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Ruen Brothers - Ten paces

Ruen Brothers- Ten paces

Yep Roc / Bertus
VÖ: 02.06.2023

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Hut auf zum Duell

Eine Landstraße vor einer flach ansteigenden und kargen Hügelkette, gesäumt von einer Handvoll heruntergekommener Bungalows. Ein verlassenes Motel, Straßenlaternen flackern in der Dämmerung. Irgendwann fährt ein Auto vorbei und verschwimmt mit dem Horizont, dann ein nächstes. Der Ort hat bessere Zeiten erlebt, enttäuschte Hoffnungen hängen über ihm wie kalter Rauch in Vorhängen. Von irgendwoher bellende Hunde. Und hinter allem eine von Sehnsucht erfüllte Weite. Ein Traum. Ruen Brothers haben den Soundtrack für einen Film aufgenommen, den es nicht gibt. Den es jedenfalls so noch nicht gibt, denn die Bilder, Szenerien und Landschaften, die einem beim Hören von "Ten paces" unwillkürlich durch den Kopf gehen, tauchen nicht aus dem Nirgendwo auf. Das Brüderpaar Rupert und Henry Stansall entwirft auf seinem dritten Longplayer eine Mischung aus Noir-Ästhetik und Neo-Western-Romantik, in der jedes Freiheitsversprechen in Verlassenheit mündet und noch jede Liebe zwangsläufig ein tragisches Ende findet. "Ten paces" – zehn Schritte – beträgt die Entfernung, die beim Pistolenduell jeweils zurückzulegen ist, bevor die Kugeln fliegen. Im Song "Bullet proof" wird der archaische Zweikampf zur Metapher für die Kampfzone Beziehung, aus der niemand je ohne Wunden hervorgeht.

"Bullet blues", das sich behutsam aufbaut und seinen kleinen Höhepunkt in einem lakonischen Gitarrensolo findet, bildet damit nicht nur musikalisch das Pendant zu "Slow draw", in dem alle Zeichen noch auf Abschied stehen. "As we walk out to your car / I can see the stillness in your heart / Knowing we may never meet again / Knowing we'll just be those distant friends." Der Gesang von Henry Stansall zeigt sich bei alledem stets wandelbar und einzigartig zugleich, reicht von sonorem Brummen über pathetische Inbrunst bis zum klagenden Falsett. Die teils ungewöhnlichen Instrumente und verschiedenste Klangeffekte, die Bruder Rupert hervorgekramt hat, sorgen dagegen für eine Breite im Sound, die in ihren besten Momenten cinematisch anmutet. Diese Affinität zum Filmischen und zur überwältigenden Geste kommt nicht von ungefähr und war schonauf dem Debüt "All my shades of blue", bei dem Rick Rubin seine Finger im Spiel hatte, und dem zweiten Album "Ultamodern" deutlich zu erkennen. Während der Pandemie haben Ruen Brothers dann aber tatsächlich aus der Not heraus Musik und Songs für diverse Produktionen geschrieben, darunter eine Netflix-Romcom und der Independent-Film "Going nowhere". Nur nachvollziehbar, dass diese Erfahrungen die Richtung von "Ten paces" noch einmal deutlich beeinflusst haben.

"Ten paces" weist eine eigene Handschrift auf und deckt gleichzeitig eine beachtliche Bandbreite an Atmosphären ab. In "Hi-yo" galoppieren Glücksritter auf der Suche nach Gold durch eine menschenleere Wüste, während die fiebrige, klaustrophobische Beklemmung von "The fear" im dazugehörigen Video auch den adäquaten visuellen Ausdruck findet. "Ten paces" klingt dabei alles in allem so klassisch amerikanisch wie ein Gemälde von Norman Rockwell oder, in puncto Stimmung vielleicht passender, ein Roman von Cormac McCarthy. Und dem steht nur scheinbar entgegen, dass Rupert und Henry Stansall in einer nordenglischen Industriestadt aufgewachsen sind. Denn Ruen Brothers müssen nichts neu erfinden, alles ist schon da. Ihr Können schlägt sich im Arrangieren und Interpretieren nieder, im Gespür für den Augenblick, im Detailreichtum und in einem versierten Songwriting. "Is this a desert dream? / Or a story in the West? / I just can’t find peace / And I want it all to end." Dezent ausstaffiert mit altertümlichen Synthie-Klängen ist "Don’t know what’s come over you" vielleicht derjenige Song auf dieser Platte, der dem großen Wort Perfektion so nah kommt, dass man vor lauter Ergriffenheit nur noch den Cowboyhut ziehen mag.

Ist Freiheit, dieses uramerikanische Versprechen, bloß ein Traum? Und falls ja, stimmt es dann, was Springsteen singt: "Is a dream a lie if it don't come true / Or is it something worse?" "Free as the birds" überlässt das Fliegen lieber den anderen, schaut zu, teils schwermütig, teils bewundernd, und raucht dabei noch eine weitere Zigarette. Und dann noch eine. Weil das Leben sowieso seinen Gang geht und dabei leider nur wenig Gutes bereithält. Jedenfalls für die meisten. Wie in jedem guten Western gilt die Sympathie von "Ten paces" denjenigen, die am Rande stehen. Den Outlaws und den Gebrochenen. Denjenigen, denen im Leben kein Glück beschieden ist. Und denen manchmal nicht einmal das Leben bleibt. "This is the part / Where the good surely die." Keine guten Aussichten? Mag sein. Aber auf "Ten paces" zeigt sich der Fatalismus für einen Moment von seiner schönsten Seite. Am Ende ist es hier wie schon anderswo die Straße, wo sich alle Hoffnung als Illusion erweist. "But I can’t change / 'Cause it’s me / And it’s all I’ll ever be". Und trotzdem bläst "Long road" keine Trübsal, sondern übt sich – als letzte kleine Pointe – im fröhlichen Loslassen.

(Markus Huber)

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Highlights

  • Slow draw
  • The fear
  • Don't know what's come over you
  • Bullet blues

Tracklist

  1. Slow draw
  2. The fear
  3. Hi-yo
  4. Don't know what's come over you
  5. Bullet blues
  6. Silver to gold
  7. The good surely die
  8. Free as the birds
  9. Sleep
  10. Long road

Gesamtspielzeit: 32:06 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Kalle

Postings: 414

Registriert seit 12.07.2019

2023-07-16 09:10:18 Uhr
Schade, dass dieses Album wenig Beachtung findet. Bitte alle reinhören, die was neues entdecken wollen.

Sick

Postings: 288

Registriert seit 14.06.2013

2023-06-20 20:07:55 Uhr
Meine Sommerplatte. Kein Album hab ich öfter gehört dieses Jahr.
Knackig kurz und 10 Hits in Folge...

Sick

Postings: 288

Registriert seit 14.06.2013

2023-06-11 00:27:08 Uhr
Das ist richtig gut. Ja, wirklich.

Kalle

Postings: 414

Registriert seit 12.07.2019

2023-06-10 12:53:02 Uhr
Tolles Album. Vorher noch nie von denen gehört. Indie-Country-Desert-Rock, oder wie man das auch immer nennen möchte. Schöne Überraschung!

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 27357

Registriert seit 08.01.2012

2023-06-07 20:53:57 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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