders den Mord an George Floyd im Jahre 2020 in den USA mit Entsetzen und mit viel Wut. Einer Wut, die man als weißer Mitteleuropäer sicher nachvollziehen, aber nie zu 100% verstehen können wird. "The king" ist das wütendste leise Album seit langem – und ein wichtiges Dokument, das Frust fühlbar werden lässt.

Dabei baut Anjimile die Emotionen hauptsächlich über Gitarre und Stimme auf, die die Presse gerne mal mit einem jungen Sufjan Stevens vergleicht. Doch der Opener "The king" lässt erst mal acht andere Stimmen erklingen, die hell und leicht wirken. Erst dann verdunkelt eine monumentale Aufregung das langsam lauter werdende Stück: "What don't kill you almost killed you / What don't fill you / Pains you / Drains you." Zusammen mit Produzent Shawn Everett, der schon mit Darlings wie The War On Drugs, Kurt Vile oder Big Thief zusammenarbeitete, sind innerhalb eines Jahres zehn Songs entstanden, die puristisch wirken, aber ihre Schnörkel nur vor Menschen verstecken, die mal so im Vorbeigehen schmulen. In diesen Stücken kann Anjimile sich offenbaren, fallen lassen und singt in "Father" fast so, als wäre das Studio ein einsames Haus im Nirgendwo, und der Gesang entstünde spontan und mutterseelenallein. "Harley" schwebt ähnlich verlassen mit sphärischen Klängen durch die Dunkelheit: "You don't need to leave the porchlight on / I'm already halfway gone."

Manchmal stehen sich Text und Musik fast gegenüber und versuchen, zueinander zu finden – auf eine einleuchtende Art. "Black hole" lässt ruckartige Drumstrukturen eine langsame Unruhe verbreiten und das Licht schlucken, aber verlautet: "Every message / Every lesson / Bright as day." Das warme, verschachtelte "Genesis" hingegen singt lächelnd die tragische Wahrheit: "I don't wanna be dead yet / I'm allowed to fall apart." Und bildet damit einen von drei Songs, die Anjimile drei Tage nach dem Mord an George Floyd geschrieben hat. Der beeindruckendste davon ist wohl das laut protestierende "Animal", das Drums und Gitarre zusammen in Symbiose Kraft ausstrahlen lässt, während das Unvorstellbare ausgesprochen wird: "Madness manifest / Kneeling on my chest / I've seen the footage in the camera roll / If you treat me like an animal / I'll be an animal."

Was "The king" aber nicht durchzieht, ist blinder Hass. Es ist unbegreiflich, wie Anjimile die Emotionen kanalisiert bekommt. Im gradlinigsten Folk-Song der Platte, dem aufhelfenden "I pray", geht es um den unerträglichen Status Quo und den unbändigen Glauben daran, dass es besser wird. Erst kurz vor Schluss geht der Song in etwas unter, das sich nach verzerrten Kirchenglocken anhört. Oder ist es ein Aufsteigen? Das erste Album von Anjimile bei 4AD ist eine dieser Errungenschaften, die manchmal direkt zeigen, was sie wollen und manchmal durch einnehmende Ruhe so gewaltig wirken. "The king" ist gleichzeitig notwendig unangenehm und strahlt trotzdem vor Schönheit und Ehrwürdigkeit. Und es ist eine Ode daran, sich nicht unterkriegen zu lassen: "Love the fighter / Hate the fight / Oh my mother raised me right."

(Arne Lehrke)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Bestellen bei Amazon / JPC

Highlights

  • The king
  • Mother
  • Animal
  • Black hole
  • I pray

Tracklist

  1. The king
  2. Mother
  3. Anybody
  4. Genesis
  5. Animal
  6. Father
  7. Harley
  8. Black hole
  9. I pray
  10. The right

Gesamtspielzeit: 33:25 min.

Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)

Einmal am Tag per Mail benachrichtigt werden über neue Beiträge in diesem Thread

Um Nachrichten zu posten, musst Du Dich hier einloggen.

Du bist noch nicht registriert? Das kannst Du hier schnell erledigen. Oder noch einfacher:

Du kannst auch hier eine Nachricht erfassen und erhältst dann in einem weiteren Schritt direkt die Möglichkeit, Dich zu registrieren.
Benutzername:
Deine Nachricht:
Forums-Thread ausklappen
(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

myx

Postings: 5087

Registriert seit 16.10.2016

2023-11-29 21:17:38 Uhr
Langsam Zeit, seine Jahresliste zu finalisieren. Dieses aussergewöhnliche, mitreissende, berührende, wunderbar gesungene Avant-Folk-Album landet bei mir auf Platz 3.

Zudem gewinnt das Album in den Kategorien Bestes Cover und Bester Song des Jahres mit seinem atemberaubenden Opener The king.

myx

Postings: 5087

Registriert seit 16.10.2016

2023-09-16 16:32:17 Uhr
Freut mich übrigens, dass du auch Feuer gefangen hast, Autotomate. ;)

myx

Postings: 5087

Registriert seit 16.10.2016

2023-09-15 23:19:54 Uhr
Muss mich leider auch noch gedulden, bis die LP "umgehend" geliefert wird.

Autotomate

Postings: 6174

Registriert seit 25.10.2014

2023-09-15 23:09:23 Uhr
Na fein, meine Geduld. Das Album hatte mir beim ersten Reinhören so gut gefallen, dass ich mir die CD bestellt habe. Nun kommt sie nicht, und ich mag es so lange nicht mehr auf Spotify lauschen...

myx

Postings: 5087

Registriert seit 16.10.2016

2023-09-15 22:47:39 Uhr
Schöne Zeilen von Stefan Hochgesand in der "Berliner Zeitung", kann ihm nur zustimmen:

Dass es solche Platten noch gibt! Anjimile, Jahrgang 1993, singt mit der Feinfühligkeit von Sufjan Stevens, den Avantgarde-Ambitionen eines Perfume Genius und mitunter auch mit Tracy-Chapman-Wucht. Inmitten von viel betäubendem Einheitsbrei, der zurzeit so erscheint, ist dieses Album ein Kronjuwel, passend zum königlichen Titel „The King“.

Wobei, Obacht: Anjimile, schwarz, queer und trans, besingt oft in bester Protestmusiktradition harte Themen, auch rassistische Polizeigewalt. Also nicht von den Philip-Glass-Arpeggios einlullen lassen! So viel Prognose sei gewagt: „The King“ mit seiner ergreifenden Klangfülle ist ein heißer Kandidat für die Jahresbestenlisten. Muss man nicht mal nur mit Bleistift notieren, sondern kann beherzt zu Hammer und Meißel greifen!

Zum kompletten Thread

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Bestellen bei Amazon

Threads im Plattentests.de-Forum

Anhören bei Spotify