Travis Scott - Utopia

Cactus Jack / Epic / Sony
VÖ: 28.07.2023
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

Unruhen
Uff, gar nicht so einfach. Über "Utopia" könnte man jetzt schon ein dickes Sachbuch schreiben, das vierte Studio-Album von Travis Scott gebe genug her. Es ist dessen erste große Veröffentlichung seit der Massenpanik beim Astroworld-Festival im November 2021, als während Scotts Auftritt – wohlgemerkt als Initiator und Co-Organisator – insgesamt zehn junge Menschen starben. Und auch, wenn der Texaner seit Juni 2023 zumindest juristisch freigesprochen ist, umgibt diese Platte selbstverständlich eine düstere Aura, sowohl in der Berichterstattung als auch musikalisch. Um die naheliegendste Frage direkt zu beantworten: Ja, es gibt genau eine Stelle auf dieser Platte, an welcher der tragische Vorfall Erwähnung findet. Ohne das Geschehene ganz auszublenden, bleibt Travis Scott ein Ausnahmetalent, künstlerisch den meisten Rappern überlegen, um Jahre voraus. Dass die Stimmung hier mehr wie eine Dystopie wirkt, ändert nichts daran, dass ihm ein utopisch starkes Album gelungen ist.
Vier Jahre Arbeit stecken in "Utopia", heraus kam eine Machtdemonstration, über eine Stunde lang – leider inzwischen erwähnenswert, da selbst im HipHop immer seltener – und vollgepackt mit durchgängig starken Kollaborationen. "Parasail" ist ein wunderschönes Beispiel für den Vibe der Platte: rau und psychedelisch, mit kryptischen Lyrics und interessanten Feature-Gästen. Dave Chappelle wird hier zum Spoken-Word-Poeten für Intro und Bridge, während die Zusammenarbeit mit Yung Lean exzellenten Fan-Service bedeutet, auf den Anhänger*innen beider Rapper seit "Ghosttown" von 2014 sehnsüchtig warteten. Ein ähnlich wildes Trio versammelt Scott beim Closer "Til further notice", in dem es Producer Metro Boomin mit faszinierender Leichtigkeit gelingt, so gegensätzliche Stile wie die von 21 Savage und James Blake als harmonische Aufbauelemente zu kombinieren, die zu einem Gänsehaut-Finale hinleiten. Doch es ist Beyoncé, die den individuell besten Gastbeitrag liefert: Sie übernimmt in der Single "Delresto (Echoes)" eine fesselnde Hook sowie mehrere Parts, rappt dabei sogar kurz selbst. Mindestens so erhaben wie Frau Knowles-Carter kommen die flotten Instrumentals daher, mehrere House-Loops und Samples von Bon Iver erzeugen eine knisternde R'n'B-Atmosphäre, die enorm eigenständig klingt.
Ein anderer bekannter Name taucht nicht auf der Tracklist, sondern nur in den Credits auf, doch spielt er eine Hauptrolle auf "Utopia". Klar, der Einfluss eines Mentors ist selten zu überhören, bloß gibt es hier so viele offensichtliche Kanye-Bezüge, dass es nur Absicht sein kann. Beispielsweise hören wir in "Modern jam" ein Instrumental, das einer Demo-Version von Kanye Wests "I am a God" entstammt. Noch auffälliger: Sowohl "Thank God", als auch "God's Country" waren ursprünglich für "Donda" angedacht und wurden nun, aus unbekannten Gründen (göttliche Fügung?), an den Schützling weitergegeben. Manchmal entsteht der Eindruck, als wäre Ye gestorben und dies eine ihm gewidmete Platte zum Andenken. Als ob sich jener nicht durch lupenreinen Antisemitismus und peinliche Fehltritte – stellt dir vor, Pete Davidson schläft mit deiner Ex-Frau und deine öffentliche Reaktion lautet, Hitler zu relativieren – nicht selbst ins Aus befördert hätte. Böswillig interpretiert, könnte auch die Zeile "Man, the clique ain't been the same since they lost the greatest" auf Kanye ausgelegt sein, andererseits passt diese Deutung nicht wirklich zum restlichen Inhalt von "Meltdown", ausgerechnet einem Song mit Wests Erzfeind Drake.
Genug Interpretationen, manche Momente sind auch sehr eindeutig. Im spektakulären "My eyes" gibt es einen seltenen Einblick in Scotts unruhige Seele und die eingangs angesprochene Textstelle, vielleicht der ehrlichste Moment des Albums: "I replay them nights, and right by my side, all I see is a sea of people that ride wit' me / If they just knew what Scotty would do to jump off the stage and save him a child / The things I created became the most weighted / I gotta find balance and keep me inspired." Harter Tobak, inszeniert in zwei Akten, wobei gerade im ersten Teil auch durch den düsteren Gesang Justin Vernos viel Melancholie herrscht. Im zweiten Teil des Tracks startet eine brachiale Trap-Kadenz mit viel Prahlerei, aber auch sehnsüchtigen Lyrics, irgendwo zwischen "Crib on a hill" und "More watches", aber auch "Can't look in the mirror". Man merkt der Platte die Unruhe des Künstlers durchgängig an, in ihrer hohen Qualität bleibt sie jedoch konstant. Musikalische Schwächen gibt es hier einfach nicht, menschliche vielleicht eher.
Highlights
- My eyes
- Delresto (Echoes) (feat. Beyoncé)
- Parasail (feat. Yung Lean & Dave Chappelle)
- Til further notice (feat. James Blake & 21 Savage)
Tracklist
- Hyaena
- Thank God
- Modern jam (feat. Teezo Touchdown)
- My eyes
- God's country
- Sirens
- Meltdown (feat. Drake)
- Fe!n (feat. Playboi Carti)
- Delresto (Echoes) (feat. Beyoncé)
- I know?
- Topia twins (feat. Rob49 & 21 Savage)
- Circus Maximus (feat. The Weeknd & Swae Lee)
- Parasail (feat. Yung Lean & Dave Chappelle)
- Skitzo (feat. Young Thug)
- Lost forever (feat. Westside Gunn)
- Looove (feat. Kid Cudi)
- K-Pop (feat. Bad Bunny & The Weeknd)
- Telekinesis (feat. SZA & Future)
- Til further notice (feat. James Blake & 21 Savage)
Gesamtspielzeit: 73:01 min.
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- https://en.wikipedia.org/wiki/Astroworld_Festival_crowd_crus h
- https://www.rollingstone.com/music/music-features/utopia-kan ye-similarities-1234801053
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