Georg Zimmermann - Spleen

Potemkin
VÖ: 21.04.2023
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Panik in der Botanik
Wie geht's eigentlich dem "Teufel Miete Strom & Gas"? In der Energiekrise sicher blendend. Vielleicht weiß Georg Zimmermann mehr? Auf seinem Debüt "Schreibmaschine" trieb der alte Widersacher nämlich bereits 2011 sein Unwesen. Es würde nun zu weit führen, dem gebürtigen Duisburger hellseherische Fähigkeiten zu attestieren – stellen wir stattdessen fest, dass Zimmermann auch zwölf Jahre später noch gewitzt und textlich gewandt an abwechselnd ins Punkige und Folkige lappendem Indie-Rock feilt, der auf "Spleen" noch elektrifizierter wirkt als zuletzt auf "Allemann oben allemann unten". Pappenheimer im Geiste: Lou Reed, Franz-Josef Degenhardt, mehrere Hamburger Schultypen – sowie das am Alias erkennbare Vorbild des Musikers, der bürgerlich Georg Brörmann heißt. Falls noch jemand denkt, der rheinische Dylan sei Wolfgang Niedecken.
Und auch wenn Zimmermann live gerne mit einem Trio auftritt, ist er sich im Studio selbst der beste Begleiter. An fast allen Instrumenten und neuerdings auf dem eigenen Label Potemkin, nett benannt nach dem Hauptwerk eines der Protagonisten aus dem frühen Heuler "Peter, der Wolf & Sergej Eisenstein". Zu Beginn referenziert "Panik, ja ja" listig die fast gleichnamigen, oft polyglotten Österreicher, doch Zimmermann hat erneut genug zu erzählen, zu bekritteln und wortzuspielen, als dass etwas anderes als Deutsch in die Tüte käme. Das erwähnte Stück glänzt als ungemütlich bassiger Brocken, der mit Zeilen wie "Wir graben nach Elefanten und finden nur tote Tanten" erhabene Sinnfreiheit kultiviert, aber auch die Paranoia einer Gesellschaft abbildet, die in jeder (virtuellen) Imbissbude einen Spion vermutet. Und warum nicht auch mal "Panik" auf "Botanik" reimen?
Nicht das einzige spitzfindige Begriffspaar, das Zimmermann in seinen an der Grenze zum Grotesken daherwankenden Songs zusammenbringt. Sozialverträgliches Dasein, Verliebtheit mit Schräglage und bierseliges Schwadronieren wechseln sich dabei geschmeidig ab: "Der Blaue vom Himmel" benimmt sich vielleicht mal diskret daneben, hat aber nicht so tief ins Glas geschaut, als dass er nicht noch zu kräftig angebratenen Leads das Hinterteil schwenken könnte. Und gibt sich "Braver Junge" beim Auffahrtfegen, Türenaufhalten und Nichtrauchen ganz gesittet, kann Zimmermann gar nicht anders, als ein infektiöses kleines Riff rauszutun, jaulend die Stromgitarre aufzudrehen und schließlich bei einem fetten Rocker zu landen, der den Groove mit Löffeln gefressen hat. "Du willst 100 werden mit mir / Ich will bewundert sterben mit Dir"? So weit sind wir noch nicht.
Zimmermann sammelt lieber potenzielle Indie-Hits und ein paar Classic-Rock-Versatzstücke auf und baut daraus tolle Abzischer mit weit aufgerissenem Refrain wie "Hunde". Ähnlich begeisternd geht "Hunger" zu Werke – ohne Kinderchor, aber mit Blumfeld-artigem "Mein System kennt keine Grenzen"-Vibe und pointierter Gitarrenfigur. Auch die durchhängenden Halbballaden "Oh Doreen" und "Ciao for now" setzen ein schiefes Grinsen auf, das in "Spleen #2" zur Fratze gerinnt: ein herrlich bizarrer Talking-Kraut-Blues über windige medizinische Eingriffe mit zum Schein desinfiziertem OP-Besteck in undemokratischen südamerikanischen Staaten. Zimmermann nimmt's gelassen: "Lass uns auf jeden Fall telefonieren / Und das mit dem Reden ausprobieren." Was für'n Ding? Ich glaube, wir müssen hier von vorne anfangen. Oder gleich sein bisher bestes Album hören.
Highlights
- Panik, ja ja
- Braver Junge
- Hunger
- Spleen #2
Tracklist
- Spleen #1
- Panik, ja ja
- Braver Junge
- Der Blaue vom Himmel
- Oh Doreen
- Hunde
- Hunger
- Ich will Dein Leben von innen sehen
- Ciao for now
- Spleen #2
Gesamtspielzeit: 37:15 min.
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