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Christine And The Queens - Paranoïa, angels, true love

Christine And The Queens- Paranoïa, angels, true love

Virgin / Universal
VÖ: 09.06.2023

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Nicht zu viel des Guten

Nur circa ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung des "Prologue" veröffentlicht Christine And The Queens bereits den Nachfolger: "Paranoïa, angels, true love" ist ein weiteres, in sich geschlossenes Konzeptwerk mit deutlich metaphysischem Überbau. Weltliche Thematiken, hier insbesondere der Verlust der Mutter von Chris und eine Trennung, verbinden sich in deren Verarbeitung mit immer wieder auftretenden Engelsbezügen. Diesen wird hier teils personifiziert Stimme verliehen – von einer Madonna mit gleichnamigem Künstleralias. In den drei Stücken – so viel vorab – beläuft sich ihre Mitwirkung auf Spoken-Word-Passagen, die für das Albumkonzept anscheinend wichtig sind, ansonsten aber den Fluss ein wenig stören.

Den sehr abgehoben wirkenden Hintergrund rund um das Aufgreifen und Verarbeiten von Paranoia hin zur "true love", den Chris zusammen mit dem Produzenten Mike Dean hier schafft, auch nur zu skizzieren, würde Seiten füllen, daher sei hier Augen-, beziehungsweise Ohrenmerk auf das Resultat gelegt, denn auch hier gibt es mehr als genug zu tun. Über anderthalb Stunden erstreckt sich dieses Mammutwerk, dem die Zusammenarbeit mit Dean deutlich anzuhören ist. Statt einen teils hitorientieren, tanzbaren, mit Anleihen aus dem französischen Chanson versehenen Sound atmet "Paranoïa, Angels, True Love" etwas ganz anderes.

Atmen ist hierbei durchaus wörtlich zu nehmen, der der "Overture" folgende Opener "Tears can be so soft" steht mit beiden Füßen im TripHop, das folgende "Marvin descending" erinnert mit seinem verhalltem Geschepper hinten raus angenehm an Archive. Wenn es einen roten Faden gibt, der sich hier durch die 20 Stücke zieht, dann, dass das Soundbild zurückgenommene, feingliedrige Elektro-Beats mit viel Potential zum Entdecken beinhaltet. Über allem hängt dazu die herausragende Gesangsleistung von Chris, was umso beachtlicher ist, als dass das Aufnahmekonzept hier vorgesehen hat, jeweils nur den ersten Take eines Songs zu verwenden. Es ist der wohl größte gelungene Kraftakt dieses Albums, die Quantität wirklich mit Qualität zu füllen: Mit immer neuen Ideen, wundervollen Vocals, unerwarteten Wendungen.

Damit ist nicht nur gemeint, dass "Track 10" hier an siebter Stelle steht, sondern beispielsweise auch, was in diesem passiert. Der sperrige Elfminüter wirkt streckenweise wie ein Album-Closer. Abgerissene Gesangsspuren, wirr erscheinende Sprachfetzen, psychedelische Synthiesounds. Macht zunächst ratlos, sprachlos, zieht aber irgendwie doch ziemlich in einen Strudel. Passenderweise resettet daraufhin "Paranoïa, angels, true love", indem es eine zweite Version der Overture gibt, diesmal in einer verfremdet-spacigen Version von Mike Dean, welche in "He’s been shining for ever, your son" mündet, der wiederum entfernt an Florence & The Machine mit sehr viel Halleinsatz erinnert.

