Dexys - The feminine divine

100 Percent / Rough Trade
VÖ: 28.07.2023
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Come on Göttin
Bei einem dieser Online-Quizzes, mit denen man sich gerne von den wichtigeren Dingen des Lebens ablenkt, ging es erst vor wenigen Tagen um "Die größten One-Hit-Wonder der Achtzigerjahre" und tatsächlich wurden hier auch prominent Dexys Midnight Runners mit "Come on Eileen" erwähnt. "Too-ra-loo-ra too-ra-loo-rye-ay", was sollte das denn? Nicht nur, dass die Band bereits zwei Jahre vor diesem Gassenhauer mit dem Bläser-Groove von "Geno" einen ersten Nummer-1-Hit in ihrer britischen Heimat hatte feiern können, auch in diesem Jahrtausend gelang Mastermind Kevin Rowland und seinen wechselnden Mitstreiter*innen unter verkürztem Bandnamen mit der Platte "One day I'm going to soar" ein wunderbar souliges Comeback zwischen Augenzwinkern und Altersweisheit. 2016 gab es noch das überaus gelungene Coveralbum "Let the record show: Dexys do Irish and country soul", das sich mit Bob Dylans ähnlich gelagertem "Shadows in the night" durchaus messen konnte. Stolze 43 Jahre nach dem Debüt "Searching for the young soul rebels" folgt nun also mit "The feminine divine" erst das fünfte Studioalbum von Dexys mit eigenen Songs.
Auf dem Plattencover ist eine in psychedelischen Farben gehaltene Abbildung von Pele zu sehen, dabei handelt es sich in diesem Fall jedoch nicht um die brasilianische Fußballlegende, sondern um die hawaiianische Vulkangöttin. Wie auch der Titel verrät, geht hier um das göttlich Weibliche, allerdings weniger im theologischen Sinne, als vielmehr im Kontext des Aufbrechens tradierter Rollenbilder und Gendernormen überhaupt. Wir haben es also mit einem Konzeptalbum zu tun, das zudem noch eine zusammenhängende Geschichte erzählt. Der schmissige Opener "The one that loves you" aus der Perspektive eines Machos, der als Liebesbeweis eventuellen Nebenbuhlern Prügel verspricht, ist dabei eine trügerische Nebelkerze. Schon im Spoken-Word-Auftakt des programmatischen nächsten Tracks "It's alright Kevin (Manhood 2023)" beteuert der mit Rowland selbst durchaus verschwimmende Erzähler: "Well that's what I was always lead to believe. This is what I really think." Das Albumhighlight "I'm going to get free" mit Motown-Schwung und Northern-Soul-Chor wäre in einer gerechteren Welt ein absoluter Sommerhit und erzählt vom Überwinden erlernter und bedrückender Erwartungen ans eigene Verständnis von Männlichkeit. Diese allesamt zum Mitwippen einladenden Songs der ersten Albumhälfte entstanden gemeinsam mit Dexys-Urgestein und Posaunist Big Jim Paterson.
Das Titelstück nimmt nicht nur in der Trackliste, sondern auch im Narrativ eine zentrale Rolle ein. Über sanften Beats, schwebenden Synthies und jazzigen Pianoakzenten skizziert Rowlands Protagonist im Sprechgesang sein altes und neues Frauenbild, bis hin zu einem emphatischen Bekenntnis zur weiblichen Überlegenheit. Alle weiteren Tracks erforschen nun tatsächlich das unerwartete und weite Terrain einer Femdom-Beziehung. "My goddess is" lässt als pulsierender R'nB-Track gleich mehrere männliche Stimmen von ihren Göttinnen schwärmen und der enorm laszive, nur von einem verzerrten Synthie-Loop unterlegte Dialog "Goddess rules" hätte sich ein NSFW-Label redlich verdient.
Wo Klassiker wie "Bitte, bitte" von Die Ärzte und The Velvet Undergrounds alterwührdiges "Venus in furs" jedoch einen sadomasochistischen Aspekt weiblich dominierter Beziehungen in den Vordergrund rücken, holen Dexys kurz vor Schluss zum emotionalen Schlag aus: Fast wie ein Schubertsches Kunstlied mutet "My submission" musikalisch an. Zunächst nur begleitet von sanften Klaviertriolen croont sich Rowland in diesem Liebesbekenntnis die Seele aus dem Leib und schwingt sich schließlich, von Streichern unterstützt, ins Falsett hinauf. Dass es stimmlich hier etwas eng wird, macht den Song auf der Gefühlsebene nur noch authentischer. "Dance with me" ist zum Abschluss noch einmal schwülstiger Schlafzimmer-Soul im besten Sinne, obwohl oder gerade weil hier Liebe ohne Exklusivitätsanspruch zelebriert wird. Dexys ist ein musikalisch wie inhaltlich mutiges und spannendes, geradezu kompromissloses Album gelungen, das trotz des künstlerischen Anspruchs und des thematischen Überbaus niemals bemüht oder anstrengend wirkt. Dexys, ein One-Hit-Wonder? Come on!
Highlights
- I'm going to get free
- My submission
- Dance with me
Tracklist
- The one that loves you
- It's alright Kevin (Manhood 2023)
- I'm going to get free
- Coming home
- The feminine divine
- My goddess is
- Goddess rules
- My submission
- Dance with me
Gesamtspielzeit: 39:25 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Autotomate Postings: 6174 Registriert seit 25.10.2014 |
2023-08-16 19:37:08 Uhr
Ich sollte hier gar nichts reinschreiben, sorry vorab dafür, aber das Album läuft aufgrund widriger Umstände gerade im Hintergrund. Die aufgeführten Referenzen sind keine, denen ich normalerweise nachgehe. Was mich angelockt hat, war die lange Geschichte der Band und die Rezeptionsspannweite zwischen plattentests.de (7/10) und laut.de (1/5). Gut, die Rezensentin bei laut ärgert sich vornehmlich über die Lyrics, während PT die Musik in den Vordergrund stellt, und ich kann sogar verstehen, dass man diese Musik trotz der Texte mögen kann. Aber für mich ist das beides so weit draußen, dass ich es nicht mal bewerten kann... |
Herr Postings: 2913 Registriert seit 17.08.2013 |
2023-08-16 13:21:04 Uhr
Die Singstimme des Herrn Rowland ist tatsächlich dazu geeignet, sie entweder ganz wundervoll oder aber völlig schrecklich zu finden.Sich von "Come On Eileen" aber derartig zu emanzipieren, ist schon die hohe Kunst und klingt grandios (bis auf ein paar Rohkrepierer-Songs auf diesem Album). |
Heikemeikereike Postings: 6 Registriert seit 16.08.2023 |
2023-08-16 09:23:16 Uhr
Also ich finde es richtig stark |
The Libertine Postings: 279 Registriert seit 29.08.2022 |
2023-08-15 15:30:49 Uhr
Leider furchtbares Album.Mag die ersten drei Alben sehr. |
Loketrourak Postings: 2997 Registriert seit 26.06.2013 |
2023-08-14 18:21:03 Uhr
Richtig gut! |
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Referenzen
The Style Council; Prefab Sprout; Bryan Ferry; Richard Hawley; Barry White; Al Green; Roxy Music; Paul Weller; Jonathan Richman; Bobby Womack; The Jam; Martha & the Vandellas; Paul McCartney; The Divine Comedy; Terry Callier; Scott Walker; Isaac Hayes; Bobby Womack; Lee Hazlewood; Elvis Costello; Edwyn Collins; The Beautiful South; The Lilac Time; IAMX; The Contours; Gabriels; McAlmont & Butler
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