Yes - Mirror to the sky
InsideOut / Sony
VÖ: 19.05.2023
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Überredungskunst
"Hier, die neue Yes, die ist ja Dein Metier." – "Nee, lass mal, ich mag nicht mehr, wieso gibt's die überhaupt noch?" – "Nix da, Du sagst doch selbst immer, das sind Legenden, die Rezi machst Du." So oder ähnlich mag sich der Dialog abgespielt haben bei der Zuteilung der zu erledigenden Rezensionen. Nur etwas freundlicher. Und eines steht mal fest: Wenn der Chef, der nun bei allem Respekt nicht eben einen Ruf als Prog-Aficionado innehat, einem allerdings ausgewiesenen solchen Redakteur die kritische Würdigung eines Yes-Albums förmlich aufdrängt, dann muss zuvor einiges passiert sein. Insbesondere nämlich ist "Heaven & Earth" passiert. War schon dessen Vorgänger "Fly from here" 2011 bestenfalls noch als altbacken zu bezeichnen, standen die Briten 2014 vor den Trümmern ihres durch eigene Hand zerstörten Erbes als eine der einflussreichsten Bands des Progressive Rock. Und auch wenn "The quest" im Jahr 2021 wieder einige lichte Momente zeigte, war eigentlich klar: Das kann nichts mehr werden.
Denn zu allem Überfluss verstarb 2022 auch noch der langjährige Schlagzeuger Alan White, so dass aus den glorreichen Zeiten, als Alben wie "Close to the edge" oder "Tales from topographic oceans" die Prog-Welt revolutionierten, nur noch Gitarrist Steve Howe in der Band verblieb – die Anzeichen für ein neuerliches Fiasko konnten nicht eindeutiger sein. Doch was Howe daraus mit "Mirror to the sky" macht, dürfte ein ähnliches Wunder sein wie jenes aus dem vergangenen Jahr, als sich die Scorpions plötzlich wieder aus den Niederungen des Fernsehgarten-Pop erhoben. Denn der Opener "Cut from the stars" perlt geradezu beschwingt aus den Boxen, die Falsettstimme von Jon Davison – mit 52 Jahren jünger als die Band selbst – ist ähnlich treffsicher wie die seines ikonischen Vorgängers Jon Anderson, während sich Howe und Keyboarder Geoff Downes höchst virtuos die akustischen Bälle zuspielen.
Ähnlich furios begann "The quest", doch während seinerzeit nach dem Opener schnell gepflegte Langeweile einkehrte, bleiben Yes dieses Mal hungrig. "All connected" und vor allem "Luminosity" zeigen die Briten mit teils lange vermisster Spielfreude, schlüssigen Kompositionen und vor allem der schon immer bestehenden dezent skurrilen Mischung aus federleichten Harmonien und höchster Musikalität. Diese wirkt manchmal komplett weggetreten, verspricht ebenso oft aber auch Entspannung unter dem Kopfhörer – in einem Genre, bei dem das "höher, schneller, weiter" geradezu zur DNA gehört. Dergestalt beflügelt wagen sich Yes mit dem Titelstück nach langer Zeit wieder an einen Longtrack, den ersten über zehnminütigen Song seit dem Album "Magnification" von 2001 und gar den längsten seit "Endless dream" aus dem Jahr 1994.
Und in diesem Titeltrack manifestiert sich die ganze Wiederauferstehung der einstigen Legenden. Nachdem zunächst Steve Howe den Track mit einem kleinen, aber effektiven Thema eröffnet, fügen sich langsam weitere Teile hinzu, von herausragenden Bassläufen von Billy Sherwood bis zu den erwähnten Solo-Duellen von Howe und Downes. Der nach drei Minuten einsetzende Gesang entführt direkt zurück in die Siebziger, und die Orchester-Parts kleistern nicht etwa Lücken zu, sondern setzen sinnvolle Farbtupfer. Legionen von Bands arbeiten sich an Retro-Prog ab und scheitern doch fast immer an den großen Vorbildern, während hier vor allem der 76-jährige Howe in einen Jungbrunnen gefallen zu sein scheint. Erst gegen Ende geht den Briten etwas die Luft aus, wirken die letzten Tracks doch wie nicht ohne Hintergedanken auf den zweiten Tonträger verpackte Anhängsel. Yes waren nicht immer konstistent in der Qualität ihrer Platten, oftmals beeinflusst von persönlichen Animositäten oder schlicht mangelnder Kreativität. "Mirror to the sky" hingegen ist nicht mehr und nicht weniger als eine faustdicke Überraschung und rehabilitiert die Band für so manches akustische Verbrechen der jüngeren Geschichte. Notiz also an den Chef: Das nächste Album bitte schon mal für mich reservieren.
Highlights
- Cut from the stars
- Luminosity
- Mirror to the sky
Tracklist
- CD 1
- Cut from the stars
- All connected
- Luminosity
- Living out their dream
- Mirror to the sky
- Circles of time
- CD 2
- Unknown place
- One second is enough
- Magic potion
Gesamtspielzeit: 63:37 min.
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Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27171 Registriert seit 08.01.2012 |
2023-05-17 21:20:00 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27171 Registriert seit 08.01.2012 |
2023-04-26 19:31:51 Uhr - Newsbeitrag
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nörtz User und News-Scout Postings: 14637 Registriert seit 13.06.2013 |
2023-03-10 20:49:31 Uhr
Na ja, geht so. Wenigstens keine Kinderlider wie auf Heaven & Earth mehr. |
Hierkannmanparken Postings: 1182 Registriert seit 22.10.2021 |
2023-03-10 20:23:35 Uhr
"Wer auf aktuelle Yes steht, kann vielleicht auch mit denen hier was anfangen:https://www.youtube.com/watch?v=A9WAkDRy4rQ" This is weird. |
Mr Oh so Postings: 3139 Registriert seit 13.06.2013 |
2023-03-10 20:00:33 Uhr
Wer auf aktuelle Yes stehtDas werden nicht allzu viele sein. ;-) Aber soll ja überraschend unschlecht sein, der Song. Hör ich mir demnächst mal an. |
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Referenzen
Anderson Bruford Wakeman Howe; Emerson, Lake & Palmer; Genesis; Styx; Gentle Giant; Van Der Graaf Generator; King Crimson; Traffic; Soft Machine; Wishbone Ash; Magma; Spock's Beard; Transatlantic; IQ; Camel; Renaissance; Steve Hackett; Squackett; The Flower Kings; Kaipa; The Tangent; Ritual; Rush; Jadis; Pendragon; Kino; Frost; Marillion; Coheed And Cambria; Dredg; Oceansize; Glass Hammer; Asia; Saga; Eloy; Kansas; The Alan Parsons Project
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- Yes (146 Beiträge / Letzter am 27.05.2022 - 09:35 Uhr)