Molly Tuttle & Golden Highway - City of gold

Nonesuch / Warner
VÖ: 21.07.2023
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Einfach sein
Wenn man heutzutage "Country music" auf YouTube eingibt, landet man unweigerlich bei den schlimmsten Auswüchsen, die Nashville in petto hat. Man sieht Bros mit dicken Karren und hört Mist. Um Künstler*innen zu finden, die traditionelle amerikanische Musik ernst nehmen, ist Hartnäckigkeit nötig. Irgendwann landet man dann bei der Bluegrass-Szene, die fernab aktueller Trends im eigenen Saft schmort. Und freut sich. Denn es gibt sie noch, die Singer-Songwriter*innen, die nicht nur ihr Handwerk verstehen, sondern mit Herzblut agieren. Womit wir bei Molly Tuttle angekommen sind. Die in Kalifornien geborene Künstlerin vereint instrumentales Können mit purer Lust am Musizieren und heimste dafür schon so manchen Preis ein. Mit ihrer aktuellen Band Golden Highway veröffentlichte sie 2022 das tolle Album "Crooked tree", nun folgt mit "City of gold" die konsequente Fortsetzung.
Wer allergisch auf Banjos und Fiddles ist, sollte spätestens jetzt aufhören zu lesen. Denn selbstverständlich erklingen hier alle genretypischen Instrumente, wobei es Tuttles Kompositionskunst und den Fähigkeiten der Bandmitglieder zu verdanken ist, dass sie nicht nur zitieren, sondern auch brillieren. Im Zentrum der Musik steht natürlich Tuttle selbst, deren unaufgeregter Gesangsstil schon beim ersten Hören beeindruckt. Nichts wirkt bemüht, nichts wirkt gezwungen. Und so schießt sie Songs wie das beschwingte "El Dorado" oder das verschmitzte "San Joaquin" aus der Hüfte, die von den Lautsprechern direkt ins Tanzbein fahren. Doch Tuttle kann auch Balladen. Besonders hinreißend gerät "When my race is run", das wehmütig in die Zukunft blickt und in einem virtuosen Gitarrensolo kulminiert.
Als Texterin verlegt sich Tuttle aufs Geschichtenerzählen. Ihre Sprache ist direkt, aber niemals klischeebeladen. Dies führt dazu, dass ihr wenige Verse genügen, um eindrückliche Gemälde vor dem inneren Auge entstehen zu lassen. In "Stranger things" berichtet sie von einer Romanze, die eine düstere Wendung nimmt. Southern Gothic in Reinform ist das, betörend und schön. Die Musik tut ihr Übriges: Flirrende Gitarren-Arpeggios und behutsam gesetzte Streicher-Akzente hüllen den Raum in fahles Mondlicht. Fröhlicher geht es in "Alice in the bluegrass" zu, hier schickt Tuttle Carrolls berühmte Heldin oberflächlich auf eine Odyssee durch den Süden, erzählt aber eigentlich vom Sturz in die Abhängigkeit. Schwer beschädigt gelingt es Alice schließlich, dem "rabbit hole" zu entkommen. Ein Märchen geht anders.
Politisch wird es nur selten, am deutlichsten fällt diesbezüglich die Legalize-it-Hymne "Down hole dispensary" aus. Aber Tuttle muss keine Slogans zum Besten geben, dies würde ihrer Kunst auch nur schaden. Sie verlegt sich aufs Filigrane und fördert dabei immer wieder Erstaunliches zutage. So besingt sie gemeinsam mit Dave Matthews in "Yosemite" das unrühmliche Ende einer Ehe, wobei sich ihr Duettpartner ganz hervorragend ins akustische Gesamtbild einfügt. Und in "Goodbye Mary" stimmt sie ein bedrückendes Trauerlied an, ganz allein, nur mit einer Gitarre und viel Schmerz in der Stimme. So einfach, so toll kann Musik sein. Während die Bros ihre Trucks mit Subwoofern bestücken, sitzt Molly Tuttle wahrscheinlich irgendwo auf einer Veranda, blickt in den Sonnenuntergang und lächelt. Und das völlig zurecht.
Highlights
- El Dorado
- San Joaquin
- Stranger things
- Goodbye Mary
Tracklist
- El Dorado
- Where did all the wild things go?
- San Joaquin
- Yosemite (feat. Dave Matthews)
- Next rodeo
- When my race is run
- Alice in the bluegrass
- Stranger things
- Down home dispensary
- More like a river
- Goodbye Mary
- Evergreen, OK
- The first time I fell in love
Gesamtspielzeit: 46:59 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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strix Postings: 31 Registriert seit 14.06.2013 |
2023-10-27 19:33:42 Uhr
So ein geniales Album und nur 3 Antworten. Schade.Läuft bei mir in Dauerrotation... |
dreckskerl Postings: 11206 Registriert seit 09.12.2014 |
2023-07-31 16:35:36 Uhr
Freut mich sehr, dass ein Album mit dieser Art von Musik hier so positiv besprochen wird.Ich mag das Album auch und "Stranger Things" ist wirklich ausnehmend schön. Auf Albumlänge begeistert mich der etwas genreübergreifendere Ansatz von Billy Strings und seine irren Gitarrenparts dann doch mehr. Villeicht werden seine nächsten Alben sowie die von der grandiosen Sarah Jarosz dann auch hier besprochen. Am 18.08. erscheint das neue Album von der fantastischen Rhiannon Giddens "You're the One", ebenfalls Banjospielerin und Songwriterin und bei Nonesuch unter Vertrag. |
Christopher Plattentests.de-Mitarbeiter Postings: 3823 Registriert seit 12.12.2013 |
2023-07-27 22:15:10 Uhr
"Stranger things" wird in meinen Songs des Jahres definitiv vertreten sein. Von vorne bis hinten perfekt arrangiert. |
ToRNOuTLaW Postings: 868 Registriert seit 19.06.2013 |
2023-07-25 09:18:51 Uhr
Kenne sie in erster Linie als irre gute Banjo-Spielerin, die auch auf der Western-Gitarre zaubert. Bin auf sie wohl mal als eine von Tommy Emmanuels zahlreichen Kollaboratur*innen gestoßen. Country/Bluegrass ist normalerweise nicht meine Baustelle, aber nach der guten Rezi lasse ich das Album mal laufen. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28639 Registriert seit 08.01.2012 |
2023-07-24 20:21:06 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Sarah Jarosz; Sierra Hull; Watkins Family Hour; Sara Watkins; Aoife O'Donovan; Billy Strings; Emmylou Harris; Doc Watson; Della Mae; Béla Fleck; Greensky Bluegrass; Nickel Creek; Tony Rice; Crooked Still; Punch Brothers; Courtney Marie Andrews; Abigail Lapell; Patty Griffin; Gillian Welch; Amanda Shires; Lilly Hiatt; Trampled By Turtles; Mipso; Lori McKenna; Erin Rae; Caitlyn Smith; Alison Krauss; Ian Noe; The Wallin' Jennys; Chris Thile; Town Mountain
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- Molly Tuttle & Golden Highway - City of gold (5 Beiträge / Letzter am 27.10.2023 - 19:33 Uhr)