"Flowery days" ist mit glatt drei Minuten mit das kürzeste Stück dieses Epos und erweist sich doch als fortwährender Stolperstein. Die Verbindung aus Klaviermelodie, dem Gesangsbogen und den Lyrics verleitet dazu, hier wieder und wieder den Repeat-Button zu bemühen. Völlig unerwartet schüttelt Chris einen der wunderschönsten Songs des Jahres aus dem Ärmel. Danach wieder mit beiden Beinen auf den Boden der Tatsachen zu landen, fällt schwer und ist auch konzeptionell nicht vorgesehen. An dieser Stelle, zur Halbzeit, findet mit Engels-Madonna-Unterstützung die Suche nach der wahren Liebe statt. Zusätzlichen Support bringt hier 070 Shake mit, welche auch im recht offensichtlichen Erotik-Track "Let me touch you once" zu hören ist. Die Story erreicht hier ihren Höhepunkt in mehrfacher Hinsicht, der weitere Verlauf "schockiert" nicht weiter, sondern setzt Gesagtes mit anderen Worten fort. "We have to be friends" bringt als Grund-Beat eine feine Hommage an Faithless mit, Madonna hat in "Lick the lights out" noch einmal etwas zu sagen, "To be honest" ist ein kleiner melancholischer Hit und "Big eye" darf zum Schluss noch einmal ausufernd entgegen der schwindenden Aufmerksamkeitsspanne wabern.

Die knapp 100 Minuten bis hierhin führen bisweilen zu einigen leicht dissonanten Empfindungen oder Überlegungen: Wäre es im Sinne der besseren Wahrnehmung nicht sinnvoller gewesen, dieses Release zu splitten? Hier ist so vieles für sich genommen großartig, wird aber schon wenig später von komplett neuen Eindrücken und neuen Highlights eingeholt und übertroffen. Was Chris hier erschaffen hat, ist stark genug für mehrere separate Abschnitte. Trotz der Leichtigkeit des Soundbildes und der ungebrochenen musikalischen Grandeur ist es eine echte Herausforderung, dem Gesamtwerk von vorn bis hinten zu folgen. Andererseits gibt es zum einen das genannte Konzept hinter "Paranoïa, angels, true love" und es ist auch eine ziemliche Luxusdiskussion darum, zu viele meisterhafte Stücke auf einmal präsentiert zu bekommen.

(Klaus Porst)

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Highlights

  • Marvin descending
  • He's been shining for ever, your son
  • Flowery days
  • We have to be friends

Tracklist

  • CD 1
    1. Overture
    2. Tears can be so soft
    3. Marvin descending
    4. A day in the water
    5. Full of life
    6. Angels crying in my bed (feat. Madonna)
    7. Track 10
  • CD 2
    1. Overture – Mike Dean version
    2. He’s been shining for ever, your son
    3. Flowery days
    4. I met an angel (feat. Madonna)
    5. True love (feat. 070 Shake)
    6. Let me touch you once (feat. 070 Shake)
    7. Aimer, puis vivre
  • CD 3
    1. Shine
    2. We have to be friends
    3. Lick the lights out (feat. Madonna)
    4. To be honest
    5. I feel like an angel
    6. Big eye

Gesamtspielzeit: 97:02 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Otto Lenk

Postings: 753

Registriert seit 14.06.2013

2023-08-05 15:30:08 Uhr
Bis jetzt Album des Jahres

Klaus

Postings: 7632

Registriert seit 22.08.2019

2023-06-09 20:31:25 Uhr
Verstehe. Hat ja auch einen Grund, warum ich M83 so mag. :)

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19761

Registriert seit 10.09.2013

2023-06-09 20:30:08 Uhr
Auf dem nächsten Album noch ein Song namens "Moped's ascending" und ich plädiere auf 10/10.

Klaus

Postings: 7632

Registriert seit 22.08.2019

2023-06-09 20:02:36 Uhr
Und das hat natürlich überhaupt nichts mit dem dritten Titel zu tun, richtig? ;)

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19761

Registriert seit 10.09.2013

2023-06-09 16:50:11 Uhr
Der erste Durchgang hat mich durchweg gefesselt. Als zu lang empfinde ich das Album höchstens auf der Ebene der Hörpraxis, man muss sich halt 100 Minuten dafür freischaufeln. Aber künstlerisch höre ich "nicht zu viel des Guten", um Klaus' Überschrift zu zitieren.
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